Herzlich willkommen in der Krankenstube!
8.15: Ich rufe im Büro an. Man wünscht mir baldige Genesung. Ich höre den unausgesprochenen Gedanken: Erst drei Wochen Urlaub und jetzt krank, das sind die Richtigen.
9.45: Geräusche. Laute Geräusche. Schlagbohrhämmern aus der Wand hinter meinem Bett. Reißen die jetzt das Haus ein? Da war doch letztens ein Brief von der Hausverwaltung. Verdammt, verdammt...
10.30: Genesungsmail vom Gelegenheitsmann. Er sei auch krank, behauptet er. Nur viel schlimmer. Und von wem hab ich's wohl? Das sollte ein opulentes Abendessen in einem besseren Restaurant hergeben.
11.45: Ich schmecke nichts mehr. Macht aber nichts, denn außer Reis und Tomatenmark ist nichts mehr da.
12.20: Kranksein ist langweilig. Ich gehe jetzt raus, spazieren, Kaffee trinken, Einkaufen - den freien Tag muss man doch genießen!
12.21: Kreislaufzusammenbruch. Dann eben nicht.
12.23: Telefonische Bestellung: Ich nehm' dann einmal den Genesungspolizisten mit den knackigen Muskeln und drei Salbeibonbons.
13.13: Ich beschließe, heute auf Körperpflege zu verzichten. Riechen kann ich ohnehin nicht mehr.
15.00: Nachdem ich den tollen Vorschlag von Herrn Rochus Wolff beherzigt habe, kann ich zwar wieder verständlicher sprechen. Dafür ist mir schlecht. Salzwasser in Zukunft nur noch für Nudeln (Note to myself: Die dann auch mal einkaufen gehen).
19.15: Ich biete der Welt nach vier Stunden Tiefschlaf wieder die (37,9 Grad warme) Stirn. Dank für die guten Wünsche.
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Es erwischt uns doch irgendwann alle: Gegen den genetisch verankerten Fortpflanzungstrieb kommen wir einfach nicht an. Ab Anfang Dreißig bei Frauen und Mitte/eher Ende Dreißig bei Männern taucht er auf, dieser feuchte Hundeblick, wenn an einem lauen Frühlingssonntag eine kleine, glückliche Familie oder ein ziemlich dicker (Schwangeren-)Bauch auf der Straße entgegen kommt.
Die Hormone übernehmen die Macht. Die tägliche Pille wird immer häufiger widerwillig und mit den Gedanken an ein „was wäre wenn“ geschluckt. Eines Tages dann ist es soweit. Entweder man entscheidet, sofern in einer glücklichen, auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen basierenden Beziehung (die so selten ist wie ein Sechser im Lotto, daher sollte man sie tunlichst rechtzeitig institutionell besiegeln, denn merke: Scheidungen sind teurer als Hochzeiten), gemeinsam die Aufgabe von Verhütungsmitteln. Oder - was für ein Ärger! - es passiert einfach. Frau hatte Durchfall. Oder Erbrechen. Oder Jetlag, die Zeitumstellung nach dem Thailandurlaub, die muss es gewesen sein. Liebe Männer, glaubt es nicht! Einmal vergessen, das reicht nicht, um den jahrelang lahm gelegten Ovarien neues Leben zu entlocken. Da muss schon ein bisschen fortgesetzte Schlampigkeit, eine gewisse absichtlich absichtslose Vergesslichkeit hinzukommen.
Hat man gerade keinen wirklich an Nachwuchs interessierten Partner bei der Hand, wird die Sache schon etwas schwieriger. Mit einem ONS mal eben ein Kind zu zeugen ist nicht nur bedingt erfolgreich sondern auch noch (AIDS, remember) unvernünftig bis dort hinaus. Einer Affäre den Kinderwunsch anzutragen, treibt den Mann schneller in die Flucht als man „vollgeschissene Windel“ sagen kann. Und in einer bedingt glücklichen Beziehung kann man es sich meist schon nicht mehr vorstellen.
Jeffrey Eugenides’ Heldin Tomasina aus Airmail macht es sich einfacher:
Samen von drei Männern mischen.
Kräftig verrühren.
In die Bratenspritze füllen.
Sich zurücklegen.
