Verhakt.

Um meine Füße zieht das klare Wasser kleine, spielerische Kreise. Eine rote Spur rinnt an meinem Oberschenkel entlang und entlässt zierliche Tropfen ins Wasser, die sich in Wirbeln langsam auflösen. Ich trage ein schimmerndes Kleid aus Haken, an denen durchsichtige Fäden hängen. Ein leises Klirren, Sirren bei jeder Bewegung, die Fäden spannen sich, ich weiche zurück. Gespannte Haut, durchbohrt, fängt an zu reißen. Rotes Fleisch darunter, feine Muskelfasern wie Muster eines wunderbar gewebten Stoffes. Menschenstoff. Immer mehr Fäden straffen sich, Hautdreiecke mit Haken an den Enden, letzte Verbindung zum Element. Blutige Ströme fließen über meinen Körper, rotes Wasser, rotes Meer. In einem opalbleichen Himmel hängt eine kraftlose Sonne.

„Von den Rotbarben hätte ich gern noch drei Stück“, sage ich und finde, dass der Fisch wunderbar frisch aussieht.

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Diese Zeit.

An einem schönen Sommertag war die Welt plötzlich einige Grade dunkler. Ich wurde das erste Mal in meinem Leben entlassen. Gut, wenn man die zweieinhalb Wochen in einer PR-Beratung bei einem ganz und gar unmöglichen Chef, der übrigens immer noch und immer wieder Leute sucht, und ich verrate jedem gern auf Anfrage, um wen es sich handelt, denn empfehlen kann ich diesen Arbeitgeber nicht, na, jedenfalls, wenn man diese Kündigung, die ich ja dann auch gern akzeptiert habe, übersieht, dann war es meine erste Entlassung.
Beim ersten Mal tut es ja noch besonders weh, heißt es für die Liebe, aber da habe ich mehr Erfahrung und kann nur sagen: Leute, es tut immer gleich weh, wenn man liebt und entlassen wird. Ich bin schon zwei-, dreimal entlassen worden, und weiß, wovon ich rede. Gerade der Letzte vor einigen Wochen, der hat mich quasi entlassen, oder ich ihn, wie auch immer. Also war ich gezwungen, mich zu entlieben oder versuche es zumindest.
Nun habe ich meinen letzten Arbeitgeber nicht gerade geliebt, aber manchmal machte der Job Spaß. Und alles, was Spaß macht, gibt Kraft und Lebenssaft. Beides an diesem schönen Sommertag weg. Es wurde dunkel. Viereinhalb lange Monate ohne Licht sind hart.
Mit der Entlassung verschwand das Geld, nur 60 Prozent von einem ohnehin für meine Qualifikation nicht gerade üppigen Gehalt bleiben, gerade genug zum Überleben. Mit der Entlassung verschwand aber auch all jenes, von dem ich bislang dachte, dass es meine Persönlichkeit ausmacht: Der Mut, quer zu denken, zum Beispiel, verschwand fast sofort. Der Fokus verengte sich auf das Ertragbare, nicht auf das Mögliche. Ich fing an, mir selbst Grenzen zu setzen. Dann verlor ich das Lachen. An einem nicht mehr ganz so warmen Spätsommertag hingen meine Mundwinkel tiefer als der Marianengraben. Und wollten und wollten sich nicht mehr heben. Dann ging an einem Tag im September das Selbstbewusstsein flöten. Du bist arbeitslos. Keiner will dich. 50 Bewerbungen. 14 Vorstellungspräche. Vier zweite Runden. Kein Job. Keiner will dich.
Du verkaufst dich als Freie, schreibst, schreibst, schreibst, und die Auftraggeber kommen dir vor wie Freier, die wissen, du würdest irgendwann alles tun, ohne Gummi, ohne Schutz, nur, um das zu haben, was dir früher so wichtig war: Den täglichen Schuss Arbeit.
Irgendwann kommt der Tag, an dem dir alles egal ist. An dem du trotz deiner täglichen Disziplinarmaßnahmen (Aufstehen um acht, spätestens um neun am Schreibtisch und dann durchschreiben und –bewerben bis halb sechs) keine Lust mehr hast auf das Draußen. Die Wohnung wird erst zur schützenden Höhle, dann zum Gefängnis. 56 Quadratmeter Gefängnis. 56 Quadratmeter Hölle.
Wenn du auf die Straße gehst, dann kommst du dir vor wie ein Stigmatisierter: Die sehen es alle. Du bist arbeitslos. Nicht mal ein Alibi-Kind kannst du vorweisen. Die Welt ist dunkler als schwarz, und nur der Erhaltenstrieb, den du dir nach der Lebensentscheidung vor einigen Jahren angeeignet hast, bringt dich dazu, jeden Tag wieder aufzustehen.
Auf einmal klappt es dann doch, ganz unvermutet, wozu Beziehungen gut sein können, weißt du jetzt, und du schwörst, dass du in Zukunft für andere Menschen genau das tun wirst, was da jemand für dich getan hat: Mitdenken. Mitfühlen. Eine bislang unterentwickelte Tugend bei dir.

