Der Gentleman kleidet sich gern modisch, wenngleich überwiegend sportlich. Nun dräuen Veranstaltungen und Aktivitäten, die ein etwas festlicheres Erscheinungsbild verlangen. Anzugkauf, also.
"Was für eine Farbe findest du denn gut?", fragt der Gentleman leicht verunsichert ob der Vielfalt des Angebots nicht nur in Material und Schnitt. "Na, so ein dunkles Braun oder Anthrazit", antworte ich, und: "Bloß keine Nadelstreifen!" Nadelstreifen ist was für Aufschneider, Werber, Autoverkäufer oder sonstige Versprengte. Die Herrenbekleidungsfachverkäuferin sieht das genauso: "Besser ein dunkles Braun, so ein sattes, und dann ein zweiknöpfiges Sakko, das kaschiert." Der Gentleman hört gerade nicht hin, und so bleibe ich einzige Adressatin dieser Vertraulichkeit unter Frauen. Frauen, die ihre Männer kennen, wissen, was gut für sie ist und darum auch grundsätzlich als Miteinkäuferin angesprochen werden. Alter Verkäufergrundsatz: immer den Partner einbeziehen!
"Und, sitzt die Hose?", fragt die Herrenbekleidungsfachverkäuferin, als der Gentleman aus der Umkleiderkabine tritt. Sie fragt es mich, nicht ihn. Gern hätte ich jetzt geantwortet: Ich habe die Hosen zwar sonst gern an, aber augenblicklich eben nicht. Leider versagt in solchen Momenten meine Schlagfertigkeit.
"Ja, sitzt", springt der Gentleman ein und begutachtet sich im Spiegel. Großartig sieht er aus, wie ein Herr, und nur eine Spur dandyhaft, genau, wie ich es mag. Und dann rutscht mir raus: "Sieht er nicht klasse aus?"
Wir Frauen unter uns. Ja, ja.
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Von der Bühne herunter schrie der Schauspieler wie ein Berserker. Unflätiges, Zotiges, ein wenig Schaum vor dem Mund, während eine Horde leichtbekleideter Nymphen wie Schneeflöckchen um ihn wirbelten, immer darauf bedacht, auf der schrägen Ebene nicht die Balance zu verlieren.
Tessa wisperte ihrem Begleiter zu: „Schon wieder eine schräge Ebene. Wird langsam langweilig.“ Sie machte sich einige Notizen.
Schon der Pressetext zum Stück hatte sie Schlimmes ahnen lassen. Er war dermaßen wirr geschrieben, dass sie einen Praktikanten als Urheber vermutete. Doch als sie die erste halbe Stunde der Aufführung hinter sich hatte, wusste sie, dass, wer auch immer über diese theatralische Zumutung schreiben musste, ihr Mitleid verdiente.
In der Pause ging Henning an die Theaterbar, während Tessa Kollegen von der Konkurrenz grüßte und in Gedanken genüsslich die ersten Sätze ihres Verrisses formulierte. Henning kam mit zwei Gläsern Sekt zurück. Na ja, eines kann ich ja, dachte sich Tessa und trank mit vorsichtigen Schlucken, während sie mit halbem Ohr Hennings bösartiger Rezension der Leistungen von Regisseur, Hauptdarsteller sowie des gesamten Ensembles lauschte. Er musste glücklicherweise nicht darüber schreiben. Chefredakteure befassten sich mit derartigen Niederungen kulturellen Schaffens nicht mehr.
"Henning, du musst die darüber liegende Ebene betrachten", mischte sich ein Kollege von der Konkurrenzzeitung ein. Tessa zog die Augenbrauen hoch. Der Hubertus mal wieder! Ein totaler Versager, hielt sich für einen intellektuellen Schwerarbeiter, war aber in Wirklichkeit doch nur ein Leichtgewicht. Mit dem war sie nicht mal ansatzweise auf einer Ebene.
