1.146 Km Heimat.

Heimat sei kein Ort, sondern ein Zustand im Kopf, sagt Fatih Akin. Also verfrachte ich meinen Kopf mitsamt Anhang zur Familie, die sich nach ihrem endgültigen Zerfall in kleine Fragmente über ganz Hessen verteilt. Ich fahre über weite, gerade ergrünende Felder, durch noch kahle Wälder an Orten vorbei, die auf -hausen, -berg, -hain oder -rod enden und so sauber sind, als würden sie sich alle für den Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ bereit machen. Fachwerkhäuser, viele mit Hof, alle mit Rüschengardinen und mindestens einem Alpenveilchen im Fenster.
Wahrscheinlich essen sie hinter den Gardinen gerade Bratwurst mit Blumenkohl in einer fettigen Sauce. Danach gibt es ein Mittagsschläfchen: Vati auf dem Sofa in der guten Stube, während Mutti hinter verschlossener Küchentüre abwäscht, damit er nicht gestört wird. Die Kinder sind schon lange aus dem Haus und arbeiten in der Großstadt. Nicht mal am Wochenende haben sie Zeit, die Eltern zu besuchen. Aber Weihnachten, dann. Allerspätestens.

So selten, sagt sie. Es gibt Kaffee, aufgewärmt und ein Glas Wasser. Lange kann ich nicht bleiben, es warten noch andere auf meine Besuche, ich werde nicht hier übernachten, es gibt ohnehin kein Zimmer mehr für mich, weil ich nie hier gewohnt habe. Ein Wochenende ist kurz, wenn man viele Bedürfnisse befriedigen muss. Sie sitzt auf dem Sofa, hat sich extra schick gemacht: Rosa T-Shirt und Jeans, eine passende Strickjacke. Schlohweiße Haare, ein wenig zerzaust, der Lippenstift ist etwas über das Lippenrot gerutscht. Die Hände sind nicht mehr so sicher, zittern unablässig, wenn sie nicht gerade eine Waschbewegung macht - ohne Wasser. Denn Wasser ist in diesem Haushalt in den letzen Jahren rar geworden, Hochprozentiges dagegen immer vorhanden.
Ich zeige ihr die Fotos meiner Indienreise. Allein durch Indien, das könnte ich nie, sagt sie, und für einen kurzen Moment wird ihr Blick klar. Können hat auch immer etwas mit Wollen zu tun, denke ich und daran, dass sie so fast immer bekommen hat, was sie wollte.
„Bist du wirklich meine Tochter?“, fragt sie unvermittelt, als das letzte Foto angesehen, die letzte Geschichte erzählt ist. Das habe ich mich oft gefragt. „Du bist so anders als ich“, fügt sie hinzu. Ich weiß, was jetzt kommt. Er kommt wieder ins Spiel. Er, der sie allein gelassen hat, um eine Reise nach Marokko zu machen, sein Traumland, in das sie nie mitwollte. Ich sei wie er. Bin ich das wirklich? Sie schimpft eine Weile über ihn und über den letzten Ehemann, dann wird sie ruhig. Die Zeit der Wutanfälle und Ausbrüche ist vorbei, das ist das einzig Gute am Verlauf dieser Krankheit.
Es bleibt nur, abzuwarten. Auf den Tag, an dem nichts mehr geht. Das ist nicht einfach. Man möchte für jemand Anderen kämpfen und kann doch nichts tun. Die Kraft fehlt, auch die Kraft, zu bleiben, das nächtliche Herumgetapere zu ertragen, das Aufschrecken, wenn sie ans Bett kommt „um zu sehen, ob du schon wach bist“ - um vier Uhr früh.

Nach einigen Stunden fahre ich eine Ortschaft weiter, zum väterlichen Ratgeber. Wir gehen essen, er erzählt mir von seiner neuen Freundin. Eine Frau, die ganz im Leben steht. Zehn Jahre älter als er, Apothekerin. Auf dem Foto eine über das ganze Gesicht lachende Frau, etwas rundlich, die resolut den Wanderstock aufstützt. Er sei glücklicher als in den letzten fünfzehn Jahren zuvor. Ich freue mich für ihn. Man hat nicht oft das Glück, jemanden zu finden, mit dem Glück möglich ist. Die Scheidung war für ihn eine Erlösung. Für die Frau, die ein paar Kilometer entfernt im Halbdunklen vor dem Fernseher sitzt, eine Flasche in der Hand, gibt es wohl keine Erlösung.
„Du bist mir wie eine Tochter“, sagt er. Er ist für mich wie ein Vater, obwohl ich ihn nie so genannt habe. Zum Abschied steckt er mir Geld zu: Für deinen nächsten Urlaub, ich bin stolz auf dich, sagt er, mach weiter so. Ich fahre ins Hotel und schlafe traumlos.

