Gedankenschnittchen.



Gelegentlich erstaunt mich meine Umwelt. Es wird so viel Wasser gepredigt und Wein getrunken, dass alle Flüsse Deutschlands überlaufen müssten, wenn sie es nicht ohnehin schon täten. Überfluss kommt mir in den Sinn. Und Überdruss.
Der Worte direkte sind unmodern geworden. Man ergeht sich in Geheimzirkeln und -sprachen und postiert leise und noch leiser.
Handlungen werden scheinbar vollzogen. Hüte gezogen. Es wird betrogen, gelogen, verzogen - Pfui Spinne, Berlin! Und doch sind es nur Papageien, die stöhnend nachplappern.
Müde bette ich mein Haupt und schlafe ein. Träumte einen Traum der Wahrhaftigkeit. Allein, ich wachte auf, und es war nichts als Lüge. Und Langeweile.

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Flachgärtnern.

Wicken, Fingerhut und Zucchini gesäht. Vergeblich nach Hanfsamen Ausschau gehalten. So ein Südbalkon böte viel Entspannung.

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Detailtragik.

Bei manchen Menschen scheint es, als hätte ihr Leben eine besondere Tragik, als wäre ihnen nur ein kurzer Augenblick Glück vergönnt, bevor sie verlöschen.

Er erbte reich. Sein Vater, DER Notar und Rechtsanwalt in der mittelgroßen Stadt an einem mittelbreiten Fluss, war an seinem Schreibtisch im Büro verstorben. Herzinfarkt. Fünf Schwestern betrauerten den rührigen Mann. Sein Sohn seufzte erleichtert auf und beendete noch am selben Tag sein ungeliebtes Jurastudium. Nunmehr in einer sehr bequemen finanziellen Lage, baute und entwickelte er fleißig Modellflugzeuge, seiner zweiten Leidenschaft neben Schäferhunden mit Namen wie Harro oder Hasso.

Er war immer schon ein wenig seltsam. Seine Cousine erzählte, dass er das Maß für Normen und Realität mitunter verliere, so dass sie einmal seinen besten Freund aus einer Schlinge befreien musste, die er um dessen Hals gezogen hatte. In der irrigen Annahme, Pferd und Cowboy zu spielen sei bis ins letzte Detail möglich. Auch brach er häufig in Tränen aus, von einem Augenblick zum anderen, weshalb er in einem abgeschiedenen Trakt der zweistöckigen Villa lebte, inmitten seiner juristischen Bücher und ungefähr zweihundert Modellflugzeugen. Medikamente machten ihn glücklich und sehr ruhig.

Nach dem Tod des Notars lernte er eine Frau kennen, zwanzig Jahre älter als er, so mütterlich wie seine eigene Mutter nicht sein konnte, denn sie saß ja in der Nervenheilanstalt. Schizophrenie, man behandelte so etwas früher mit Elektroschocks, aber das half nichts, es wurde immer schlimmer, da behielt man sie gleich dort.

Sie zogen nach Norddeutschland in ein schönes Haus hinter dem Deich, drei Schäferhunde bewachten das große Grundstück. Eines Tages kam der Sohn der Lebensgefährtin zu Besuch. Er erschoss den Mann, die drei Hunde und die Mutter auch. Bei der Vernehmung soll er gesagt haben, der Mann hätte ihm die Mutter gestohlen.

Letztens kam ein Brief von der Friedhofsverwaltung. Man würde sich freuen, wenn der Grabstein erneuert würde. Unbekannte hätten ihn umgestürzt, dabei zerbrochen und 'Mörder' darauf gesprüht.

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Flohmarkt.




Boxhagener Platz. Berlin-Friedrichshain.

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Blog 'n Roll.

Warum bloß, liebe Ingenieure von Piaggio, habt Ihr das Ventil des Hinterrades so ungünstig angebracht, dass man sich beinahe zwangsläufig die Hand am heißen Getriebeschutz verbrennt?