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Im Beruf sollte man immer ein wenig gepflegt herumlaufen. Und so befindet sich seit einigen Jahren eine erkleckliche Sammlung von mehr oder minder bequemen Hosenanzügen. Allergene Nadelstreifen gehören ebenso dazu wie ein Pfeffer- und Salz-Tweedensemble und zwei schwarze Kombinationen. Ich bin also gut ausgestattet.
Allerdings habe ich es in den letzten 24 Stunden geschafft, jeweils die Säume an zwei Anzügen herunter zu treten, Knöpfe abzureißen und Futter einzuschlitzen. Offenbar bin ich von einer Zerstörungswut des Establishment besessen. Or to say: Turn down the churn!
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Erst wenige Tage pensioniert, fällt dem ehemaligen Lehrer Beppo (Zdenek Sverák) zuhause die Decke auf den Kopf. In der Enge der kleinen Prager Wohnung gehen sich er und seine Ehefrau zunehmend auf die Nerven. Beppo beschließt, es sei noch zu früh, um sich den langsam im Park spazierenden Altersgenossen anzuschließen und sucht nach einem Job.
Nach einen kurzen Ausflug in die Fahrradkurierbranche heuert er in einem Supermarkt als Mitarbeiter in der Leergutannahme an. Dort entdeckt er sein wahres Talent: neben leeren Flaschen nimmt er auch die kleinen Sorgen und Nöte der Kunden entgegen. Während er sich zwischen Pfandkästen und Schreddermaschine in kleine Fantasiewelten und erotische Tagträumereien vertieft, verkuppelt er ganz nebenbei die ein oder anderen Kunden, bringt einen griesgrämigen Kollegen zum Lächeln und die eigene standesbewusste Ehefrau zur Verzweiflung. Alle lieben Beppo, bis eines Tages das Angebot für einen Pfandflaschenautomaten im Supermarkt auftaucht...
Wie schon in seinem leisen Film von 1996 Kolya hat Regisseur Jan Sverák in Leergut wieder eine wunderbare Geschichte mit bissigem Humor, wohl gesetzten Pointen, dezenten Zitaten aus der Filmwelt und einem erstklassigen Hauptdarsteller (dem Vater des Regisseurs).
Wer sich Leergut ansehen möchte, sollte Kolya entweder schon gesehen haben oder sich in naher Zukunft die DVD ausleihen. Beide Filme schwingen in der Tradition des klassischen, tschechischen Autoren- und Erzählkinos. Film-Fazit: Unbedingt empfehlenswert!
Leergut
Deutscher Kinostart: 24. Januar 2008
Regie: Jan Sverák
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Stadt, (Bundes-)Land, Fluss und Beruf.
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Die Transportmittel der BVG stehen in den Depots. Seit Mitternacht wird in Berlin der öffentliche Nahverkehr bestreikt. Nach Angaben der Gewerkschaft ver.di "blieb keine andere Wahl, um der Arroganz der BVG zu begegnen" (ein ver.di Vertreter heute Morgen auf Radio.Eins).
Es fragt sich nur, wem eine gewisse Arroganz zu unterstellen ist, wenn der Beschluss zu streiken am Abend vorher getroffen wird. Nicht jeder Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs hatte genug Zeit, sich zu informieren. Etliche Verzweifelte an Straßenbahnhaltestellen, die ungläubig auf die Ankündigungstafel starren, um dann im Sturmschritt ihren Weg zur Arbeit zu beginnen, sprechen für sich.
Auch die junge Mutter mit ihrem zweijährigen Sohn an der Ampel war ratlos, als sie an meine Fahrerscheibe klopfte: "Könnten Sie mich vielleicht ein Stück mitnehmen? Ich muss mit dem Kleinen zum Arzt und habe einen Termin. Unglaublich, was die uns mit dem Streik antun." Sie wollte nur vier U-Bahnstationen fahren, aber jeder, der einmal die Müllerstraße im Wedding entlang fuhr, weiß, dass das nicht locker zu Fuß zu bewältigen ist.