Tülle einführen.
Zusammendrücken.
Et voilà, dann ist vielleicht bald ein Braten in der Röhre. Glücklicherweise stehen Männer an der Schwelle zur fiesen Vierzig dem Gedanken an Nachwuchs gar nicht mehr so ablehnend gegenüber. „Also, ich könnte es mir vorstellen“, hörte ich letztens erst von zwei Männern meines Bekanntenkreises, während ein dritter zumindest gern die Patenonkelrolle übernehmen wollte. Alle haben diesen feuchtglänzenden, in die Ferne gerichteten Blick. Sie sehen Carrera-Bahnen, fliegende Drachen, Sandburgen. Nichts da, Jungs! Ich rieche den Braten: Ihr wollt doch nur euren Spaß.
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Nichts trägt zur Spontanentzauberung eines Menschen mehr bei als die Nutzung eines Wortes: "Supi."
Supi, das ist ein okidoki für Big-Brother-Gucker und kommt gleich nach Tschüssikowski in der Kategorie Unwort des Jahres.
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Der Herr Sebas hat aufgrund eines verstärkten Aufkommens von Verletzungsphotos in der Blogosphäre einen Contest aufgerufen:
Wer hat das ekligste Bild seines zerstörten Gewebes?
Also, liebe Leser, ran an die Buletten und Fotos rausgekramt von Zahnextraktionen, buntschillernden Hämatomen und mittels ungeschickt gehandhabten Haushaltsgeräten beinahe abgetrennten Gliedmaßen!
Wie bedauerlich, dass weder von meinem Motorradunfall vor zwölf Jahren, der die Sehnen an meinem rechten Fuß zusammen schmelzen ließ und eine späte Karriere als Primaballerina Assoluta zerstörte, noch von den größten mir bekannten Blutergüssen aufgrund zäh empfundener Lerneffekte beim Snowboardfahren Fotos vorhanden sind.
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Lachen, als er das Mitbringsel aus Indien auspackt: "Du Teufelin! Wie hast du das durch die Kontrollen bekommen?" Ja, das habe ich mich auch gefragt. So ganz sicher war ich mir nicht, aber ich hätte versucht, mich auf meinen Touristenbonus heraus zu reden, auf böse Menschen, die mich getäuscht hätten. Allerdings: Nicht einmal Nagelfeilen und -scheren im Handgepäck wurden beanstandet, obwohl Sicherheitsrisiken.
Später, nach zwei Gläsern Wein, die ungewohnt schnell meine Gehirnwindungen ins Kreiseln bringen, die Frage: "Nimmst du mich das nächste Mal mit?"
Da hat er mich kalt erwischt. Mal sehen, sage ich. Ich reise lieber mit leichtem Gepäck. Unbelastet.
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Die Geschichten zu den Bildern und weitere Bilder gibt es hier:
Bombay, Gate to India
Bombay. Ueber vermeintliche Muellhaufen und den Instinkt fuer Gefahr
Bombay. Verkehrter Verkehr
Goa, Panjim. Speak Portugais?
Goa. Panjim - Palolem: Unterwegs mit Ex-Hippies
Goa, Vagator. Wo ist Adam?
Goa, Vagator. Der letzte Hippie
Goa, Vagator. CRM auf indisch
Goa. Diverses von Goettern und Tieren
Pondicherry. La Grande Nation se casse
Pondicherry/Tamil Nadu. Ein Blick in die Zeitung
Auroville/Tamil Nadu. Vision oder Wirklichkeit?
Indien. Fluechtige Begegnungen.
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Die Tastatur meines Notebooks hat das "z", das "y" an der falschen Stelle und ich darf jetzt wieder ä, ö, ü schreiben. Der Verkehr kommt aus der falschen Richtung. (und wieder wäre ich beinahe umgefahren worden) Es gibt Mischbatterien im Bad. Es herrscht eine geradezu himmlische Stille.
Bin ich schon da oder noch dort?
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I. Tupak Shakur auf indisch
Er ist schon ein ganz Cooler, so wie er sich im Sessel des Cafes luemmelt. Goldkettchen ueber dem Schlabbershirt, Muetze verkehrt auf den halblangen Haaren und die Hosen haengen ganz laessig in den Kniekehlen.