Am nächsten Tag spule ich noch einmal hundert Kilometer ab. Die mittelgroße Stadt am Fluss, wo ich aufgewachsen bin, hat sich nicht verändert. Es ist eine Stadt, wo Schnauzbärte keine Modeerscheinung sind sondern zum Mann dazugehören wie der wöchentliche Friseurtermin mit Waschen, Schneiden, Legen zu den Frauen. Es fällt auf, dass der Putz überall ein wenig mehr blättert als beim letzten Besuch.
Heute ist ein besonderer Tag, ich bin in die Villa eingeladen. Er holt mich am Tor ab. „Bist du gewachsen oder bin ich geschrumpft“, fragt er zur Begrüßung und lächelt. Ich bleibe ihm eine Antwort schuldig, erschrocken. Vor einem Jahr haben wir uns zuletzt gesehen, aber seitdem ist er ein Jahrzehnt gealtert. Ich werde von den Orgelpfeifen mit Handschlag begrüßt und lache insgeheim über die Ähnlichkeit zwischen meinem Halbbruder und mir. Wir haben die gleiche Ohrform, mit der wir beide nicht ganz glücklich sind. Die beiden Mädchen sind hübsch aber ein wenig breit und werden sicher ihrer Mutter nachgeraten, ein Jammer.

Wir sitzen im Salon, wo früher meine Großmutter auf dem Biedermeiersofa residierte und mir den ersten Campari Orange meines Lebens anbot. Man kann von dort den Fluss überblicken, das Grundstück ging früher bis ans Wasser, wo im Sommer die Binnenschiffer ihre Schuten an riesigen Pollern vertäuten. Viele Holländer, immer freundlich, oft mit ihren blonden, sonnenverbrannten Frauen, die mir ein Glas Limonade anboten, der kleinen Rotzgöre mit den Rattenzöpfen, der der fremdländische Dialekt ihrer Stimmen verheißungsvoll nach Abenteuer klang.

Nach dem Essen möchte er die Fotos aus Indien sehen. Er erzählt von seinen Reisen, die er allesamt in den kurzen Jahren zwischen der Scheidung und der zweiten Heirat machte. Kenia, Russland, Argentinien. Wir lachen und tauschen Reiseerfahrungen aus. Wasser kann man nicht überall trinken, Alkohol schon, sagt er und erntet einen strafenden Blick von seiner Frau, die sich bewundernswert freundlich zeigt. A propos, wie geht es ihr, fragt er. Seine Frau verschwindet in die Küche, will von der Ersten nichts hören, der Schönheit, die immer wie ein Phantom im Hintergrund weiter mit ihm verheiratet war.
Wir sehen die letzten Fotos an. „Du bist schon sehr meine Tochter“, sagt er und es klingt ein bisschen stolz. Als wir uns verabschieden, ist sein Mund ganz schmal, wie immer, wenn er seine Gefühle nicht zeigen will. Besuch mich doch mal, sage ich. Meine Heimat ist auch schön.

Ich finde, Fatih Akin hat Unrecht. Heimat ist ein Ort im Herzen, und ein ganz kleines Stückchen Heimat ist überall dort, wo die leben, die einem wichtig sind. Auch wenn ich 1.146 Kilometer fahren muss, um alle Fragmente Heimat aufzusammeln.

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Tagesschnipsel.

Das Auto gerade verkauft. Womit fahre ich nächste Woche zur Arbeit? Spontane Entscheidungen.

Hilfe angeboten. Abgelehnt. Dann eben nicht.

Wohlfühlfreitag, weil freier Tag.

On the road, Morgen, Kilometer abspulen. Was wartet dort auf mich?

Schlüsselübergabe. Kind, vergiss die Schlüssel nicht!