Aber Berliner wären nicht Berliner, wenn sie sich nicht an Improvisationen gewöhnt hätten. Viele sind auf die S-Bahn und ihre Füße ausgewichen, oder haben gleich das Fahrrad aus dem Winterschlaf geholt. So viele Fahrradfahrer habe ich selbst in den Sommermonaten selten auf den Straßen gesehen. Oder sie nutzen die schöne alte Sitte des Daumenraushaltens. Wir sind alle Anhalter, irgendwie. Gestoppt, unmobil. Was für ein Bahnhof.
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Ein Wechsel ist ein Wertpapier, das eine unbedingte Zahlungsanweisung des Ausstellers an den Bezogenen enthält, an ihn oder einen Dritten (Begünstiger, Remittent) zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort eine bestimmte Geldsumme zu zahlen.
Damals trug ich noch Perlenkette, ein geerbtes Seidentuch von Hermès und abwechselnd einen grauen und einen schwarzen Hosenanzug. Dreimal die Woche klackerten meine hohen Absätze auf feinstem Carrara-Marmorboden in den zweiten Stock, wo ich am Ende eines langen Flurs im sogenannten Dokumentarszimmer einen kleinen Schreibtisch hatte. Ích beklebte neu erworbene Bücher nach dem patentierten System der Bibliotheksnummerierung, ordnete Nachlieferungen in Gesetzessammlungen ein, nahm Grundbuch- und Katastereinsichten in den Ämtern der neuen Bundesländer und durfte dann und wann kleinere, juristische Gutachten schreiben.
Das ging etwa einen Monat lang, bis man sich meiner treuen und zuverlässigen Dienste gewahr wurde und mir eine besonders wichtige Aufgabe anvertraute: Kurierfahren. Damals, das war das erste Jahr nach der Wende, und während das Ärgernis der fehlenden Telefonverbindungen von Berlin (West) nach Berlin (Hauptstadt der DDR) nach und nach beseitigt wurde, litten die Asphaltverbindungen noch lange Mangel. Die zwischenstaatliche Post war noch nicht in der Lage, Briefe über eine Luftlinie von einem Kilometer schneller als in zehn Tagen zu befördern.
Später nannte man es das goldene Zeitalter der Fahrradkuriere. Nur, es gab gewisse kostbare Frachten, die man lieber überbezahlten Studentinnen mit klapprigen Renault 5 anvertraute, um sie der Treuhandanstalt, der Schwesterkanzlei im Ostteil der Stadt oder anderen Dienststellen zukommen zu lassen. So fuhr ich, mir immer neue Nadelöhre zwischen Todesstreifenbrache und beginnendem Bauboom suchend, von West nach Ost und wieder zurück. Immer mit dem Ehrgeiz, so schnell wie möglich wieder an meinem kleinen Schreibtisch im Dokumentarzimmer zu sitzen und meine Hosenanzüge nicht zu verknittern.
Eines Tages holte ich eine Lieferung am Alexanderplatz ab. Ich bahnte mir den Weg an einer kleinen Demonstantengruppe vorbei, die immerzu schrien "Freiheit statt Kapitalismus" und wurde am Eingang von den Wachmännern streng auf meine Legitimation geprüft. Die dickliche, ältere Empfangssekretärin mit mahagonirotem Kurzhaarschnitt drückte mir einen Stapel Unterlagen in den Arm: "Tut mir leid, aber die Unterlagen konnten wir heute leider nicht verpacken. Wir hatten keine Umschläge mehr. Passen Sie gut darauf auf, dass sie nicht schmutzig werden." Ich nickte ihr zu, wir kannten uns ja schon von vielen Besuchen. Ich unterschrieb die Bestätigung der Übernahme und machte mich auf den Weg.
Meine Güte, was für ein Höllenverkehr! Ich suchte mir Lücken, rümpfte die Nase über den Gestank der Trabis, Wartburgs und Ofenheizungen und drehte genervt am Radioknopf herum. Plötzlich hörte ich quietschende Bremsen, trat selber die Pedale durch und sah, wie einige Meter vor mir ein Fahrradkurier neben einem stark verbeulten Trabant auf der Seite lag. Der Fahrer des Trabi kniete schon und versuchte, ihm aufzuhelfen. Papiere lagen zerstreut herum und wurden langsam verweht. Der Fahrradkurier rappelte sich auf, schrie dem Trabifahrer etwas zu, und gemeinsam versuchten sie, die Papiere wieder einzusammeln.
