Schwanger.

Nachdem der Ficus beharrlich schweigt und mittlerweile auch das Kissen trotzig und verstaubt auf dem Sofa liegt und nicht mehr mit mir diskutiert, habe ich zum Äußersten gegriffen: Ich habe mich mit meinem Spiegelbild befasst.

"Hey, Spiegelbild, was kannst du mir heute Schönes sagen?", frage ich mein Gegenüber.
Das ist offensichtlich um kurz vor halb neun noch nicht gut aufgelegt: "Lass mich doch in Ruhe. Außerdem siehst du heute Scheiße aus!"
Was für ein netter Morgengruß. Ich lasse mich nicht entmutigen: "Danke, dir auch einen guten Morgen. Du dagegen siehst toll aus, wie immer um diese Uhrzeit."

Das wirkt offensichtlich. Schon verzieht sich ihr Mund zu einem Lächeln. "Na, gut. Dann wollen wir mal: Also, deine Haare liegen heute wirklich fantastisch, das Holderneck-Oberteil lässt deine braunen Schultern gut zur Geltung kommen und deine Augen blitzen wie Edelsteine aus dem Gesicht."
Jetzt übertreibt mein Spiegelbild es aber. "Komm, übertreib nicht", sage ich prompt. "Aber trotzdem danke. Das hört man gern."
Schon sieht sie wieder motzig aus. Aufgeworfene Schmollschnute inklusive. "Pah, dann eben wieder die ganz normale Morgenmuffeltour. Deine Fältchen werden langsam zu San-Andreas-Gräben, dafür polsterst du mit der ewigen Schokolade-Fresserei den Rest gut aus. Außerdem siehst du aus wie schwanger."

Ich erbleiche. Wie kommt sie denn darauf? Der Test letzte Woche war negativ, und das sexuelle Leben meiner Topfpflanzen ist ausschweifender als mein eigenes. Daran wird sich in naher Zukunft wohl auch nichts ändern. Oder weiß sie etwas, von dem ich noch nichts ahne? Die Aufklärung folgt auf dem Fuß: "Guck dir doch mal deinen Bauch an. Das ist mindestens vierter Monat."

Quatsch! Die spinnt. Ich ergehe mich in lahmen Erklärungen über mangelnde Bewegung, die Fesseln des Schreibtischs und einige andere Gründe. Das will sie alles nicht gelten lassen: "Weißt du was, meine Liebe? Das ist eine ausgeprägte Lebensmittelschwangerschaft. Denk mal drüber nach. Und jetzt Tschüss."
Sie wendet sich ab, nicht ohne mir vorher noch einmal in den Bauch gekniffen zu haben. Na, toll: Nach Ficus und Kissen redet jetzt auch mein Spiegelbild nicht mehr mit mir. Und schwanger bin ich auch noch. Lebensmittelschwanger. Wo war noch gleich die Schokolade?

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