Was man in solchen Zeiten lernt? Überleben. Demut. Mut. Dass meine Persönlichkeit aus mehr besteht als meinem Job und dessen positiver Beigaben. Zähigkeit, Durchsetzungskraft, Flexibilität, Willensstärke. Und nicht zuletzt, dass mich meine Freunde ertragen, egal, wie weinerlich ich manchmal war, wie unerträglich deprimiert und oft extrem aggressiv. Vielleicht hätte ich es nie gelernt, wenn ich nicht entlassen worden wäre. Aber noch mal, nö, noch mal muss das nicht sein.

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Phobie.

Möchte jemand vielleicht heute meinen Zahnarzttermin für mich wahrnehmen?

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Wieder.

Furcht vor Weihnachtsliedern, denen man bald weder im Supermarkt noch im Radio auskommen kann, Was-machst-du-Silvester-Fragen, die man weder beantworten kann noch will, Quittenwein, Quittenlikör, Quittenschnaps, Quittengelee im Paket, ich liebe Substistenzwirtschaft, aber ich hasse die vormundlichen Briefe dazu, Saudade, dunkle Welt draußen, drinnen, Kerzenschein. Take a Rest.

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Genesungsschnipsel.

+++ Die Teilnahme an den offiziellen Darwin Awards ist auf unbestimmte Zeit aufgeschoben.

+++ Zu akzeptieren, dass man einfach nicht die Kraft hat alltägliche Dinge zu bewältigen ist keine Schwäche.

+++ Ein "Ich liebe Dich" ist manchmal auch nur ein Muster ohne Wert.

+++ Für Versorgungsengpässe: Einfach mal den Nachbarn bitten.

+++ Nach so vielen Röntgenstrahlen, die schon durch meinen Körper gewandert sind, sollte ich eigentlich von Kindern absehen.

+++ "Ach, Schädelbruch hatten wir auch schon! Sie versuchen's wohl trotzdem weiter, wie?" (Ich mag Ärzte-Humor.)

+++ Dank für die guten Wünsche.

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Surfunfall.

Diagnose: Gehirnerschütterung. Daher erst einmal eine kleine Pause. Bis Mittwoch.

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Phantomschmerz.

Ich vermisse meinen Verstand.

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Albmahr.

Da sitzt er auf meiner Brust und grinst. Nach Atem ringend versuche ich ihn zu schlagen, auf dass er verschwinde und nie wiederkehre. Noch im Ausholen springt er behände hoch und landet mit einem dumpfen Schlag in meiner Magengrube. Mir wird übel, noch mehr als bei den Bildern die ich gerade im Traum sehen musste: Zwei Körper, die übereinander kriechen, in leidenschaftlicher Umarmung, murmelnd, stöhnend. Der Hass, den ich dabei empfinde, ihn zu sehen, wie er eine Andere zum Gegenstand seines Begehrens macht. Der Vertrauensbruch klebt an mir wie Pech, zäh und schleimig. Der Albmahr bohrt seinen linken Zeigefinger in mein Herz und murmelt schelmisch: "Schlaf schön und träume süß."

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Herbst.

Es ist offiziell: Der Herbst hat Einzug gehalten. Seit gestern macht er sich durch das laute 'Plonk, Plonk' der auf den Mülltonnen im Hinterhof aufschlagenden Kastanien bemerkbar. Trost findet man dieser Tage gern bei Dichtern.

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.


(Rainer Maria Rilke, Herbst)

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Wahllos.

Wie in einer Quizshow fühlte ich mich als ich aus der Wahlkabine trat. Kaum Gewinne, viele Nieten.

Deutschland, wohin gehst du? Mit wem hältst du Händchen, flirtest augenzwinkernd, weil es der begehrteste Partner war, obwohl dir der kleine, dicke Versager dort hinten besser gefallen hätte?
Ach, strategische Überlegungen waren es, antwortest du. Das kann ich dir nicht ganz glauben. Bist du in Wirklichkeit nicht doch so, wie der Stall aus dem du kommst: Spießíg, piefig und konservativen Wertvorstellungen zugeneigt?
Protest, schreit es aus dir heraus. Ich wollte doch nur das Beste für alle. Arbeit, Wohlstand, billigeres Benzin. Haha, da muss ich lachen, das Beste für alle? Du Lügner, du willst nur das Beste für dich, weil du an die alten Darwinschen Regeln glaubst. Und du willst unbedingt zu den Starken gehören, der Elite, obwohl du nur Mittelmaß bist. Und du verachtest diejenigen, die den Bodensatz bilden. Dabei stehst du selbst am Rand dessen, was du als "Abgrund der Armut" bezeichnest.
Na, was sollte ich denn sonst tun, fragst du beleidigt. Darauf kann ich dir nur eine Antwort geben: Wenn du deine Überzeugungen einmal verraten hast, wirst du es immer wieder tun. Das nächste Mal hörst du auf dein Herz, okay?

Die Lichter der Show gehen aus. Sie haben gewählt. Und das wäre Ihr Preis gewesen.

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