Die Neurose.
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Dicker Pulli, Jeans, Stiefel, Schal, Handschuhe, Lederjacke, Mütze. Lange spazierengehen. Untergehakt, lachend, schniefend, lästernd.
Es gibt kein schlechtes Wetter in der richtigen Begleitung.
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Eine schöne Abendbeschäftigung ist ein Essen mit Menschen, die man schon seit den ersten Tagen des ersten Semesters am Jura-Fachbereich kennt, und deren Koch- und Lebenserfahrung mit den Jahren ebenso gewachsen sind wie der Bauchumfang. Noch mehr an Gewicht zugenommen hat indes der Konto- und soziale Stand. In diesen Kreisen kommt man nicht einfach zum Abendessen. Man wird geladen. Oder als bohèmehafte Ergänzung geduldet, wie ich.
I. Amuse gueule
Es gibt Prosecco und Kroepoek (Krabbenchips). S., das Geburtstagskind, wird eifrig beprostet und der Kreis der üblichen Verdächtigen tauscht den neuesten Klatsch aus. Ihre Schwester U. faltet bedächtig die Hände über ihrem dicken Bauch und lehnt sich im Sessel zurück. "Wir haben es so eingerichtet, dass alle im Sommer ihre Babys bekommen", sagt sie, und es klingt, als hätten sie und ihre Freundinnen genau das erreicht, was sie wollten. Ihre Perlenkette passt perfekt zur Borte des Chanel-Jäckchens. Ein respektloser Freund nannte sie und ihre Schwester ob dieser Schmuckvorliebe "Perlhühner". Für mich sind die beiden meine "Etepetete-Schwestern".
II. Suppe
Angerichtet auf feinweißem KPM-Porzellan wird Miso-Suppe. Miso-Suppe ist etwas Feines: Kaum Kalorien, viele Spurenelemente. Wenn man Algen mag. Ich mag Algen als Packung zur Unterstützung des Kampfes gegen collagenen Verfall.
Die Gastgeberin resümiert über Gesundheitsaspekte japanischen Essens sowie den positiven Einfluss auf das Gewicht. Sie wiegt geschätzte 50 Kilogramm, ihre Schwester wegen der Schwangerschaft vielleicht 15 Kilo mehr. Meine Gedanken schweifen kurz zu Rindermark ab, aus dem gekochten Knochen gekratzt und auf ein wunderbar duftendes Schwarzbrot gestrichen, ein wenig Meersalz darüber gestreut... Traurig schwimmen die Algen in meiner Suppe.
III. Sushi
Nach diesem Genuss fährt die Gastgeberin, flankierend unterstützt von ihrem liebenswürdigen cabriofahrenden Freund, der genau zum richtigen Zeitpunkt ihn ihr Leben trat, nämlich als sich der Letzte samt verdecklosem Auto verabschiedete (und so konnte sie den Sommer richtig und standesgemäß genießen), nach diesem Genuss also wird Sushi aufgetischt.
Sushi ist lecker. Schmackhafter Fisch, kalorienarmer Reis, da kann ich auch den Algenmantel ab. Ungenießbar allerdings der Tischnachbar: Erzählte er zu den Amuses gueules noch spannende Geschichten aus seiner Praktikumszeit in Bombay, sinkt der Nährwert seiner Stories rapide. Es bleibt der fade Nachgeschmack eines Komplexbeladenen Schwadroneurs.
IV. Spinat-Sesam-Salat
Ein kleiner Zwischengang, bekömmlich und leicht, hilft beim Verdauen der immer wilder um die Sprachgewandtheit und den hohen Bildungsgrad meines Tischherrn kreisenden Selbstbeweihräucherung. Die Gastgeberin plaudert derweil über die neuesten Modekreationen: "Und dann habe ich mir noch dieses Top in Paris gekauft, wohin mich" - verliebt aussehender Blick zum cabriofahrenden Freund - "O. auf ein Shoppingwochenende eingeladen hat." Verdammt! Jetzt ist mir der Appetit vergangen.