Nichtsdestotrotz, danke, liebe Ingenieure von Piaggio, dass Ihr ein ebenso hübsches wie schnelles Schmuckstück entworfen habt, das mir auf meinem ersten weiten Ausflug diesen Jahres so viel Freude bereitet hat.

Und, liebe Ingenieure von Piaggio, beim nächsten Modell ist dann der Hot Spot gleich integriert, oder? Damit ich endlich eine richtige Blog 'n Rollerin sein kann.

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Bedarfsprüfung.

Meer.
Urlaub.
Wärme.
Liebe.

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Bronchienfreude.

Eine beginnende Bronchitis ist etwas Feines. Man erhält durch die erschwerte Luftzufuhr so ein angenehmes halluzinogenes Erleben.
Auf dem Weg zur Arbeit die Beine mit Gewichten versehen, laufe ich langsam dem Werkstor entgegen. Ich wachse in den Boden hinein, werde zu einem dieser hübschen Waschbetonsteine, aber bitte schön: ein hellerer, nicht einer von diesen dunkelgrauen, hässlichen. Man möchte sich ja abheben. Der Pförtner grüßt freundlich, aber er sieht aus wie der Steinbeißer aus der unendlichen Geschichte. Guten Appetit.
Der Chef lächelt, auch so eine Vision, die nicht wahr sein kann. Ich will nicht in mein Bett zurück, da hab ich ja keine Außenreize. Bronchitis macht Spaß. In Gesellschaft.

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Erfahrungen.

Menschen, die sich über ihre eigene aufgedrängte Hilfe beschweren.

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Büroluft.

Kollegin I schnüffelt an einem Edding (rot), verzieht das Gesicht. Dann nimmt sie einen Edding (blau): "Der macht richtig high."

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Blöd.

Die Zeitung mit den vier Buchstaben lag immer als Klolektüre meines Vaters in der Gästetoilette, die Schlagzeilen groß genug, dass man sie nicht übersehen kann. Auch eine Fünfjährige mit so schlechten Augen, dass sie immer ganz dicht an den Spiegel gehen muss, um die eigene Augenfarbe zu erkennen, kann sie lesen, wenn sie denn schon lesen könnte. Damals fing ich gerade an, Buchstabe um Buchstabe zu entziffern, ich wollte wissen um das Geheimnis der Aussagen meines Vaters wie "diese RAF bringt uns noch alle um" oder das "Prinzessin Anne sieht aus wie ihre Pferde" meiner Mutter. Also begann ich zu lesen.
Ich arbeitete mich über die Tagespolitik vor zu den Themen, die mich schon früh interessierten: Klatsch, Tratsch und Promis. Ja, die Zeitung mit den vier Buchstaben. Immer dabei, immer vor Ort.

Als es an der Haustür Sturm klingelt, steht meine Mutter gerade in der Küche und bereitet Gulasch vor. Zwiebelgeruch breitet sich aus, ich sitze auf der Arbeitsplatte, schlenkere mit den Beinen und erzähle, wie blöd Olli aus der 7a heute wieder war und wie er mich auf dem Nachhauseweg im Bus so geschubst hat, dass der Riemen meines coolen neuen Esprit-Rucksacks gerissen ist.
Zwei Männer stehen vor der Tür, sofort beginnt der eine zu reden, ich bekomme es gar nicht richtig mit, bin in Gedanken noch bei Olli, denn so schlecht finde ich den gar nicht, er hat schöne blaue Augen und hört auch The Cure. Jetzt sitzen sie im Wohnzimmer, der eine Mann hat eine große Kamera vor sich liegen, der andere einen Schreibblock. "Wir können natürlich auch anders an Fotos kommen, aber Sie als Verwandte wollen sicherlich nicht irgendein Foto von der Polizei oder so." Meine Mutter wird ärgerlich, weist mit der Hand in Richtung Ausgang. Zum Abschied wendet sich der eine an mich: "Und wie fandest du deinen Onkel?" "Nett", antworte ich brav, denn nett war er, mein Patenonkel. Jedenfalls zu mir.
Zwei Tage später steht in der großen Zeitung mit den vier Buchstaben, dass sich der Flüchtige der Polizei gestellt habe. Ein Bild meines Onkels ist auch dabei: Er liegt unter einer Plane, neben ihm seine drei ebenfalls erschossenen Schäferhunde und im Hintergrund, ausgestreckt auf den Stufen des Hauses, die tote Lebensgefährtin. Eine Lache Blut quillt unter der Plane hervor und man sieht trotz der schlechten Druckqualität deutlich, dass es schon dunkel geronnen ist. Die Reporter waren spät.

