Kollektivorgasmus.

Als sie die Bühne betreten, ist die Luft in der Halle noch so klar wie ein Bergsee. Doch nur fünf Minuten später brennt sie wie die Hölle. Aus mindestens 3000 Kehlen fährt in der Berliner Arena ein Schrei: "Pla-ce-bo, Pla-ce-bo!"

Lucky raunt mir zu: "Lass die mal ein bisschen in Fahrt kommen und dann schlängeln wir uns nach vorne durch!" Das zeugt von jahrelanger Konzertbesuchererfahrung und bringt uns tatsächlich knappe sieben Meter Luftlinie direkt vor Brian Molko.

Begegnete einem Brian Molko oder eines seiner Bandmitglieder auf der Straße, könnte man ihn glatt mit einem Philosophie- oder Publizistikstudenten verwechseln. So einem, der es ernst meint mit dem Leben, der Liebe und dem Sein. Gut, ein bisschen möchte er sich abheben von der Masse, daher sind die Haare stoppelkurz oder gar zu einem Iro gestutzt wie bei Bassist Stefan Olsdal. Aber gut erzogen ist er allemal, die Eltern machten irgendwas in der Wirtschaft oder sind Juristen oder Diplomaten. Die Jugend verbrachte er in Privatschulen, hin- und hergerissen zwischen Wohlanständigkeit und den kleinen Versuchungen: Koks, Marihuana, Special K., Mädchen.
Alles ganz normal. Glücklicherweise entschied er sich gegen eine Karriere nach dem Vorbild der Eltern und gründete eine Band. Aber genug der wikipediatrischen Erzählungen. Verdammt, was für ein Abend!

Nicht nur, dass Placebo die Luft zum Brennen brachten, nein, sie verursachten meinen schlimmsten Pogo-Rückfall seit den 80ern. Wohlgemerkt auf 7 Zentimeter Stilettos. Aber so erkämpften wir uns den nötigen Raum und Luft, um aus Leibeskräften mitzugrölen und endlich, endlich zu ergründen, warum Bassisten die sexiesten Musiker sind. Ein Bass ist ein Bass ist ein Bass ist ein Körper ist mein Körper. Und das, was Stefan Olsdal (leider schwul) da mit seinem Instrument veranstaltete, war purer Sex. Nicht mehr aber auch nicht weniger.

Da betrübt es einen dann auch nicht weiter, dass wir die Kate-Bush-Coverversion von Running Up That Hill noch im Original in der Hitparade verfolgt hatten und das Gros des Publikums locker zehn Jahre jünger ist. Denn ich hatte meinen Orgasmus. Wie 3000 Andere auch.

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Gen-Signatur.

Nach 143 unterschriebenen Weihnachtskarten die Erkenntnis: Meine Signatur wird der meines Vaters und der meiner Großmutter immer ähnlicher.
Heißt: Ich kann jetzt besser fälschen.

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Kantinensprüche.

Des Morgens, wenn ich mir in der Kantine des Grauens das einzig Essbare - belegte Brötchen galore - hole, sitzt Frau Krämer an der Kasse. Frau Krämer trägt ihr Namensschild nicht so wie andere Kantinenkassiererinnen auf der rechten Brusttasche ihres Kittels, sondern hat es am linken Kragen angesteckt. Auch sonst ist Frau Krämer eine echt Extravagante. Während die anderen Damen beim gemeinsamen Friseurbesuch einen Mengenrabatt für Schwedisch-Blond herausgehandelt haben, findet sich Frau Krämer in Mahagoni hübscher. Leider ergibt das in Kombination mit ihrem rosafarbenen Kittel einen vor neun Uhr schwer zu ertragenden Schlag für den Sehnerv.
Der Hörnerv wiederum wird durch den immer gleichen Spruch nachhaltig geschädigt. Wenn ich nach meinem Kleingeld krame, plustert sich Frau Krämer ein wenig, ruckelt sich auf ihrem Drehstuhl zurecht und sagt: "Nun mal nicht so hektisch. Wir sind auf der Arbeit und nicht auf der Flucht."

Ich werde sie demnächst mit der großen Kelle, aus der die Käsemörtelsoße für die Backsteintortellini geschöpft werden, erschlagen müssen.

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Übel.

Nie wieder Tintenfischringe.

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Hölle.

Die ganz alltägliche Berufshölle.

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Ende.

Ende.

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Begriffsstutzig.

"Kein größerer Schaden kann einer Nation zugefügt werden, als wenn man ihr den Nationalcharakter, die Eigenheit ihres Geistes und ihrer Sprache nimmt."
(Immanuel Kant)


Heute stolperte ich bei SPON das erste Mal über einen Begriff, der mir sofort einen Schauder über den Rücken jagte: Kaufmänner.
Nun stamme ich nicht nur aus einer weitverzweigten Familie von Psychopathen, Spinnern und Selbstmördern, sondern auch aus einer Dynastie von Kaufleuten. Und wurde - nach einigen Irrungen und Wirrungen - selbst mit einem akademischen Grad in dieser Wissenschaft geehrt.