Er sei Koch und Kuenstler, sagt er, und ausserdem Musiker. Ich bin vorgeblich beeindruckt. Das merkt er wohl. "Wer sagt, dass man immer nur eine Sache machen darf", sagt er und sieht mich herausfordernd an. Gar niemand, antworte ich, und denke, eigentlich hat er Recht. Ich will mich auch nicht entscheiden muessen zwischen Schreiben und Treiben und dem ganzen Rest.
Khahti hat im Gegensatz zu mir noch die Unbeschwertheit seiner 24 Jahre und den Ehrgeiz seinen Namen der Welt als Stempel aufzudruecken. Ein zweiter Bocuse will er werden, den Praktikumsvertrag mit selbigen in dessen Restaurant in Burgund hat er schon in der Tasche. Danach hat er Barcelona im Visier, um dann spaeter in den grossen Hotels der Welt eine Karriere zu machen. "Falls das nicht klappt", grinst er, rueckt seine Kappe zurecht und macht die typische Handbewegung aller Hiphopper, Daumen, Zeigefinger und kleinen Finger ausgestreckt. "Falls das nicht klappt, dann mache ich weiter Musik. Man nennt mich hier den Tupak Shakur von Chennai."
Als Probe bekomme ich spaeter ein Gratiskonzert auf einer Dachterrasse. Seine Kumpels hat er zusammengetrommelt, huebsche Inderinnen, gekleidet in alles, was nicht nach Sari aussieht himmeln ihn an. Indischer Hiphop ist zwar genau so wenig meine Musik wie Heavy Metal, aber trotzdem: Gar nicht schlecht der Junge, der wird seinen Weg schon machen.
II. Roselyne und Phuong
Ich sitze mit einem Buch und einer Cola auf der Dachterrasse des Hotels, als sich die Besitzerin zu mir setzt. Roselyne ist Franzoesin und betreibt ihre beiden Kolonial-Hotels, Villa Helena und Villa Ophelia, nur nebenbei, denn im Hauptberuf ist sie Vertriebsbeauftragte von Parfumrohstoffen fuer den gesamten asiatischen Raum. Eine alte Firma aus Grasse in der Provence, dem Zentrum aller Duftgrundlagen, fuer die sie schon seit 20 Jahren in Sachen Wohlgerueche unterwegs ist. Sie macht den Eindruck Einer, die sich durchkaempfen musste.
Auf einer ihrer Reisen nach Thailand hat sie auch Phuong kennen gelernt, Innenarchitekt und Maler. Sie wurden ein Paar, ihm zuliebe zog sie mit ihrer kleinen Tochter nach einer unschoenen Scheidung nach Bangkok. Spaeter kamen sie zusammen nach Pondicherry, des angenehmeren Klimas und der franzoesisch gepraegten Umgebung wegen.
Heute managt er die Hotels, wenn sie auf Reisen ist. Das ist oft der Fall, denn ihre Firma habe noch enormes Nachholpotential im asiatischen Raum. Die Beziehung funktioniert vor allem, sagt sie, weil sie durch ihn gelernt habe, dass es nicht auf die Sprache ankomme, sondern auf Gefuehle und ihren Ausdruck in kleinen Gesten. Die knallharte Geschaeftsfrau bekommt einen weicheren Gesichtsausdruck. Hier haben sich wohl Okzident und Orient verbunden - wider allen kulturellen Unterschieden.
III. Josephine
Eine, die ebenfalls hart um ihre Traeume kaempft, ist Josephine. Josephine arbeitet als Rezeptionistin, Kellnerin und Maedchen fuer alles im Hotel. Ihr sehr gutes, indisch eingefaerbtes Franzoesisch lernte sie in der Schule in Pondicherry. Ausserdem ist sie mit einem Franzosen verheiratet, zumindest nach indischem Recht, denn als er nach drei Jahren nach Frankreich zurueck kehrte, "vergass" er wohl, die Heirat beim Konsulat zu bestaetigen. Eine Erzwingung des Status per Gericht sei ihr zu teuer, sagt sie, 4000 Rupies koenne sie sich nicht leisten. Aber fuer ihre kleine Tochter wird sie kaempfen. In der Geburtsurkunde steht sein Name, das ist schon etwas. Damit kann sie die franzoesische Staatsbuergerschaft fuer die Kleine erreichen. Warum, frage ich. "Weil sie es dann besser haben wird. Sie kann reisen und studieren, wo sie will," antwortet Josephine. Und sie haette einen verbrieften Unterhaltsanspruch gegen ihren Vater. Das waere in Indien so viel wie das Monatsgehalt eines durchschnittlichen Angestellten und koennte ihr den Einstieg in eine teure Privatschule erleichtern.
