Neben Kuehen, ganzen Horden von Hunden und selbstverstaendlich gaaanz zufaellig dicht an leicht bekleideten Touristinnen vorbei flanierenden indischen Gigolos gibt es am Strand noch eine besondere Spezies: Die Schmuck- und Faehnchenverkaeufer. Meistens sind es Frauen aus dem suedlichen Nachbarstaat Karnataka, Toechter von Bauern oder Kleinhaendlern.
Sharon ist 15 Jahre alt und seit zwei Wochen verheiratet. Ihr Mann Priet ist sieben Jahre aelter und kommt wie sie aus der Stadt Hampi, Karnataka. Ganz gluecklich sei sie nicht, sie haette gern spaeter geheiratet, aber ihre Eltern gaben ihr Goldschmuck als Aussteuer: Ein paar Ohrringe, ein Armband und das Zeichen einer Ehefrau, eine Kette mit zwei stilisierten Muscheln, eine fuer die Frau, einen fuer den Mann. Priet bekam eine dicke Goldkette. Auch er arbeitet als Strandverkaeufer in Baga, rund 10 Kilometer von Vagator entfernt.
Viel mehr als diesen Schmuck hat sie nicht. Ein paar Kleider, Saris. Und ihre Ware: Bunte Tuecher, billiger Schmuck, Fusskettchen, Plastikbaender. Das versucht sie an den Mann respektive die Frau zu bringen. Der Trick ist einfach: Die Maedchen gehen auf den potenziellen Kaeufer zu, stellen sich mit einem leicht zu merkenden englischen Namen vor, fragen nach seinem Befinden und breiten ihre Waren auf seinem Handtuch oder Decke aus. Normales Prinzip: Vorstellen, laecheln, Kaufanreiz bieten.
Sagt er nein - und das ist in gut 90 Prozent der Fall -, dann wird ein Lockangebot gemacht: "Take two for one price." Spaetestens, wenn noch ein Fusskettchen aus, natuerlich, reinem Silber drauf gelegt wird, kann die Schnaeppchenfreudige Touristin nicht anders: Sie kauft. Kauft sie trotz Stundungsofferten ("Give me 100 today, I trust you, come tomorrow, give me the rest") nichts, wird die staerkste Form des Kundenbeziehungsmanagements aufgefahren: Die emotionale Keule. Die Verkaeuferinnen strecken ihre Hand aus, flehend richten sie ihre grossen braunen Kulleraugen auf den dahin schmelzenden Kaeufer und sagen bittend: "Promise, you look tomorrow. Promise to Sharon (Whitney, Nikita, Chandra,...). Give hand on it." Und man wird gezwungen, einen Handschlag auszutauschen, der in unserer beruehrungsfeindlichen Gesellschaft gemeinhin als aeusserstes Zeichen von Verbundenheit nach Geschaeften gilt.
Manchmal machen die Maedchen auch nur kurz Pause, so scheint es. Sie hocken sich neben die Sonnenliege oder das Handtuch und plaudern ein wenig. Wie hart das Leben sei, wie schwer die Ware zu verkaufen. Bohrt man ein wenig nach, so fallen Worte wie Bestechung der Polizeibehoerden, die nach dem Willen der neuen Regierung alle Strandverkaeufer verjagen soll, und milde Gaben an die oertliche Mafia. Sharon zahlt 1000 Rupies monatlich an die Polizei und 15 Rupies am Tag an einen "Aufseher", der mit den Besitzern der Strandlokale ein Bleiberecht von mindestens fuenf Minuten aushandelt, jederzeit erneuerbar.
Spaetestens dann sollte jeder Kaeufer genug Mitleid fuer das harte Leben aufgebracht haben, um ein Fusskettchen fuer schlappe 250 Rupies zu erstehen. 250 Rupies, das sind gut fuenf Euro. Gehen wir von einem Durchschnittsgehalt von 250 Euro monatlich fuer einen Angestellten in Indien aus. Ich stelle einfach mal eine Milchmaedchenrechnung auf: Fuenfmal Verkaeufe zu ungefaehr 5 Euro ergeben 25 Euro. Mal 6 Tage die Woche ergibt 150 Euro, mal vier Wochen ergibt 600 Euro. Abzuege fuer Mafia und Polizei: Rund 25 Euro. Bleibt einiges uebrig fuer Kommissionskauf der Waren und eine guenstige Unterkunft. Gar nicht so schlecht fuer eine Saison.
Das Spiel mit den vertrauensbildenden Massnahmen wiederholt sich Tag fuer Tag. Kundenbeziehungsmanagement auf indisch lohnt sich. Wer einmal kauft, kauft wieder. Ich jedenfalls habe bereits eine huebsche, kleine Kollektion an Kettchen, Armbaendern und Ringen.
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