I. Von Marrakech on the road
Der letzte Hippie traegt einen kunstvoll gewickelten weissen Turban und eine Lesebrille. Man koennte ihn fuer einen sadhu, einen weisen Mann, halten, wenn da nicht die sommersprossige Haut und der mit rotblonden Haaren versetzte Schnurrbart waeren. Er bestellt sich im einzigen marokkanischen Restaurant Goas "Le Marrakech" eine deftige Tajine und ein Glas Rotwein. Ich denke mir noch, das muss ein Franzose sein, wir kommen ins Gespraech, und ja, so ist es: Er sei gebuertiger Normanne aus einer alten Fischerfamilie nahe dem malerischen Fachwerkstaedtchen Honfleur. Er lebe seit fast dreissig Jahren hier, im Nachbarort Anjuna. Er sei Goldschmied, restauriere alten Schmuck und verkaufe neuen.
Endlich! Ich habe den letzten Hippie gefunden! Wir unterhalten uns angeregt ueber Hermann Hesse, von dem ich bislang nicht wusste, dass sein Buecherzyklus genau den 13 Stufen der Erleuchtung des Krishna Murti entspricht. Als ich ihm sage, dass ich auf der Suche nach dem letzten Hippie bin, lacht Claude und antwortet: "Den gibt es hier nicht mehr. Sie sind alle fort, wieder zuhause oder tot. Aber ich kann dir zeigen, wo alles begann."
So verabreden wir uns fuer den naechsten Tag, aber zuvor will er wissen, ob ich dschungeltauglich bin. Etwas verunsichert sage ich ja. Er raet mir noch zu festem Schuhwerk, schwingt sich auf sein Motorrad und braust davon, sein Turban leuchtet noch lange im Dunkeln.
II. Ich sammle Karmapunkte
Er holt mich puenktlich ab und wir fahren an der Kueste entlang Richtung Norden. Links das Meer, rechts Cashewplantagen, den Fahrtwind in der Nase. Wir lassen Margem hinter uns, einen Kuestenort, wo die Russen grosse Grundstuecke kaufen, um Geld zu waschen. In Ashvem Beach nehmen wir uns Zeit fuer ein bhaji, eine Kartoffel-Kichererbsenmischung mit scharfem Curry und geniessen die Aussicht auf kilometerlangen weissen Sandstrand.
Weiter geht es durch immer weniger touristischere Orte, vorbei an Reisfeldern und Krabbenteichen. Wir halten kurz an einem Tempel mit einem riesigen lingam aus einem ueber drei Meter hohen Termitenhuegel (ohne Termiten) im Inneren, einem Phallussymbol, das Shivas Zwiegestalt als Zerstoerer und Schoepfer darstellt. Und hier passiert, was ich nun wirklich unter allen Umstaenden vermeiden wollte. Der Tempelwaechter malt mir nach der Spende von sechs Rupies einen roten Punkt zwischen die Augen. Claude grinst. Daran muesse ich mich gewoehnen, wenn ich etwas gaebe, bekaeme ich halt auch etwas zurueck, so sei das mit dem Karma.
Wir fahren und fahren und langsam frage ich mich, ob das eine so gute Idee war, mit einem Hippie unterwegs zu sein. Schliesslich ist Zeit nichts, wie er mir bereits am Abend zuvor zu verstehen gegeben hatte, als ich ihn nach seinem Alter fragte. Er bemesse sein Leben nicht an Jahren sondern an Erfahrungen war seine Antwort. Spaeter erfahre ich, dass er diesen Monat 58 wird.
Weiter geht es nach Quirim, an der aeussersten Grenze zum noerdlichen Bundesstaat Maharashtra. Dort ist Endstation. Wir lassen das Motorrad bei einer befreundeten Familie im Garten stehen und machen uns an den Aufstieg auf ein Hochplateau. Bei rund 35 Grad Hitze kein wirkliches Vergnuegen, zumal die Sonne senkrecht auf den Kopf brennt. Ich wickele mir meinen Schal um die Stirn und das erste Mal sehen wir uns aehnlich: Die Touristin und der Hippie.
III. Lost in djungle
Auf dem Hochplateau haben wir eine weite Sicht auf den Fluss weit unten und die Kueste. Jetzt geht es weiter in den Dschungel und ich versuche, die Schilderungen von Schlangenbissen, wild lebenden Leoparden und Panthern zu verdraengen. Wir klettern in einem trockenen Flussbett talwaerts, ueber mannshohe rundgeschliffene Steine und kleine Kieselfelder. An einem Teich macht er halt und zieht sich bis auf einen original indischen String aus. Das Tuch (rot fuer Christen, weiss fuer Hindus) wird durch den Schritt gezogen und an zwei silbernen Spangen befestigt. "Das war frueher die einzige Bekleidung der Fischer und gleichzeitig der wertvollste Besitz", erklaert Claude. Das edelste Teil des Mannes, wertvoll verpackt, so so, denke ich.