Fuer sich selbst hat Josephine ebenfalls einen Traum: Sie will nach La Reunion gehen, ausserhalb der indischen Hotel-Saison. Dort moechte sie sich weiterbilden, einen Sekretaerinnenkurs belegen und nebenbei in einem Hotel arbeiten. Sie bekommt einen sehnsuechtigen Blick. Ich bin sicher, sie wird schaffen, was sie sich vorgenommen hat.
Drei Menschen, drei Geschichten, drei Schicksale. Ein Land: Indien. Willst du das wirklich allein durchziehen, wurde ich gefragt, als mein Reisepartner absagte. Ich gestehe, ich hatte meine Zweifel, ob ich es heil ueberstehen wuerde. Allein Reisen birgt immer ein gewisses Risiko, besonders fuer Frauen.
Diese drei Wochen in Indien aber haben mich eines gelehrt: Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft gehoeren zu diesem Land wie die rote Erde und die sengende Sonne. Egal, ob die Familie des Kokosnussbauern Gabriel im Norden Goas oder die Reisegruppe aus Uttar Pradesh oder die Kleinfamilie auf der dreistuendigen Busfahrt, deren verrotzte Kinder auf meinem Schoss herumtollten und deren Augen leuchteten, als haette ich ihnen anstatt eines Bonbons ein Koengreich geschenkt - ich wurde immer freundlich aufgenommen und begleitet, mit scharfem Knabberzeug schier totgefuettert und, natuerlich, gern fotografiert. Natuerlich gab es auch hier die ueblichen Begleiterscheinungen des Touristendaseins: Laecheln, das in erster Linie der Brieftasche gilt, durchgeknallte Spinner, Abzocke. Aber das gibt es ueberall und ist normal.
Ich bin mit fast allen verfuegbaren Transportmitteln gereist, mit dem Motorrad, selbst oder als Sozia, sogar ein kurzes Intermezzo auf einem Ochsenkarren hatte ich. Das war teilweise anstrengend, nervend, aber immer spannend.
Es bleibt ein leider nur fluechtiger Eindruck eines Landes, dessen verbale Beschreibung unzureichend wiedergeben kann, was taeglich an Impressionen auf den Reisenden einprasselt. Am meisten gefreut hat mich, dass die Menschen stets bereit waren, mir ihre Geschichten zu erzaehlen, ungefragt und offen. Jeder Tag eine neue Geschichte, zu finden im roten Staub am Strassenrand zwischen einem Kuhfladen und einer Plastikflasche. Edelsteine im Schmutz. Man muss nur genau hinsehen.
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Was, bitte, bringt Menschen aus Europa dazu, in einem Land leben zu wollen, dessen Strassen Schlagloecher in der Groesse von Kinderbadewannen haben, dessen elektrische Versorgung vom Wohl und Wehe einiger weniger korrupter Beamter abhaengt und wo sich die rote Erde Indiens in jede Pore aetzt?
Im Prinzip bleiben nur zwei gute Gruende uebrig: Eine Vision oder schnoeder Mammon. Was in Auroville den Ausschlag gibt, wollte ich erfahren.
Ich mietete mir ein Motorrad, diesmal eine gelaendegaengigere Maschine, nachdem ich mit dem Scooter bereits einmal im Sand stecken geblieben war, und fuhr los. Auroville als urbanes Siedlungsprojekt geht im Wesentlichen auf die Vision einer Franzoesin im engeren Umfeld des Gelehrten Sri Aurobindo zurueck:
"Auroville wants to be a universal town where men and women of all countries are able to live in peace and progressive harmony above all creeds, all politics and all nationalities. The purpose of Auroville is to realise human unity." Ein grosser Gedanke, der nach der Grundsteinlegung 1968 nur in Ansaetzen verwirklicht werden konnte. Es sollte eine Stadt werden - bislang faehrt man Kilometer um Kilometer an vereinzelten Siedlungsteilen vorbei, ueber Sandpisten und Schlaglochstrassen. Rund 1.800 Bewohner hat die "Stadt". 2025 ist das naechste Ziel, dann soll die Vision endlich Wirklichkeit werden, Land hinzu gekauft, die Infrastruktur verbessert und bis zu 50.000 Menschen angesiedelt werden.