Ja, ich darf mich sogar mit meiner genderspezifischen Berufsbezeichnung schmücken, etwas, was mir ja seit jeher unglaublich wichtig war, halte ich es mit der Gleichberechtigung wie Faust weiland mit der Gretchenfrage: "Sag, wie hältst du's mit der Hausarbeit?"
Erfreut nenne ich mich also Kauffrau mit Diplom und verdiene eifrig meine Brötchen mit Arbeiten, die nur annähernd mit dieser Ausbildung zu tun haben. Von meinem Arbeitsplatz kann ich sogar deutlich die gläserne Decke sehen, welche mir die Leitungsposition verwehren wird. Wenn alles so läuft wie es läuft in dieser Branche.

Indes, nur im Plural sind wir stark, und so wird aus der einsam für die Gleichberechtigung im Arbeitsleben kämpfenden Kauffrau das umgangssprachliche Heer der Kauffrauen. Doch der Mann gilt nach wie vor als Einzelkämpfer. Mit Kalkül und Vetternwirtschaft erklomm er nach und nach die Stufen auf der Karriereleiter, aber im Plural versagte er: Kaufleute durften sich die Herren bislang nur nennen. Aber jetzt, endlich, erfolgt die längst überfällige Unterstützung durch die Rechtschreibreform. Im Duden steht geschrieben, dass die Mehrzahl von Kaufmann nunmehr Kaufmänner lauten müsse (oder könne? - das überlasse man dem täglichen Sprachgebrauch und dem Rechtschreibprogramm des PC).

Männer, ich bin stolz auf euch. Ihr habt innerhalb kürzester Zeit geschafft, wofür wir Frauen Jahrhunderte gebraucht haben: Ihr habt eure eigene Mehrheit.

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Bildlich.

Die BI*D-Zeitung druckt selbstverständlich nichts als die Wahrheit. Oder jedenfalls meistens. Aber manchmal druckt sie gern ihre eigenen Wahrheiten.

Heute empört sie sich über den HSV-Kicker Thimothee Atouba, der den ihn bei seiner Auswechslung ausbuhenden und -pfeifenden Fans den Stinkefinger gezeigt hatte. Gut, das ist wirklich kein feiner Zug, das wissen wir spätestens seit Effenberg und deshalb wurde er auch vom Verein für zwei Spiele gesperrt und muss ein Strafgeld zahlen. Entschuldigt hat er sich auch - bei Mannschaft und den Fans.

BI*D sieht dennoch einen Skandal für den deutschen Fussball. Denn:

Erstens hat sich Atouba bei der Mannschaft "in Englisch" entschuldigt. Nee, schon klar. Nicht mal die deutsche Sprache kann der. Geht nicht.

Zweitens findet BI*D es unmöglich, dass Atouba die Entschuldigung an die Fans durch seinen - und den des Vereins - Pressesprecher verlesen lässt. Hmmm. Ich weiß ja nicht, was sonst die Funktion eines Vereinssprechers ist, wenn nicht die Mitteilungen weiterzugeben, die Spieler und Verein an die Öffentlichkeit richten. Aber: Hätte Atouba ja sowieso nicht machen können. Spricht nur Englisch, der Mann.

Drittens: BI*D vermutet offenbar, dass der Vereinsvorstand ein Schlaffi ist. Und dass die Spieler alle dumm wie Brot sind. Denn sowohl der Vereinsvorstand als auch die Mitspieler Atoubas stehen zu ihm. Geht doch gar nicht. Wenn BI*D das nicht gut findet, hätten sie Atouba doch rausschmeißen müssen, ausweisen sogar.

Und viertens verdient der Kerl auch noch mehr Geld als ein Hartz IV-Empfänger. Schweinerei.

Interessante Wahrheiten. Auch, wenn man sich eigentlich gar nicht für Fußball interessiert wie ich.

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Nachtigallig.

"Aufstehen!" brüllt mir der Wecker entgegen, der einzige, der mich seit den Siebziger Jahren täglich verlässlich wachbekommt. Sein Röhren ist eine Mischung aus Hirschgebrüll und Feueralarm und hat bei etlichen Mitschläfern und -aufwachern arge Irritationen hervorgerufen.

Es gibt Nachtigallen und Lerchen, das wissen wir spätestens seit Shakespeare. War Romeo eine Nachtigall, also ein Mensch, der spät ins Bett findet, dafür aber hoch kreativ in den Abendstunden wirkt? Zum Beispiel seiner Angebeteten kleine Ridicules zur Nacht ins Ohr flüstert oder gar Ständchen unter Balkonen singt. Und war Julia eine Frühaufsteherin, die sogar morgens um sieben ihren strengen Anverwandten einen liebreizenden Anblick bietet? Nicht umsonst wird sie wohl - in leicht genervtem Tonfall, vermute ich - die Lerche ins Spiel gebracht haben, um endlich schlafen zu können. Man weiß es nicht. Immerhin sind beide tot, aber eine Ehe zwischen den Vorzeigeliebenden wäre sicherlich sowieso nie gut gegangen.