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Lesungskritik.

Knuspi hat die Essenz der Lesung gezogen. Lesebefehl!

An dieser Stelle meinen Dank an alle Beteiligten, Johnny Spreeblick (und Frau), der ein wunderbarer Gastgeber ist, an Don A. & Don D., die das Ganze angeschoben und vorher meine schwitzigen Händchen gehalten und etwaige Magenprobleme mit den Leckereien der Bäckerei Stern bekämpften, an Modeste und Chile, den besten Mitstreiterinnen, die man sich vorstellen kann, an den Dönerladen am Helmholtzplatz, der auch nachts um zwei noch halbwegs Essbares produziert - und an die Leser der Blogs und das Publikum des Abends, das hoffentlich einen Heidenspaß hatte.

Nachtrag: Bei Johnny gibt's jetzt auch Fotos zu sehen!

Hier die gelesenen Texte (die anderen Lesenden haben die ihren auch verlinkt):

Samenschleuder.
Kleine Essen unter Freunden.
Horst.

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Nachricht.

Natürlich habe ich Ausschau gehalten. Zur ohnehin schon nicht ganz geringen Nervosität vor der ersten Lesung meines Lebens kam noch hinzu, dass es unser erstes Wiedersehen nach sechs Monaten gewesen wäre. Dennoch und gerade deswegen, es wäre ein guter, ein öffentlicher, Anlass gewesen sich zu sehen.

So manch erstes Treffen nach einer Trennung gerät zum erneuten emotionalen Desaster. Ich erinnere mich an den großen M., der mir einmal sehr unvermutet in einer Bar über den Weg lief, drei Monate nachdem er mich verlassen hatte - mit dem Satz: "Ich liebe dich nur noch zu etwa 30 Prozent. Das reicht nicht." Er war Ingenieur, das erklärt einiges.
Ein sehr überraschendes Wiedersehen, das mir die Sinne schwinden ließ: Ich fiel in Ohnmacht. Mein Begleiter versuchte mich zu reanimieren, während ich mehrfach aus den gnädigen Tiefen des mentalen Offs auftauchte und wieder in sie verschwand. Der Abend endete im Krankenhaus, mit einer Vitaminspritze und dem guten Rat des Arztes, doch ein bisschen mehr zu essen und auf mich zu achten.

Ganz so dramatisch verlaufen Wiedersehen heute nicht mehr. Man wird älter, abgebrühter oder hat zumindest seine Emotionen in der Öffentlichkeit besser im Griff. Zudem hilft der Zeitablauf, Verletzungen im milden Licht des Verwindens zu betrachten und neue Begleiter tun ebenfalls ihr Übriges dazu, den Gefühlsabstand zu vergrößern.

Das letzte Mal, als ich den Fuchs sah, hielten wir uns im Arm und weinten. Wir konnten beide nicht mehr und noch weniger verstehen, warum aus einem Gefühl, das uns so unvermutet angesprungen, ja, regelrecht überfallen hatte, so dass wir den körperlichen Entzug spürten, wenn wir uns zwei Tage nicht gesehen hatten, dass dieses Gefühl in Zweifeln und Schweigen ertrank. Als ich gehen wollte, hielt er meinen Mantel fest, ganz fest, es war einer dieser geronnenen Momente, die man sein Leben lang nicht vergisst und die mehr Schmerz in sich bergen als man ertragen kann.

Trotzdem und gerade deswegen sollte man sich wieder sehen. Und sei es nur um fest zu stellen, dass es eine schöne Zeit war, man sich aber heute nicht mehr viel zu sagen hat. Oder es könnte auch der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein. Ich pflege mit einigen meiner Ex-Freunde schöne Freundschaften.

Gestern nun hielt ich Ausschau und freute mich über die gekommenen Freunde und über Menschen, die mir hinterher sagten, sie läsen mich gern, ein schönes Kompliment, das anspornt und der Eitelkeit schmeichelt. Wer nicht kam, war er. Lag es daran, dass die Lokalität etwas schwer zu finden war? Oder war der Zettel an der Eingangstür mit dem Hinweis „Lesung - hier entlang“ in der Zwischenzeit fortgeweht?