Im Folgenden sehe ich seine normannisch weissen Hinterbacken immer schneller vor mir her huepfen, ich komme kaum noch hinterher. Meine Kondition ist bestenfalls maessig, gemessen an der dieses versierten Waldlaeufers. Nach etwa einer Stunde kommen wir zu einem Bayram, einem wilden Feigenbaum, unter dessen langen Luftwurzeln einige junge Freaks sitzen und sich dem Rausch aus kleinen Haschpfeifen ergeben. Wir setzten uns eine Weile dazu, trinken Wasser, essen Bananen und lauschen den Gitarrenklaengen der Rastabezopften.
IV. Die Vergangenheit
Am Meer angekommen zeigt er mir die Stelle, wo alles begann. Sie waren fuenf, damals, 1973: Er, seine Freundin Bernadette, die Amerikanerin Loise, eine ehemalige Sekretaerin John F. Kennedys, Freddo, ein Australier und Gipsy, deren wahren Namen niemals jemand herausfinden konnte, die aber die "Mutter aller chiloms" (Haschpfeifen aus Ton) genannt wurde. Jeder suchte sich sein Plaetzchen in der idyllischen Bucht am Rande eines kleinen Suesswassersees. Claude und Bernadette hatten ihren Baum, Loise und Freddo einen Felsvorsprung und Gipsy lag am Strand, ohnehin immer zu bekifft um die Krabben zu bemerken, die ueber ihren Koerper stiegen. Im Laufe der folgenden vier Jahre tummelten sich bis zu 200 Hippies in der Bucht, stets bereit, einen chilom zu teilen oder sich einen Schuss "smug" (Heroin) zu setzen.
Nach drei Jahren hatte Claude genug von Bernadette und der Truppe und setzte sich nach Nepal ab. Er lernte das Goldschmieden, fuer einen ehemaligen Franzoesisch- und Englischlehrer ungewohnte Handarbeit, und kehrte zurueck nach Goa, wo er sein eigenes Atelier aufmachte. Dabei blieb er die naechsten 20 Jahre. Genauso wie bei den Drogen, es gaebe nichts, was er nicht probiert habe, sagt er. Aber Acid haette ihm am meisten gegeben. Ich kann das nicht nachvollziehen, aber ich glaube ihm gern. Das Paradies wird auf die Dauer langweilig, da nimmt man gern mal ein wenig zusaetzliche Kicks an. Viel erzaehlt er mir von den Frauen: Melissa brach im die Nase, hatte aber eine ungeheure sexuelle Energie, Anneke, die Hollaenderin, und er reisten durch den tiefsten Sueden Indiens und mit Jocelyn hat er eine Tochter, Leila, die er sehr liebe, mit der er sich aber nur auf Englisch verstaendigen koenne.
V. Die Gegenwart
Eigentlich lebe er gar nicht mehr in Goa, beichtet er mir nach der langen Wanderung bei einem Glas Rotwein. Seine Gesundheit habe irgendwann nicht mehr mitgemacht, also habe er sich entschlossen, doch lieber das franzoesische Versorgungssystem zu nutzen. Heute lebe er im Ardeche-Tal, betreibe eine Schmuckwerkstatt und verkaufe auf Musik-Festivals in Portugal und Ibiza. In Goa sei er nur noch einige Wochen bis drei Monate, Rohstoffe fuer den Schmuck kaufen und einige Freunde besuchen. Zu seinen alten Hippiefreunden hat er nur noch wenig Kontakt.
Bernadette, inzwischen ueber 70, lebe schon seit langem wieder auf dem Schloss ihrer Familie. Nachdem sich ihr ebenfalls adeliger Cousin in Goa mit Heroin tot gespritzt hatte, war sie zurueck gekehrt, desillusioniert und mit Hepatitis C infiziert. Eric, der beste Acid-Hersteller, Dealer und Freund starb einen unruehmlichen Tod: Beleibt und stets schwitzend, bekam er durch die vielen um ihn herum gruppierten Ventilatoren eine Lungenentzuendung. Und von den meisten anderen wisse er, dass sie heimgekehrt seien. Einige schon Anfang der 80er Jahre, einige spaeter, als die Technowelle Goa erfasste. Er selbst habe Goa 1997 verlassen, um seiner Tochter eine gute Ausbildung zu ermoeglichen und sich eine bessere medizinische Versorgung.
VI. Abschied
Als wir uns spaet abends trennen, frage ich ihn, ob er traurig sei, dass die alten Zeiten offenbar endgueltig Vergangenheit sind. Claude antwortet philosophisch: "Kindchen, ich habe so viel Leben gehabt, dass es fuer drei gereicht haette. Irgendwann wird es Zeit fuer den Ruhestand." Wir lachen und tauschen Visitenkarten aus. Der letzte Hippie von Goa muss frueh raus, seinen Flug nach Paris darf er nicht verpassen.
Nachtrag: Schade, denke ich, die Geschichte musst du wohl abschreiben. Frustriert gehe ich in mein Zimmer. Im Bad sehe ich mich im Spiegel: Sonnenverbranntes Gesicht, immer noch den Schal um die Stirn gewickelt, den roten Punkt auf der Stirn. Ich muss lachen. Den letzten Hippie habe ich wohl gerade vor mir.
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So ein ganz normales Rentnerfeeling scheint sich dann doch mit den Jahren bei allen Helden einzustellen, das beruhigt mich sehr :-)
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