Der Wecker röhrt, und ich schlage ihn in Lichtgeschwindigkeit aus. Egal, das Mistding hält schon 30 Jahre, wird die Schläge schon überleben. Morgens bin ich brutal. "Du musst aufstehen, es ist viertel nach sechs", flüstere ich dem Gentleman zart ins Ohr und versuche gleichzeitig, den Öffnungszustand meines linken Auges dem des rechten anzupassen. Der beste Mitschläfer der Welt grummelt etwas und dreht sich noch einmal für wenigstens fünf Minuten um.
Von irgendwoher singt eine Lerche ihr frühes Lied. Gleichzeitig greifen wir zu einem Holzscheit und werfen sie tot.

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Wortschnittchens Horoskope 2007: Fische.

Liebe Fische, es tut mir ein wenig leid. Aber die Sterne können ja nicht immer nur hell strahlen, und insbesondere für Fische wird das nächste Jahr eines jener, die zum Durchhalten ermutigen.

Nein, Fische hatten es in 2006 nicht immer leicht. Sie wurden gewogen und gelegentlich für zu leicht befunden. Ungnädige Chefs, verschmähende Liebhaber oder ganz allgemein die Unbilden des täglichen Lebens hielten die Wassertiere davon ab sich dem zu widmen, was sie gemeinhin am liebsten tun: Träumen, faulenzen und an intellektuellen Luftschlössern herumwerkeln.

In 2007 wird die Sache zwar nicht unbedingt leichter, aber durch die größte Tugend der Fischegeborenen lässt sich so manche Klippe umschiffen. Mit an Mutter Theresa gemahnender Geduld können Fische vieles aussitzen, was andere schon zur Weißglut gebracht hätte. So zeigt sich, dass manche Schwierigkeit letztendlich ihr Gutes hatte und hinterlässt einen gereiften und deutlich zufriedeneren Fisch am Ende des kommenden Jahres.

Echte Höhepunkte hat der Frühsommer parat: Alte Freunde kommen zu Besuch und bringen neben Erinnerungen auch einen gut gefüllten Picknickkorb mit.
Die Sterne haben aber für die genusssüchtigen und gelegentlich maßlosen Fische einen guten Rat parat: Finger weg von allem, was süchtig macht! Schokolade, Drogen, Alkohol sind ab sofort zwar nicht tabu, aber nur noch in homöopathischen Dosen zu genießen. Denn in 2007 wird eines wirklich wichtig: Nüchternheit. Dann kommt die Gelassenheit von ganz allein.

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Wortschnittchens Horoskope 2007: Wassermann.

Ja, ich habe mir Zeit gelassen. Der Himmel war so oft rosarot bewölkt, dass ich kaum in die Sterne sehen konnte. Aber heute war es unvermutet klar, und ich habe in die Zukunft geschaut. Für Sie, liebe Leser, gibt es exklusiv und kostenlos das Horoskop 2007 bei Wortschnittchen. Bevor sich mein Himmel sofort wieder (rosarot) bewölkt, starten wir also mit dem Wassermann, dem sympathischsten Zeichen im Tierkreis (und selbstredend meinem eigenen).

Should I Stay Or Should I Go Now? Wassermänner haben 2006 ihre Entscheidung getroffen. Typisch Luftzeichen ging dem eine eingehende Situationsanalyse voran, die in einem scheinbar spontanen Befreiungsschlag gipfelte. Die darauf folgenden Turbulenzen wirbelten des Wassermanns Leben ganz schön durcheinander. Neue Beziehungskiste oder eine alte in neuer Frische, ein Umzug, neuer Job - egal, wie sich die Entscheidung auswirkte: Der Wassermann geht gestärkt und glücklicher ins nächste Jahr als er zu Beginn des vergehenden vermutete.
Auch in 2007 wirken die getroffenen Entscheidungen noch fort. Neue Lebenskonzepte werden entwickelt und aus scheinbar nebensächlichen Erkenntnissen wächst die Basis für eine solide Zukunft - wenn der Wassermann sich eines hinter die Ohren schreibt: Es gibt kein Recht auf Glücklichsein. Aber die Pflicht, es zu versuchen.

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Prüfung.

Der erste Blick entscheidet. Fest sehen sie einander in die Augen, ein Händedruck, männlich markant. Jetzt ist der Moment, in dem sich entscheidet, ob sie das lockere Du nutzen werden oder das formelle Sie.

Am Ende der zwei Tage sind sie sich einig. Die Übergabe erfolgt inoffiziell. "Der ist ok", sagt der Vater in einer Toilettenabwesenheit. Obwohl ich es ohnehin wusste, bin ich erleichtert.

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Klang.

Während die Wintersonne über den Horizont lugt und zwei Spatzen versuchen, die morgendliche Kälte aus dem Gefieder zu schütteln, klingt in meinen Ohren The Sunny Side Up.

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