Nach der Lesung fuhren die Mitstreiter und ich noch durch die Nacht, etwas Essbares zu finden. Als ich das Auto abstellte, bemerkte ich einen kleinen Zettel unter dem Scheibenwischer. Normalerweise hätte ich ihn weggeworfen, denn es sind meistens „Izabella“ oder „Jozef“ aus Polen, die mir so den Kauf meines Autos anbieten. Mittlerweile, der Zustand meines Autos spricht wohl Bände, werden die Zettel weniger.

Er sei viel zu spät gewesen, habe es nicht mehr geschafft, schrieb der Fuchs. Es täte ihm leid.
Diese Nachricht sagt viel aus. Über Nächte, in denen man Ausschau hält. Und über Momente, in denen man vor einem Auto steht, eine Nachricht schreibt. Weil man die Tür nicht öffnen und eintreten wollte. Auch eine Art geronnener Moment.

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Publikumslesung.

Wie schön! Zur Lesung (siehe rechter Teaser) kommt die halbe Menagerie: Der Aal, vielleicht die Schildkröte, der Biber und der Fuchs. Halleluja!

Nachtrag: So was von aufgeregt.

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Papstwahl.

Don Dahlmann for Pope!

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GBSB (Folge 2).

Intro.
Alexander Klaws singt den Titelsong "Blog mir gute Seiten, schlechte Seiten". Jeanette Biedermann singt im Background.

Szene 1
In einer verrauchten und verruchten Kneipe "Zum doppelten Dahlmann". Kid, Mark und Knuspi sitzen am Tresen und philosophieren.

Blende auf Mark (schwankt schon leicht): "Mann, Mann, Mann."

Kid (schiebt sein Bierglas auf dem Tresen hin und her): "Ich sach dir."

Knuspi (tippt eifrig, wenn auch ungeschickt, auf seinem Handy herum): "Was? Hmmm."

In diese heftige Diskussion platzt der Wirt, Don Dahlmann.: "Jungs, jetzt mal Butter bei die Fische. Ihr kennt euch doch mit Frauen aus. Was mache ich falsch? Ich bin 38, unverheiratet und Kinder hab ich auch noch nicht. Soll ich jetzt Papst werden oder weiter machen?"

Kid, Mark und Knuspi schrecken auf. Kid wirft sein halbleeres Bierglas um. Don wischt sofort hektisch die Flüssigkeit auf.

Mark: "Mann, Don, das kommt halt so. Ich bin verheiratet und weiß nicht mal, wie das kam." Er rülpst leise.

Kid: "Geh doch mal inne Kunstausstellung. Da laufen alle Miezen mit Hornbrille und Strümpfen rum. Oder schau mal bei die Werbers vorbei. Die arbeiten immer so viel, die sin immer toootaaaal unterversorgt."
Er schwankt.

Mark: "Nö, der Don, der braucht ne richtige Frau. So eine, die das Geld nach Hause bringt. Dasser endlich seine Bücher schreiben kann und nich inner Kneipe arbeiten muss."

Knuspi: "Jo. Oder du heiratest Irgendeine, kriegst n Kind mit ihr und suchst dir ne Geliebte. Geht auch und macht mehr Spaß."

Don (zieht zweifelnd die Stirn in Falten): "Ach, Jungs. Kommt, ich geb euch noch einen aus und trink einen mit."

Alle (sich zuprostend): "Auf uns. Auf die Frauen."

Die Eingangstür knarrt. Eine blonde Frau kommt herein. Die Jungs werden still und richten sich mühsam gerade.

Blende über die Drei auf ein Bierglas. Stimme aus dem Off: Wer ist die unbekannte Schöne? Gibt es Hoffnung für Don Dahlmann oder muss er Papst werden? Klicken Sie auch nächstes Mal wieder zu, wenn es heißt: (Alexander Klaws singt:) "blog mir gute Seiten, schlechte Seiten"

Abspann: Klickzahlen.

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Schicksalsentscheidung.

Manchmal kommt unverhofft eine Wendung, die einem eine längst fällige Entscheidung abnimmt. Positiv oder negativ? Beides. Bad news are good news.

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Katzenvieh.

Er hatte mir seinen Kater als "etwas schwierig im Umgang mit fremden Frauen" angekündigt. Was sich im weiteren Verlauf unserer Beziehung als stark untertrieben herausstellte. Denn 'Oddo' beherrschte nicht nur sämtliche Spielarten der emotionalen Erpressung sondern auch noch einige sehr gemeine Guerillataktiken, um mich bei seinem Herrn ins Unrecht zu setzen.