"150 Zeilen bitte bis um zwölf", lautet der Auftrag. Fieberhaft überlege ich, wie ich noch den ein oder anderen O-Ton dazu bekommen kann, vielleicht noch eine Expertenmeinung, Jo Gröbel, ja, der ist immer bereit, seine Ansichten der Weltöffentlichkeit mitzuteilen, und nett ist er auch. Und Fotos! Die hätte ich fast vergessen! Im Archiv ist nichts Verwertbares, vielleicht kann ich ja noch was faken. Geht alles, wenn man will. Die Zeitung mit den vier Buchstaben ist nicht zimperlich. Ich auch nicht und mit dem Instinkt eines Bluthundes will ich den Erfolg UND die Story, um einmal in den Journalistenolymp eintreten zu dürfen. Scheiß auf die Moral, ich bin's: die Reporterin für die Zeitung mit den vier Buchstaben.

Diese dämlichen Hundebesitzer, schimpfe ich innerlich, streife meine Büro-Pumps ab, es war wieder stressig heute, immer neue Kampagnen entwickeln, organisieren, Logistik beachten, PR-Artikel schreiben. Die Schuhe stelle ich auf eine Zeitung, ein wenig vergilbt, ich habe sie eben aus der Papierkiste im Treppenhaus gefischt. Das Titelbild zeigt den ehemaligen Medienkanzler, ein bisschen verschmiert jetzt mit den Hinterlassenschaften der Prenzlauer Berg-Köter. Der hat sich ja auch ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt mit der Gazprom-Geschichte. Eine echte Blöd-Story.

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Benamsung.

Haben Sie, werte Leser, Ihre Eltern mit Vornamen gerufen?
Ich fand das in den Siebzigern mal richtig revolutionär und wollte das auch zuhause einführen. Meine Mutter sah mich nachdenklich an: "Was hast du jetzt wieder gelesen?" Es war die Zeitschrift Eltern.

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Frühsport.

Zu den unangenehmsten Begegnungen gehört mit Sicherheit das Treffen von Kollegen am Morgen in der U-Bahn. Man grüßt sich, vertieft sich in Buch oder Zeitung, aber dann: Nach dem Aussteigen die Frage, ob man gemeinsam in Richtung Büro laufen soll. Man müsste sich ja vielleicht über das Wetter oder den Dreck auf den Straßen unterhalten, Smalltalk machen. Meine morgendliche Soziophobie verbietet mir derartige Freundlichkeiten. Ich vermeide solche Situationen, indem ich in meinen bekannten Landser-Schritt verfalle. Zack. Zack. Zack. Im Stakkato wirbeln meine Beine Richtung Werkstor. Einholen geht nicht. "Sie wollen aber schnell an den Schreibtisch", sagt der neue Kollege, als ich ausgepumpt und mit heraushängender Zunge meinen Computer anwerfe.

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Schwanger.

Ich bekomme ein Kind! Na ja, nur ein Patenkind, aber hey - das ist toll!

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Meilensteine.

