Besser schwedische Küsse als schwedische Gardinen.
Aus: Kalauerismus des Tages.
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Es klingelt um viertel nach neun morgens an der Tür. Ich bin noch nicht geduscht, mein Morgenmantel, weißes Frottee mit einem IKEA Family-Schildchen an der Tasche, hängt an mir herunter wie die Tränensäcke unter den Augen. Gestern war es nicht lang genug. Wenn ich vor eins schlafen gehe, sehe ich am nächsten Tag aus, als sei ich gar nicht im Bett gewesen.
Ich öffne trotzdem, nützt ja nichts. Vor mir steht eine bleiche Gestalt, eine ältere Frau mit tiefen Furchen im Gesicht und einem graun-braunen Dutt im Haar.
„Hallo und guten Morgen, ich bin die Oktoberdepression. Wir haben eine Verabredung.“
Zur Begrüßung streckt sie mir höflich die Hand entgegen, die ich geflissentlich übersehe. Ich mag das nicht. Diese Drückerkolonnen versuchen es jetzt schon mit normalen Umgangsformen. Da waren mir die alten Fuß-in-die-Tür-Steller lieber, die konnte man wenigstens gleich so richtig schön anpöbeln und auf ihre gesellschaftliche Position hinweisen. Darwin, ick küsse dir!
„Tut mir leid, da muss ein Irrtum vorliegen“, weise ich sie kühl ab. „Ich habe einen Termin im November, jetzt ist es definitiv noch zu früh, und schauen Sie doch mal: Draußen scheint so schön die Sonne“, fahre ich fort und zeige durch die staubigen Fenster des Hausflurs auf die golden übertünchte Backsteinwand des Nachbargebäudes.
„Ach so.“ Ein kurzer Augenblick des Zögerns, eine Bewegung wie zum Gehen, aber so leicht lässt sich die Oktoberdepression nicht entmutigen: „Tja, das ist natürlich ärgerlich. Denn eigentlich bin ich für diese Straße zuständig. Kann ich Ihnen denn gar nichts anbieten? Einen kleinen Minderwertigkeitskomplex vielleicht, noch nicht kompensiert?“
„Danke“, wehre ich ab. „Habe ich schon.“
„Dann hätte ich noch Projektionshandlungen im Zusammenhang mit frühkindlicher Vernachlässigung, eine Reihe von unglücklich verlaufenen Liebschaften und noch etwas ganz besonders Schönes: Extremer Stress durch Akademikerarbeitslosigkeit. Na, wäre das nichts für Sie? Kommen Sie, das ist doch wirklich unschlagbar!“ Jetzt wirkt sie richtig begeistert. Die blassen Wangen bekommen sogar ein wenig Farbe.
Ich zögere. Eigentlich hört sich das gar nicht so schlecht an. Eine Depression ist immer ganz gut zu haben. Sich mal so richtig gehen lassen, den inneren Schweinehund saubeuteln und vor allem: Den Freunden mit jämmerlicher, unbeteiligt erscheinender Stimme sagen können „ach nee, lass mal, ich fühl mich grad nicht.“ Die kämen dann ganz schnell, denn sie hätten Angst, dass sie mich, durch irgendeine widerwärtige Todesart dahingeschieden, aber dennoch malerisch auf dem Sofa liegend vorfänden. Wir tränken ein wenig Rotwein oder Kakao mit Schlagsahne und einem Schuss Whiskey und hinterher wäre alles ein wenig leichter, die Freundschaft gefestigter.
Klingt alles richtig gut. Aber ich lehne dennoch ab: „Nein, tut mir leid. Diesen Monat geht es einfach noch nicht. Außerdem habe ich gerade ein Sonderangebot: „Depressive Verstimmung für Fortgeschrittene. Da ist alles von Ihnen Angesprochene schon inklusive.“
Sie zuckt ungeduldig mit den Achseln. „Kann man nichts machen“, sagt sie und wendet sich zum Gehen. „Halt!“, rufe ich ihr hinterher, und sie stoppt im Schritt.