Was mache ich falsch? Ich werde allenfalls mal in ein mittelmäßiges Konzert geschleppt. Noch nie hat mich ein noch so Verliebter in die Stadt der Liebe eingeladen. Vielleicht sollte ich doch in den Kreisen der Erfolgreichen auf Jagd gehen? Auch auf die Gefahr hin, einen ebenso langweiligen Mann an meiner Seite zu haben wie meinen Tischherrn. "Schön, ja, dein Top", lüge ich. "Ich kaufe auch immer Second Season." Sie wirft mir einen giftigen Blick zu, der deutlich besagt: Second Season, dass ich nicht lache, das ist allerhöchstens Second Hand, was du trägst. (Hier hat sie Unrecht, ich kaufe niemals gebrauchte Klamotten) Die Stimmung ist etwas frostig. Passend zum:
V. Geeisten Fischconsommé
Das nicht wirklich schlecht schmeckt. Allenfalls etwas befremdlich, dass Fisch in einer geleeartigen Masse schwimmt. Fisch muss schwimmen, habe ich gelernt, und nehme einen großen Schluck Weißwein. Das wiederhole ich noch einige Male, dann finde ich langsam Gefallen an meinem Tischherrn. Seine Schuppen auf dem schwarzen Denkerrollkragenpullover passen ganz entzückend zum Essen und ich sehe gnädig darüber hinweg, dass er den Selbstbräuner etwas ungeschickt bis in die Augenbrauen verteilt hat. Schönheit ist halt nicht jedermanns Sache.
VI. Hackfleisch
Würde ich gern aus meiner Tischnachbarin zur Linken machen. Sie, die oben genannte U., seufzt alle zwei Minuten beseelt auf und streichelt sich über den Bauch. Zwei Körnchen Reis, ein Gäbelchen Hackfleisch in einer köstlichen Ingwer-Knoblauch-Marinade, ein Seufzer. Nach vier Bissen legt sie die Gabel beiseite und sagt: "Ich darf nicht so viel Knoblauch. Wenn man schwanger ist, muss man aufpassen." Wie? Kein Knoblauch mehr? Was machen die Italienerinnen, Spanierinnen, Türkinnen? Ich beschließe, die Vorsichtige zu ignorieren und nehme erneut große Schlucke Weißwein.
VII. Dessert
Wenn ich könnte wie ich wollte, gäbe es eine Leiche zum Dessert. Mein Tischnachbar hat mittlerweile entdeckt, dass wir unendlich viel gemeinsam haben. Die Vorliebe für Kino zum Beispiel. Er kennt jeden Film, die Intention des Regisseurs und hält Clint Eastwood für überbewertet. Dirty Harry überbewertet? Gleich gibt es Mord. Nein, es gibt Eis mit Ingwer-Ahornsirup, eine kanadisch-japanische Leckerei.
Hinterher bin ich so was von satt. Ich werde mindestens ein halbes Jahr brauchen, bis ich wieder ein kleines Essen unter Freunden genießen kann.
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Heut' ist wieder einer der verdammten Tage,
an denen ich ständig überall versage,
drum geh' ich heute wieder früher heim,
und mach mir noch 'nen richtigen Reim.
Anmerkung: Das Fieber steigt.
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Herzlich willkommen in der Krankenstube!
8.15: Ich rufe im Büro an. Man wünscht mir baldige Genesung. Ich höre den unausgesprochenen Gedanken: Erst drei Wochen Urlaub und jetzt krank, das sind die Richtigen.
9.45: Geräusche. Laute Geräusche. Schlagbohrhämmern aus der Wand hinter meinem Bett. Reißen die jetzt das Haus ein? Da war doch letztens ein Brief von der Hausverwaltung. Verdammt, verdammt...
10.30: Genesungsmail vom Gelegenheitsmann. Er sei auch krank, behauptet er. Nur viel schlimmer. Und von wem hab ich's wohl? Das sollte ein opulentes Abendessen in einem besseren Restaurant hergeben.
11.45: Ich schmecke nichts mehr. Macht aber nichts, denn außer Reis und Tomatenmark ist nichts mehr da.