Der Stapel Papiere, den ich in der Behörde abgeholt hatte, war durch die Bremsung vom Beifahrersitz heruntergerutscht. Mist!, dachte ich. Hoffentlich sind die Papiere nicht schmutzig geworden. Hätte ich bloß eine Tüte mitgenommen! Um mich herum stand alles, Autos hupten, und ich nutzte die Gelegenheit, den Stapel Papiere zu ordnen.
Listen, fein säuberlich mit alten, elektrischen Schreibmaschinen getippt, durchgepauste Papiere, vergilbte Kopien und Betriebspläne. Und dann hielt ich ein Dokument in der Hand, das zum Schutz in Pergamentpapier eingewickelt war. Das Pergament war eingerissen, ich konnte die Zahl sehen, die in der Mitte eingedruckt war. Eine Milliarde D-Mark. Vorsichtig wickelte ich den Wechsel wieder ein, verstaute alles im Fußraum und setzte meinen Weg in Richtung meines kleinen Schreibtischs fort.
Ich hielt einmal eine Milliarde D-Mark in der Hand. So war das damals.
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Als Thomas Hubertus sein Frühstücksei mit dem Löffel aufschlug, zerbrach einige Kilometer südwestlich ein anderer Hohlraum mit einem ähnlich dumpfen Krachen.
Er nahm eine Prise Salz aus der Porzellandose und krümelte aus der hohlen Hand genüsslich einige Kristalle auf das Eigelb. Dabei war das Salz gar nicht für derartig profane Gerichte vorgesehen. Tibetanisches Steinsalz, sagte Cordula gelegentlich, wenn sie für eine kleine, illustre Runde gekocht hatte, gehöre nur auf ein Essen mit Seele. Ein Ei hatte mit Sicherheit noch keine Seele. Sogar die katholische Kirche würde ihm beipflichten. Ihm war das auch ziemlich egal. Hauptsache, das Essen hielt seinen Leib zusammen, dann ging es auch seiner Seele gut. Bisweilen suchte er den Dönerladen an der Ecke auf, und auch einem saftigen Burger war er nicht abgeneigt.
Wenn er es sich leisten konnte. Thomas Hubertus konnte sich zurzeit nicht viel leisten. Der Monat war noch jung, und er sah finanziell gesehen schon ganz schön alt aus. Er stellte das Radio ein wenig lauter und kehrte beschwingt an den Küchentisch zurück. ‚The Killers’, ein sauberes Stückchen Indierock, dachte er und ärgerte sich im selben Moment über den Kollegen Hinzmann, der natürlich als Erster ein Interview mit der Band bekommen hatte. Und er, Thomas, wieder einmal das Nachsehen bei der Vergabe der Aufträge hatte. Dafür zog er wenigstens keine Schleimspur von der Tür des Chefredaktionsbüros zu seinem Arbeitsplatz, den er als Festfreier in einer der hinteren Winkel des Großraumabteils aufgeschlagen hatte.
Er schlug die Zeitung auf. Der Tag musste schließlich geruhsam beginnen.
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Wohin sollen Wortschnittchen und der Gentleman in diesem Jahr reisen? Mehrfachantworten sind möglich, Berichte, Reportagen und Restaurantkritiken garantiert!
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Die Kassiererin, deren künstlicher Nagel (rot-blau gestreift mit Strasssternchen) abbrach, welchen sie in die Brusttasche ihres Kassiererinnenkittels steckt, wo er sich deutlich in den Stoff bohrte.
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Eben erschrocken die Existenz einer weißen Scheitelsträhne entdeckt. Kollegin II begutachtet: "Keine Sorge, das ist nur der Quark von heute Mittag."
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churn. My Goodness, wo waren wir bloß vor der Erfindung des Englischen?
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