Grosse Gedanken scheitern in der Realitaet haeufig an simplen Ursachen. Als ich zu Besuch war, weilte gerade eine Abordnung der indischen Regierung in Auroville. Themen der Konferenz mit dem Verwaltungsrat Aurovilles: Steigende Bodenpreise, die nicht zuletzt von der Regierung des Bundesstaates Tamil Nadu verursacht werden, die Abwasserbeseitigung und eine moegliche Sonderabgabe fuer europaeische Residents. Der schnoede Mammon regiert. Ich fahre an edlen Haeusern hinter hohen Zaeunen vorbei, am noch nicht ganz fertig gestellten Meditationszentrum Matrimandir (Blattgold und Marmor) und dem modernen Besucherzentrum vorbei und denke mir: Es sieht wie eine Wohlstandsenklave aus. Architekten, Kuenstler, Grafiker - viele Freiberufler stehen auf der Residentsliste.
Mein Besuch war kurz und ich konnte mir keine abschliessende Meinung bilden. Ein erster Eindruck bleibt dennohc: Hier leben Menschen, die aus visionaeren Gruenden kamen. Und sie leben nicht schlecht. Wie das mit der indischen Wirklichkeit zusammenpasst - ich weiss es nicht.
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Und die kollegiale Nachrichtenverteilung in den indischen Subkontinent funktioniert hervorragend. Jemand einen interessanten Job parat? Biete: Diplomiertes Hirn, scharfen Verstand und Zunge (mehrsprachig), Willen zum Erfolg. Angebot im vierstelligen Euro-Bereich per Email an wortschnittchen at web punkt de.
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Erinnert sich noch jemand an den 26. Dezember? An die Tage danach, als stuendlich neue Zahlen veroeffentlicht wurden? Als koennten Angaben ueber die Hoehe der Opferzahlen ein Anhaltspunkt fuer das Leid sein, welches die Menschen ueberkommen hat.
Zwei Monate liegt die Katastrophe nun schon zurueck und in der medialen Wahrnehmung duerften es weit mehr sein, so schnell verlieren sich Ereignisse im taeglichen Kampf um Auflage und Schlagzeilen.
Wie tief der Schock in den Kuestenregionen dagegen sitzt, verraet ein Blick in die Regionalseiten von "The Hindu". Eine ganze Seite ist den Meldungen ueber die Tsunami-Folgen gewidmet:
Kanyakumari. Fischer des Staedtchens an der Suedspitze Indiens brachten nach einer vermeintlichen Tsunami-Warnung in Panik ihre Boote an Land.
Veerampattinam. Die ueberlebenden Fischer fuerchten sich davor, ihren Beruf auszuueben. Auch zwei Monate nach dem Tsunami sind sie noch nicht wieder hinaus gefahren. Wie viele der Fischer in den Kuestenregionen, obwohl sie mittlerweile Ersatzboote und Foerdermittel erhalten haben.
Thalanguda. Der Buergermeister des Dorfes ueberreichte der mittellosen Witwe von C. Premshothaman eine Geldhilfe und wies ihr eine neue Huette zu. Ihr Mann hatte zwei Kinder aus den Fluten gezogen, sie auf eine Palme gehoben und war dann von umherwirbelnden Truemmerteilen getroffen und mitgerissen worden. Er starb eine Woche nach der Katastrophe an einer Blutvergiftung.
Nur eine kleine Auswahl an Meldungen, die die Zeitungen immer noch Tag fuer Tag fuellen. Die indische Kueste am Golf von Bengalen wurde unterschiedlich stark betroffen: Waehrend der historische Kuestenort Mamallapuram und die Hafenanlagen Chennais schwer getroffen wurden, blieben Pondicherry und Auroville so gut wie verschont. In Pondicherry werden dennoch Vorkehrungen gegen eine neue Flut getroffen: Schweres Geraet schuettet vor der Uferpromenade riesige Steinbloecke auf, die moeglicherweise anrollende Wellen brechen sollen.