12.20: Kranksein ist langweilig. Ich gehe jetzt raus, spazieren, Kaffee trinken, Einkaufen - den freien Tag muss man doch genießen!
12.21: Kreislaufzusammenbruch. Dann eben nicht.
12.23: Telefonische Bestellung: Ich nehm' dann einmal den Genesungspolizisten mit den knackigen Muskeln und drei Salbeibonbons.
13.13: Ich beschließe, heute auf Körperpflege zu verzichten. Riechen kann ich ohnehin nicht mehr.
15.00: Nachdem ich den tollen Vorschlag von Herrn Rochus Wolff beherzigt habe, kann ich zwar wieder verständlicher sprechen. Dafür ist mir schlecht. Salzwasser in Zukunft nur noch für Nudeln (Note to myself: Die dann auch mal einkaufen gehen).
19.15: Ich biete der Welt nach vier Stunden Tiefschlaf wieder die (37,9 Grad warme) Stirn. Dank für die guten Wünsche.
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Es erwischt uns doch irgendwann alle: Gegen den genetisch verankerten Fortpflanzungstrieb kommen wir einfach nicht an. Ab Anfang Dreißig bei Frauen und Mitte/eher Ende Dreißig bei Männern taucht er auf, dieser feuchte Hundeblick, wenn an einem lauen Frühlingssonntag eine kleine, glückliche Familie oder ein ziemlich dicker (Schwangeren-)Bauch auf der Straße entgegen kommt.
Die Hormone übernehmen die Macht. Die tägliche Pille wird immer häufiger widerwillig und mit den Gedanken an ein „was wäre wenn“ geschluckt. Eines Tages dann ist es soweit. Entweder man entscheidet, sofern in einer glücklichen, auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen basierenden Beziehung (die so selten ist wie ein Sechser im Lotto, daher sollte man sie tunlichst rechtzeitig institutionell besiegeln, denn merke: Scheidungen sind teurer als Hochzeiten), gemeinsam die Aufgabe von Verhütungsmitteln. Oder - was für ein Ärger! - es passiert einfach. Frau hatte Durchfall. Oder Erbrechen. Oder Jetlag, die Zeitumstellung nach dem Thailandurlaub, die muss es gewesen sein. Liebe Männer, glaubt es nicht! Einmal vergessen, das reicht nicht, um den jahrelang lahm gelegten Ovarien neues Leben zu entlocken. Da muss schon ein bisschen fortgesetzte Schlampigkeit, eine gewisse absichtlich absichtslose Vergesslichkeit hinzukommen.
Hat man gerade keinen wirklich an Nachwuchs interessierten Partner bei der Hand, wird die Sache schon etwas schwieriger. Mit einem ONS mal eben ein Kind zu zeugen ist nicht nur bedingt erfolgreich sondern auch noch (AIDS, remember) unvernünftig bis dort hinaus. Einer Affäre den Kinderwunsch anzutragen, treibt den Mann schneller in die Flucht als man „vollgeschissene Windel“ sagen kann. Und in einer bedingt glücklichen Beziehung kann man es sich meist schon nicht mehr vorstellen.
Jeffrey Eugenides’ Heldin Tomasina aus Airmail macht es sich einfacher:
Samen von drei Männern mischen.
Kräftig verrühren.
In die Bratenspritze füllen.
Sich zurücklegen.
Tülle einführen.
Zusammendrücken.
Et voilà, dann ist vielleicht bald ein Braten in der Röhre. Glücklicherweise stehen Männer an der Schwelle zur fiesen Vierzig dem Gedanken an Nachwuchs gar nicht mehr so ablehnend gegenüber. „Also, ich könnte es mir vorstellen“, hörte ich letztens erst von zwei Männern meines Bekanntenkreises, während ein dritter zumindest gern die Patenonkelrolle übernehmen wollte. Alle haben diesen feuchtglänzenden, in die Ferne gerichteten Blick. Sie sehen Carrera-Bahnen, fliegende Drachen, Sandburgen. Nichts da, Jungs! Ich rieche den Braten: Ihr wollt doch nur euren Spaß.