„Im Nebenhaus auf der gleichen Etage höre ich immer meine Nachbarin heulen. Vielleicht schauen Sie ja mal dort vorbei? Ich glaube, da hätten Sie definitiv eine Chance!“, sprudele ich hervor. Ihr Gesicht hellt sich wie durch ein Wunder auf. „Danke“, sagt sie, „da geh ich gleich mal hin. Schönen Tag noch!“
Und fort ist sie. Man hilft ja immer gern.
Einige Tage später treffe ich meine Nachbarin vom Nebenhaus im Supermarkt. Fesch schaut sie aus, rote Wangen, wehende Haare. Wir kennen uns nur flüchtig, von Balkon zu Balkon sozusagen.
„Hallo, Frau Nachbarin“, grüßt sie freudig. „Sie haben mir ja so eine nette Bekannte vorbeigeschickt. Seitdem ist bei mir alles wunderbar: Ich hatte so viel Besuch wie schon lange nicht mehr, der Mann meines Herzens kümmert sich rührend wie lange nicht und beim Friseur war ich auch. Danke schön, das war eine tolle Idee.“
Ich denke nur: Mist. Du bist manchmal einfach zu menschenfreundlich.
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Überstanden. Und genossen. Dank für die Gastfreundschaft des "Lass uns Freunde bleiben", Dank an die perfekten Mitstreiter Modeste, Kathleen und Burnston, Don Dahlmann, Don Alphonso und an das wunderbare Auditorium, das die Lesung hoffentlich ebenso goutierte wie ich.
Wortschnittchens gelesene Texte (leicht veränderte Form):
Verkettet
Mord und Kotelett
Diabolus ex machina
Und ganz tolle Bilder der Lesung hat Frau Gaga gemacht.
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+++ Die Teilnahme an den offiziellen Darwin Awards ist auf unbestimmte Zeit aufgeschoben.
+++ Zu akzeptieren, dass man einfach nicht die Kraft hat alltägliche Dinge zu bewältigen ist keine Schwäche.
+++ Ein "Ich liebe Dich" ist manchmal auch nur ein Muster ohne Wert.
+++ Für Versorgungsengpässe: Einfach mal den Nachbarn bitten.
+++ Nach so vielen Röntgenstrahlen, die schon durch meinen Körper gewandert sind, sollte ich eigentlich von Kindern absehen.
+++ "Ach, Schädelbruch hatten wir auch schon! Sie versuchen's wohl trotzdem weiter, wie?" (Ich mag Ärzte-Humor.)
+++ Dank für die guten Wünsche.
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Diagnose: Gehirnerschütterung. Daher erst einmal eine kleine Pause. Bis Mittwoch.
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Man solle mehr auf Zwischentöne hören, sagte letztens eine gute Freundin und kaufte Konzertkarten für Ryuichi Sakamoto und Carsten Nicolai in der Volksbühne.
Meine Tinnitusgeschädigten Ohren erfassen leider nur noch diverse Frequenzen, so dass die Klangfrickeleien der beiden Musiker in ihrer Gesamtheit eher ein Grundrauschen denn nachhal(l)tigen Eindruck hinterließen.
Ergänzt um Videoinstallationen von Karl Kliem brachten Sakamotos improvisiert scheinendes Klavierklimpern und die elektronische Verfremdung der pianokonzertanten Klänge durch Nicolai das Auditorium langsam aber sicher in einen tranceähnlichen Zustand. Wild flirrende Kreise, zischende Regenschauer aus Lasern und zierliche Blockstreifen gemahnten mitunter an einen gestörten Fernsehempfang, aber ähnlich wie Kinder gebannt vor der Flimmerkiste sitzen, obwohl keinerlei Bild zu sehen, erkannte der geneigte Hörer den psychedelischen Hintergrundeffekt des Konzert. Ja, ich entblödete mich nicht, meiner Begleitung ein "ich habe gerade ein nahezu mütterliches Gefühl für einen der Lichtkreise entwickelt" zuzuraunen. Wie wunderbar, dass sie diese Empfindung teilte und nur zurückmurmelte: "Ich wollte auch nicht, dass er verschwindet. Ich glaube, wir sind klangbekifft."