7.000 Kilometer entfernt vergisst man schnell ueber Landtagswahlen, den neuesten Modetrends fuer Winter/Herbst oder dem ganz normalen alltaeglichen Wahnsinn. Hier wird das Vergessen Generationen dauern.
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In Pondicherry, am Golf von Bengalen, wurde der Traum vom franzoesischen Weltreich geboren. Hier starb er auch eines leisen Todes. Nach langem und erfolglosen Gerangel mit den allemal geschickter agierenden Beamten der Handelsgesellschaften des British Empire um die Gunst der lokalen Herrscher in und um Madrasbegrub die Grande Nation ihre Plaene im Schatten einer Palme.
In den fuenfziger Jahren verschwanden die franzoesischen Truppen nach und nach aus Indien. Zurueck blieb eine heimliche Sehnsucht der Gebliebenen nach dem Savoir vivre mit Cafe au lait und Croissants sowie koloniales Resterbe wie Polizisten mit roten Kepis und ein Gebietsverbund, der heute unter dem Namen Unions Territory of Pondicherry bekannt ist und die ehemaligen Kolonialgebiete Mahe in Kerala, Yanam in Bengalen und Karaikal und Pondicherry in Tamil Nadu umfasst.
In diesen Unionsgebieten gilt weder die restriktive Steuergesetzgebung der umliegenden Bundesstaaten (worueber ich froh sein kann, da auch mein Hotel keine Luxussteuer erhebt - es ist ohnehin teuer genug, aber nach anderthalb Wochen Budget-Unterbringung goenne ich mir das) noch die uebliche englische "Hochsprache". Man hoert immer noch haeufig Franzoesisch: Madame, ca va?, rufen die Maenner, wenn sie auf dem Vesparoller die Uferpromenade, eine indische Kopie der Croisette an der Cote D'Azur, entlang sausen.
Alliance Francaise und Institut Francais sind ebenso vertreten wie das Konsulat, ueber dessen haesslichen Funktionsgebaeuden eine ueberdimensionierte Tricolore im heissen Wind weht. Ueberhaupt ist Pondicherry in Vielem die Kopie einer suedfranzoesischen Kuestenstadt: Rechtwinklige Strassenzuege, Kolonialvillen mit prachtvollen Gaerten hinter hohen Mauern, Dachterrassen, von denen sich Bougainvilleas ranken, hier und dort ein Lycee oder eine Ecole Primaire.
Touristen finden noch viele Reste franzoesischer Bemuehungen in Indien. Dennoch verliert sich nach und nach die Grande Nation und geht in der indischen auf. Weniger Schueler waehlen Franzoesisch als erste Fremdsprache, die tamilisch-drawidische Bevoelkerung orientiert sich verstaendlicherweise eher nach Madras und Delhi, den ehemals britischen Mandatsgebieten, als nach Paris und die wenigen franzoesisch-staemmigen Inder, welche noch die Moeglichkeit einer doppelten Staatsbuergerschaft nutzten, sterben aus.
Was bleibt, ist eine Vergangenheit, die ueberwiegend fuer Besucher gepflegt wird: In prachtvollen Hotels, deren Personal zum Fruehstueck neben Buttertoast und Tee auch Croissant und Cafe au lait serviert und mit "Bonjour Madame, avez-vous bien dormi" gruesst und die typische Begleiterscheinung eines Indienaufenthalts (Schlaflosigkeit aufgrund inflationaeren Hupengebrauchs) schnell vergessen laesst.
Auch hier gilt es, Geschichten zu finden. Wie ich den indischen Tupak Shakur kennenlernte und wie die Liebe ein Franzoesin und einen Thailaender erst zusammen und dann nach Indien brachte - das wird demnaechst hier zu lesen sein. Heute geht es erst einmal nach Auroville, das Projekt "Urbanes Leben auf internationaler Basis" nach seinem Realitaetsgehalt abklopfen. A plus, alors!
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