Es fing damit an, dass ich ihn bei meinem ersten Besuch gar nicht zu Gesicht bekam. "Er ist ein bisschen scheu", beruhigte mich D. Ich hatte das Gefühl, als beobachteten seine grünschillernde Augen jede meiner Bewegungen, bereit im nächsten Moment auf mich zuzuspringen. Als ich ihn dann endlich sah, bekam ich einen Schock: Dies war mit Sicherheit der größte und fetteste schwarze Kater der westlichen Hemisphäre. Und mit einem richtig miesen Charakter gesegnet. Ich schaute ihm in die Augen und wusste: Er oder ich.

Sein Herrchen - im Freundinnenkreis übrigens als 'Sahneschnitte' bekannt - wollte jedoch von einer partiellen Beschränkung von Oddos Bewegungsfreiheit während meiner Besuche nichts wissen. Dabei hatte ich doch nur gefragt, ob er seine Bestie vielleicht ins Arbeitszimmer sperren könne! Oddo und ich einigten uns auf den Status Quo: Er bleibt unsichtbar, solange ich in der Wohnung bin und ich darf mit seinem Herrchen hinter verschlossener Türe Unzucht treiben, dafür bekommt er von mir diverse Leckerlis neben den normalen Fresszeiten. Was würde das ein oder andere Kilo mehr schon ausmachen!

Mit der Zeit reichten ihm die kleinen Kalorienbomben offenbar nicht mehr. Er verlegte sich darauf, mir den Weg zu versperren und mich bösartig anzuknurren. Ich habe ja schon viel erlebt, aber dass mich eine Katze 'stellt', geradezu in Wachhundmanier vor der Tür ins Wohnzimmer zu stehen um mich nicht eintreten zu lassen - das war dann doch etwas zu viel des Guten. D. wollte mir die Gemeinheiten seines ihm gegenüber lieben und kuscheligen Katers nie glauben: "Du spinnst", sagte er, "Oddo würde so etwas nie tun. Er liebt dich genau so sehr wie ich." Oddo hörte aufmerksam zu. Seine Augen glimmten hinterhältig.

Die Situation spitzte sich zu. War Oddo vorher noch mit einer arroganten Gleichgültigkeit an meinen privaten Sachen vorbei gelaufen, fing er nun an, meine Tasche mit ekligen Sekreten zu verkleben. Eines Tages hatte ich ein Buch auf dem Tisch liegen, was ich später lesen wollte. Aber wer lag auf dem Buch, breit und feist und bereit, mich anzuspringen? Oddo. Er wartete förmlich auf eine Kampfansage meinerseits.

Ich musste mich entscheiden: Krieg oder Frieden. Ich entschied mich für, nun ja, Krieg. Der Tag der Revanche war gekommen. Günstig, dass D. bereits zur Arbeit gegangen war. Noch günstiger, dass ich meine Tasche in der Hand hatte. Ich holte aus. Ich traf. Ein empörter Aufschrei! Oddo katapultierte sich aus dem Liegen in die Luft, gleich einem riesigen Panther. Einen Moment sah er erschrocken aus. Ich wähnte mich Siegerin, doch ich hatte nicht mit seiner Hinterhältigkeit gerechnet.

Im nächsten Moment zierten zwei parallele Krallenspuren meinen rechten Arm. Oddo sauste wie der Blitz an mir vorbei, laut schreiend und fauchend. Ich nahm ruhig mein Buch, tupfte das Blut mit einem Taschentuch auf und ging. Ich kam nur noch wenige Male zu Besuch.

Unnötig zu erwähnen, dass mir Oddos kürzliches Verscheiden keinen wirklichen Schmerz bereitete. Ja, ich sage es offen: Oddo hat uns auseinander gebracht. Möge er dafür in der Katzenhölle schmoren.

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GBSB (Folge 1).

Intro.
Alexander Klaws singt den Titelsong "Blog mir gute Seiten, schlechte Seiten". Jeanette Biedermann singt im Background.

Szene 1. Im Büro des erfolgreichen Wirtschaftslenkers Sebas. Großer, dunkler Holzschreibtisch, hinter im an der Wand das Bild eines bekannten Künstlers.