Den Glauben an die ganz große Liebe verlor ich am Kilometerstein 753,5 in der Nähe von Orléans. Wir hatten uns gestritten, auf dem Rückweg vom Ferienhaus nach Paris waren wir noch an der Loire entlang gefahren, einige Schlösser besichtigen, du nanntest es "Rentnern", ich nannte es "historische Stätten sammeln". Dass dein Auto in der Nähe von Saumur und damit dem Wohnsitz meiner ehemaligen Schwiegereltern in spe anfing zu qualmen und eine kostenintensive wenngleich zu einem Freundschaftspreis ausgeführte Reparatur in der Werkstatt des Onkels meines Ex-Verlobten notwendig machte, dafür konnte ich nun wirklich nichts. Immerhin hatte ich mich einige Wochen vor der Hochzeit in dich verliebt und mit deren Absage nicht nur eine sichere Existenz an der Seite eines wohlsituierten und liebenswürdigen französischen Adeligen aufgegeben. Auch der Umstand, dass die Betten in einem Hotel zu hart, im anderen zu weich waren, hatte nur in geringem Umfang mit mir zu tun.
Meine Bemerkung, ich fände es gut, wenn du das nächste Mal Kondome benutzen würdest beim Fremdgehen, mit der Antwort "du bist genauso beknackt wie deine Mutter" zu quittieren, empfand ich ein wenig unangemessen. Meinen Hinweis, du könntest gelegentlich auch die 500 DM zurückerstatten, die ich dir anlässlich eines kleinen Engpasses geliehen hatte, mit einem "greif mal einem nackten Mann in die Tasche" zu beantworten und mich an der Raststätte am Kilometerstein 753,5 mitsamt meinen Koffern auszusetzen, kann ich nur als Ausdruck einer gewissen Gefühllosigkeit werten.
Der Truckfahrer namens Pierre, welcher mir schweigend ein Päckchen Tempos reichte, mich samt Gepäck nach Paris mitnahm und mir anbot, einige Tage bei ihm und seiner Frau Unterschlupf zu finden, fand dies übrigens auch.
Kilometerstein 753,5 würde ich heute gern flickrn, denn heute vor zehn Jahren habe ich meinen Glauben an die ganz große Liebe verloren.

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Aussicht.

Sich dabei ertappen, doch wieder Stellenanzeigen in anderen Städten zu lesen. Wo müssen Posten besetzt werden? Berlin ist negativ besetzt.

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Timelag.

Letztes Jahr um diese Zeit fuhr ich schon Roller. Heute laufe ich. Metamorphose rückwärts, wetterbedingt. Wann beginne ich zu kriechen? Schnee und Eis kommen sicher auch noch mal.

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Lesung als Podcast.

Die Lesung hat übrigens Bordbuch.net als Podcast ins Netz gestellt. Herzlichen Dank! Für alle, die uns schon immer mal hören wollten.

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Schulwettbewerb.

Erinnern Sie sich noch an damals, als Sie im Schönschreibwettbewerb der Schulen Ihrer mittelgroßen Stadt schon in der Vorrunde ausschieden?
Die Entscheidungen der Jury haben Sie nie nachvollziehen können. Zu schnörkelig, befanden die einen, zu gerade heraus im Schriftbild die anderen. Sauklaue, sagte der Dritte und von einer mittelmäßigen Leistung sprach der Oberstudienrat Meckernich, aber mit Tendenz zu gut. Immerhin: Die Jury ging zur Beratung hinter verschlossene Türen. Wie wäre wohl der Wettbewerb ausgefallen, wenn die Jury laut schwatzend durch die Reihen gelaufen wäre, immer wieder murmelnd, den jeweiligen Probanden einer kritischen Musterung unterziehend?

Lesungen haben den entscheidenden Nachteil, dass Teile des Publikums nicht auch schon in der Vorrunde aufgrund hämischen Schwatzens ausscheiden können. Und mir ist auch ziemlich egal, ob oder wer sich da angesprochen fühlt. Aber ich finde es eine ausgesprochene Unverschämtheit, bei Lesenden, die nicht ins eigene, vermeintlich hyperintelligente, kritische und selbstverständlich vollkommen aus dem Rahmen fallende Blogverständnis passen, im Hintergrund zu schwätzen, lästern und sich ganz allgemein daneben zu benehmen. Bleibt zuhause, wenn Ihr es nicht ertragen könnt Vielfalt zu hören.

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Hmja.

Das Leben als ewigwährender schlechter Aprilscherz. Selten so gelacht.

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Quantentrost.

Irgendwie macht mich die Theorie glücklich, nach der in irgendeinem Paralleluniversum alles ganz anders wäre.

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