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Ich strecke meine Hand aus, und er drückt sein Gesicht hinein. Tropfen benetzen meine Handfläche. Wir wissen beide: Dies sind die letzten Minuten, in denen wir noch eine Einheit sind. Danach wird nichts mehr so sein wie es war. Stillstand. Geronnene Momente.
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Seine Message kommt dezent vor Feierabend: "Hast du gleich mal fünf Minuten, ich würde gern was mit dir besprechen." Was er wohl will? Habe ich einen Fehler gemacht, den ich selbst nicht bemerkte? Oder will er mich vor einer in Kürze zu erwartenden Kündigung warnen? Alles ist möglich in solchen Zeiten, obwohl wir gar nicht so eng zusammen arbeiten. Manchmal gehen Informationen einfach an einem vorüber.
In diesem Fall ist die kurz darauf in der Raucherecke zu Gehör gebrachte Information offenbar vollkommen an mir vorüber gegangen: "Ich bin verknallt in dich." Sein Benehmen sei ihm zwar peinlich, aber er hätte schon länger Gefühle für mich und wolle es einmal gesagt haben. Es ändere sich daran auch nicht so schnell etwas. Ich finde es ja schon mutig, überhaupt mit einem solchen Statement heraus zu rücken (nein, nicht mutig, in Anbetracht der kollegialen Distanz, die wir bisher immer pflegten, eher strange, sehr strange).
Solche Situationen erfordern Fingerspitzengefühl, schließlich teilt man sich fünf Tage die Woche ein Großraumbüro, immer in Sichtweite, nie unbeobachtet. Ich überlege kurz, wie ich ihm am freundlichsten sage, dass er weder mein Typ ist noch dass er es jemals sein wird. Und entscheide mich dann für die direkte Methode: "Ich befürchte, ich kann dir da keine Hoffnungen machen." Batsch! Eine Phrase, wie sie im Buche steht, aber was soll man in einem solchen Moment sagen? Es bleibt ein wenig Überforderung und leichtes Staunen, was in stillen, blassen Menschen für eine Entschiedenheit steckt.
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Zurzeit giere ich nach Zuneigung zur Deckung meiner emotionalen Defizite. Da ist mir jedes Mittel recht. Auch vor Bestechung und Einschleimen schrecke ich nicht zurück. Besonders bei Kindern wirkt ein kleines Geschenk manchmal Wunder.
Gestern habe ich ein kostbares Kleinod meiner häuslichen Trash-Sammlung geopfert. In meinem Bad hing bislang immer hinter dem WC (dem Thron, sic!) ein Marienbild und daran aufgehängt eine Plastikkrone, die ich einmal auf einer Veranstaltung habe mitgehen lassen. Diese Krone nahm ich kurzerhand, entstaubte sie ein wenig und drückte sie Lea, niedliche Arbeitskollegin-Tochter, auf die blonden Locken. "So, du bist jetzt eine Prinzessin", sagte ich und sah sie auffordernd an. Wäre doch gelacht, wenn daraus nicht eine innige Zuneigung zu 'Tante Wortschnittchen' erwüchse!
Und so kam es: Nach der Krönung entschloss sich Prinzessin Lea, dass ich ihres Hofstaates würdig sei und fortan wuselte sie um mich herum, dass es eine wahre Freude war. So sehr, dass sie den ganzen Nachmittag meine Hand nicht mehr losließ, ob ich nun Geschenke auspacken oder essen wollte oder die Toilette besuchen. Ich dachte kurz an Putsch, aber leuchtenden Kinderaugen kann ich nie widerstehen und so schenkte ich ihr die Krone. Und für so ein Fitzelchen Kinderglück gebe ich gern mein letztes Krönchen. Ach, manchmal bin ich schon ein Gutmensch!
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Sie lauert auf mich, in einer Ecke. Morgen springt sie mich an und ich muss mich ihr stellen. Kämpfen hilft nichts, sie hat das Recht auf ihrer Seite. Jedes Jahr überfällt sie mich unversehens: Die böse Zahl. Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass ich schon wieder älter werde.
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