Sebas sitzt an seinem Schreibtisch und denkt. Sein Blick gleitet verträumt über die Skyline des Hafens. Es klopft.

Seine Sekretärin tritt ein. Blond, jung, volle Brüste in einem korrekt hochgeschlossenen Business-Kostüm. Sebas schreckt auf.

Sekretärin: "Herr Sebas, die Gemeindevertreter von Kleinbloggersdorf haben angerufen. Sie haben heute Nachmittag noch einen Termin reinbekommen. Sie müssen noch eine Geschichte über das blonde Mädchen schreiben."

Sebas (genervt aufseufzend): "Was wollen die denn schon wieder? Die Geschichte ist doch gegessen. Die neue Blonde ist viel ergiebiger."

Sekretärin : "Der Markt will es eben. Soll ich etwas für Sie vorbereiten?" (streicht sich langsam durch die sorgfältig geglätteten Haare, eine kleine, kindlich wirkende Haarspange hält den Pony zurück)


Sebas (gleichzeitig müde und sardonisch lächelnd): "Ja, Frau XYZ, Sie könnten. Machen Sie mal Ihre Bluse auf."

Blende über Sebas aus dem Fenster. Stimme aus dem Off: Wird die Sekretärin auf Sebas' unmoralisches Angebot eingehen? Gibt es eine neue Geschichte über das blonde Mädchen? Klicken Sie auch nächstes Mal wieder zu, wenn es heißt: (Alexander Klaws singt:) "blog mir gute Seiten, schlechte Seiten"

Abspann: Klickzahlen.

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GBSB.

Ein wahres Wort von Knuspi. Sind wir nicht alle Statisten in einer Daily Blog-Soap?

Gute Blogs, schlechte Blogs.

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Nahrungsmangel.

Manchmal zehrt man von einem Fett, das man schon längst nicht mehr aufbieten kann.

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Frisiert.

"Du siehst aus wie eine zerrupfte 'ühn."

Aus: Komplimente, die die Welt nicht braucht. (Wer hat noch mal behauptet, dass Franzosen mehr Charme als andere Männer besitzen?)

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Ge(h)fallsucht.

Schon als ich ein kleines, blondgelocktes Mädchen war, hatte ich dieses Problem. Meine besorgte Mutter ermahnte mich ständig: "Schlurf nicht so! Heb deine Füße, das sieht sonst trampelig aus!" Schließlich sollte ich einmal elegant wie eine Gazelle den Herren der Schöpfung den Kopf verdrehen, so die Vorstellungswelt meiner ausschließlich Pumps tragenden Mutter.

In der Pubertät stellte sich das Problem nicht so. Doc Martens, Adidas-Allrounder oder Leinenlatschen von Converse hießen die Fußbekleidungen der 80er Jahre. Definitiv nicht die Schuhe, in denen weibliches Stolzieren entwickelt werden kann. Außerdem bescherte mir jahrelanger Ballettunterricht einen hübschen Watschelgang, der jegliche Absätze über drei Zentimeter ad absurdum geführt hätte.

Später dann, als ich Studienfach bedingt zum Perlenkettchen tragenden Modepüppchen mutierte (man sollte die Sozialisation seiner Berufswahl nicht unterschätzen), musste ich. Also schaffte ich mir ordentliche Schuhe an und übte. Man will den Männern schließlich gefallen. Ein Buch auf dem Kopf, sechs Zentimeter Absatz unter mir und das Gefühl, im falschen Körper zu sein, schritt ich in durchs Wohnzimmer, angefeuert von einer Freundin, deren Einführung in das Volk der Stiletto-Trägerinnen bereits in jüngeren Jahren abgeschlossen war.

Mit zweifelhaftem Erfolg. Ich kann zwar mittlerweile auf Schuhen laufen, die einer Drag Queen die Schamesröte in die Wangen treiben würden. Die Blockschuhe der Neunziger habe ich ebenso unbeschadet überstanden wie die spitzen Cowboy-Boots von 2002. Selbst Pfennigabsätze jagen mir keine Angst mehr ein. Ja, ich wurde geradezu eine Schuhfetischistin.

