I. Tupak Shakur auf indisch
Er ist schon ein ganz Cooler, so wie er sich im Sessel des Cafes luemmelt. Goldkettchen ueber dem Schlabbershirt, Muetze verkehrt auf den halblangen Haaren und die Hosen haengen ganz laessig in den Kniekehlen.
Er sei Koch und Kuenstler, sagt er, und ausserdem Musiker. Ich bin vorgeblich beeindruckt. Das merkt er wohl. "Wer sagt, dass man immer nur eine Sache machen darf", sagt er und sieht mich herausfordernd an. Gar niemand, antworte ich, und denke, eigentlich hat er Recht. Ich will mich auch nicht entscheiden muessen zwischen Schreiben und Treiben und dem ganzen Rest.
Khahti hat im Gegensatz zu mir noch die Unbeschwertheit seiner 24 Jahre und den Ehrgeiz seinen Namen der Welt als Stempel aufzudruecken. Ein zweiter Bocuse will er werden, den Praktikumsvertrag mit selbigen in dessen Restaurant in Burgund hat er schon in der Tasche. Danach hat er Barcelona im Visier, um dann spaeter in den grossen Hotels der Welt eine Karriere zu machen. "Falls das nicht klappt", grinst er, rueckt seine Kappe zurecht und macht die typische Handbewegung aller Hiphopper, Daumen, Zeigefinger und kleinen Finger ausgestreckt. "Falls das nicht klappt, dann mache ich weiter Musik. Man nennt mich hier den Tupak Shakur von Chennai."
Als Probe bekomme ich spaeter ein Gratiskonzert auf einer Dachterrasse. Seine Kumpels hat er zusammengetrommelt, huebsche Inderinnen, gekleidet in alles, was nicht nach Sari aussieht himmeln ihn an. Indischer Hiphop ist zwar genau so wenig meine Musik wie Heavy Metal, aber trotzdem: Gar nicht schlecht der Junge, der wird seinen Weg schon machen.
II. Roselyne und Phuong
Ich sitze mit einem Buch und einer Cola auf der Dachterrasse des Hotels, als sich die Besitzerin zu mir setzt. Roselyne ist Franzoesin und betreibt ihre beiden Kolonial-Hotels, Villa Helena und Villa Ophelia, nur nebenbei, denn im Hauptberuf ist sie Vertriebsbeauftragte von Parfumrohstoffen fuer den gesamten asiatischen Raum. Eine alte Firma aus Grasse in der Provence, dem Zentrum aller Duftgrundlagen, fuer die sie schon seit 20 Jahren in Sachen Wohlgerueche unterwegs ist. Sie macht den Eindruck Einer, die sich durchkaempfen musste.
Auf einer ihrer Reisen nach Thailand hat sie auch Phuong kennen gelernt, Innenarchitekt und Maler. Sie wurden ein Paar, ihm zuliebe zog sie mit ihrer kleinen Tochter nach einer unschoenen Scheidung nach Bangkok. Spaeter kamen sie zusammen nach Pondicherry, des angenehmeren Klimas und der franzoesisch gepraegten Umgebung wegen.
Heute managt er die Hotels, wenn sie auf Reisen ist. Das ist oft der Fall, denn ihre Firma habe noch enormes Nachholpotential im asiatischen Raum. Die Beziehung funktioniert vor allem, sagt sie, weil sie durch ihn gelernt habe, dass es nicht auf die Sprache ankomme, sondern auf Gefuehle und ihren Ausdruck in kleinen Gesten. Die knallharte Geschaeftsfrau bekommt einen weicheren Gesichtsausdruck. Hier haben sich wohl Okzident und Orient verbunden - wider allen kulturellen Unterschieden.
III. Josephine
Eine, die ebenfalls hart um ihre Traeume kaempft, ist Josephine. Josephine arbeitet als Rezeptionistin, Kellnerin und Maedchen fuer alles im Hotel. Ihr sehr gutes, indisch eingefaerbtes Franzoesisch lernte sie in der Schule in Pondicherry. Ausserdem ist sie mit einem Franzosen verheiratet, zumindest nach indischem Recht, denn als er nach drei Jahren nach Frankreich zurueck kehrte, "vergass" er wohl, die Heirat beim Konsulat zu bestaetigen. Eine Erzwingung des Status per Gericht sei ihr zu teuer, sagt sie, 4000 Rupies koenne sie sich nicht leisten. Aber fuer ihre kleine Tochter wird sie kaempfen. In der Geburtsurkunde steht sein Name, das ist schon etwas. Damit kann sie die franzoesische Staatsbuergerschaft fuer die Kleine erreichen. Warum, frage ich. "Weil sie es dann besser haben wird. Sie kann reisen und studieren, wo sie will," antwortet Josephine. Und sie haette einen verbrieften Unterhaltsanspruch gegen ihren Vater. Das waere in Indien so viel wie das Monatsgehalt eines durchschnittlichen Angestellten und koennte ihr den Einstieg in eine teure Privatschule erleichtern.
Fuer sich selbst hat Josephine ebenfalls einen Traum: Sie will nach La Reunion gehen, ausserhalb der indischen Hotel-Saison. Dort moechte sie sich weiterbilden, einen Sekretaerinnenkurs belegen und nebenbei in einem Hotel arbeiten. Sie bekommt einen sehnsuechtigen Blick. Ich bin sicher, sie wird schaffen, was sie sich vorgenommen hat.
Drei Menschen, drei Geschichten, drei Schicksale. Ein Land: Indien. Willst du das wirklich allein durchziehen, wurde ich gefragt, als mein Reisepartner absagte. Ich gestehe, ich hatte meine Zweifel, ob ich es heil ueberstehen wuerde. Allein Reisen birgt immer ein gewisses Risiko, besonders fuer Frauen.
Diese drei Wochen in Indien aber haben mich eines gelehrt: Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft gehoeren zu diesem Land wie die rote Erde und die sengende Sonne. Egal, ob die Familie des Kokosnussbauern Gabriel im Norden Goas oder die Reisegruppe aus Uttar Pradesh oder die Kleinfamilie auf der dreistuendigen Busfahrt, deren verrotzte Kinder auf meinem Schoss herumtollten und deren Augen leuchteten, als haette ich ihnen anstatt eines Bonbons ein Koengreich geschenkt - ich wurde immer freundlich aufgenommen und begleitet, mit scharfem Knabberzeug schier totgefuettert und, natuerlich, gern fotografiert. Natuerlich gab es auch hier die ueblichen Begleiterscheinungen des Touristendaseins: Laecheln, das in erster Linie der Brieftasche gilt, durchgeknallte Spinner, Abzocke. Aber das gibt es ueberall und ist normal.
Ich bin mit fast allen verfuegbaren Transportmitteln gereist, mit dem Motorrad, selbst oder als Sozia, sogar ein kurzes Intermezzo auf einem Ochsenkarren hatte ich. Das war teilweise anstrengend, nervend, aber immer spannend.
Es bleibt ein leider nur fluechtiger Eindruck eines Landes, dessen verbale Beschreibung unzureichend wiedergeben kann, was taeglich an Impressionen auf den Reisenden einprasselt. Am meisten gefreut hat mich, dass die Menschen stets bereit waren, mir ihre Geschichten zu erzaehlen, ungefragt und offen. Jeder Tag eine neue Geschichte, zu finden im roten Staub am Strassenrand zwischen einem Kuhfladen und einer Plastikflasche. Edelsteine im Schmutz. Man muss nur genau hinsehen.
... comment