Eines hat sich aber nicht geändert: Ich schlurfe immer noch. In Berlin, wo Straßen schneller verwahrlosen als ihre Anwohner und Schlaglöcher jede Verkehrsteilnahme an eine gefahrvolle Expedition gemahnen, die beste Fortbewegungsart. Mit Absätzen, die ich heute gern und häufig trage, ein mäßiges Vergnügen. Dieses wiederum liegt dann ganz im Auge des Zuschauers: Meine Gehversuche zwischen Gitterrosten von U-Bahnschächten und Katzenkopfsteinpflaster mutieren oft zum Slapstick.
Hinfallen und wieder aufstehen gehört fast zu einem normalen Spaziergang. Wenn ich wild mit den Armen rudernd versuche das Gleichgewicht wieder zu erlangen, während mein rechter Stiletto-Absatz zwischen zwei Pflastersteinen klemmt und er linke Schuh langsam in Sand einsinkt - alles unter dem schadenfrohen Gelächter meiner Begleitung -, dann verfluche ich sie, diese meine Ge(h)fallsucht.

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Frauen(ein)kauf.



Was passiert, wenn Frau Franziskript und Frau Wortschnittchen zusammen shoppen gehen? Sehen Sie selbst. Wer hat wohl was gekauft?

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Todeserwartung.

So zynisch es klingt: Die aktuellen Todeserwartungen sind Zucker für Redaktionen. Große Schlagzeilen. Terri Schiavo, Fürst Rainier, der Papst.

Ich kenne Redakteure, die Wetten laufen hatten, wer zuerst das Zeitliche segnet.

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Lesung.



Um Abendgarderobe wird gebeten. (Ich will ja nicht die Einzige sein, die ihr Abschlussballkleid von 1986 aufträgt.)

Bitte unbedingt vorher anmelden unter donvsdon ät gmail com.

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Spielball.

Bin ich nicht. Ich schlage den Ball nur zurück.

Aus: Abteilung für Wundersames, Unverständliches.

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Fast.



Und schon ist der Schwanz länger. Mit einem herzlichen Danke an alle Beteiligten!

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Schwanzvergleich.

Mein Ehrgeiz treibt mitunter seltsame Blüten. So seltsam, dass es mich beschämt und verlegen nach den hehren Werten schielen lässt, die ich ganz unten in der Schublage der guten Angewohnheiten vergraben habe.

Der geneigte Leser wird schon gemerkt haben, dass mein Blog in letzter Zeit etwas Sexlastiger ausgelegt ist. Das hat natürlich einen ganz simplen Grund, so simpel, wie die Begriffe, über die mancher Suchmaschinen-Nutzer auf dieses Blog stösst. Es geht um gemeine Klickzahlen. "Also, ich lege ja gar keinen Wert auf solche Sachen", hörte ich schon des Öfteren. Seltsam, trotzdem weiß jeder genau über seine Besucher- und Leserzahlen Bescheid. Und der wahre Held des Bloggertums ist derjenige, welcher über 1000 Klicks pro Tag verzeichnen kann. Davon bin ich noch weit entfernt. Aber ich bin ja ehrgeizig.

Natürlich will ich in die Liga der A-List-Blogger aufsteigen. A-List-Blogger sind die Schreiberlinge, die entweder Metalinker sind oder einfach gute Geschichten schreiben und damit die 1000er-Klickmarke knacken. A-List-Blogger halten Bloglesungen ab. Sie dürfen sich als Gebenedeite der virtuellen Niederliteratur begreifen. Und sie vögeln gern untereinander in elitären Zirkeln.

Also versuche ich mein Schreiberglück und mogle den ein oder anderen Klick durch Sexcontent dazu. Schamhaft gebe ich zu, dass so manche Geschichte frei erfunden ist. Ja, mein Leben ist nicht halb so aufregend. In Wahrheit bin ich eine graumelierte Sparkassenangestellte, Single aus Mangel an Bewerbern, mit einer Katze, die langsam mit den Jahren so dick wurde wie ihre Besitzerin, und ich stricke leidenschaftlich gern. Nur Horst mit seinem neuen Überzug aus grüngrauem Chenille-Garn und ich und meine Katze.

Dann, manchmal, da lege ich Horst beiseite und starte ihn, meinen ehrgeizigen, virtuellen Schwanzvergleich.

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