Also könnte man das Konzert am ehesten als Kollektivrausch bezeichnen, was sich auch am begeisterten Applaus ablesen ließ. Aber die Bewertung von Musik liegt eben immer im Ohr des Hörers. Und die sind bei mir wahrhaft ohrensausender Art. Wer weiß, ob ich ohne die Visuals auch in unbekannte Sphären abgedriftet wäre.
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Sie, werte Leser, denken doch nicht, dass die Schicksalsmomente der letzten zwei Tage alles gewesen seien! Nein, so leicht kommen Sie mir nicht davon. Denn man sollte ja nie den Tag vor dem Abend loben, und das Wochenende vor Montagmorgen schon gar nicht.
Ich besuchte also nach den etwas enervierenden Erlebnissen der vergangenen 24 Stunden ein entspannendes Konzert in der Volksbühne, um hernach noch fröhlicher Gast auf der Party eines ehemals beliebten und bekannten Talkshow-Moderators zu sein. Die recht großzügig geschnittene Dachwohnung war bereits gut mit feierwilligem Publikum gefüllt und allseits herrschte beste Stimmung. Ich stand dekorativ am Rande der Tanzfläche und süppelte an einem Wein. Dass ich im nächsten Moment Sterne sah, lag leider weniger an meinem Getränk als vielmehr an einem Surfbrett, hüsch verziert mit dem Namenslogo des Moderators, aber leider nicht ganz fachgerecht in einer Ecke des Raumes verstaut, welches mir auf den Schädel geknallt war.
Ein etwas demütigender Moment, in dem ich mir erst darüber klar werden wollte, ob ich noch lebe, und dann, ob meine Schädeldecke sich in etwas verwandeln würde, was man allgemein als "Horn" bezeichnet.
Und was soll ich sagen: Es wurde ein Horn. Ein Matterhorn. Direkt über meiner rechten Augenbraue.
Die folgenden zwanzig Minuten verbrachte ich etwas weniger dekorativ als vorher in der Küche des bekannten Talkshow-Moderators und drückte ein bedrohlich wirkendes Brotmesser auf die Schwellung. Meine Begleitung presste zeitgleich eine Eispackung auf meine linke Wange, denn das Surfbrett hatte nach dem Abprallen vom Kopf eine hübsche Drehung gemacht und war an jener entlang geschürft.
Jetzt sehe ich ein bisschen aus wie Quasimodo, und ich hoffe, die geschätzte Zuhörerschaft wird mir am kommenden Mittwoch die gelegentlichen Aussetzer verzeihen. Sie sind mit Sicherheit unfallbedingt.
Ich bin gespannt, was das Wochenende noch für mich bereit hält. Am besten, ich bleibe zuhause. Obwohl - die meisten Unfälle passieren in den eigenen vier Wänden. Vielleicht mache ich lieber einen Surfkurs.
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Einmal nach unten, einmal nach oben, immer im Kreis - das Schicksalsrad kennt keine Gnade. Und ich mittendrin, herumgeschleudert und fahlfarbig werdend. Aber am Ende stehe ich wieder auf festem Boden und versuche ein Lächeln.
15 Uhr: "Hallo, spreche ich mit Frau XYZ? Hier ist Polizeimeister ABC. Ihre Tasche wurde gefunden und liegt auf dem Polizeirevier in der Jägerstraße. Karten und Schlüssel sind noch alle drin."
Geld weg, Fotoapparat weg, Sonnenbrille weg. 157 Euro für den Schlüsseldienst ausgegeben. Nerven runter bis auf einen dünnen Strang. Aber letztlich doch das Gefühl, nicht ganz von allen guten Geistern verlassen zu sein. Was der Dieb aber mit meinem Organspendeausweis, meiner Patientenverfügung und dem Foto meiner Mutter und mir anfangen möchte, wüsste ich doch gern.
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Die Queen hatte ihres 1997. Wortschnittchen, die Drama-Queen, hat sich 2005 ausgesucht als annus horribilis, als schreckliches, als furchtbares Jahr.
Wie sich vielleicht einige Leser entsinnen, war der Juli nicht unbedingt einer meiner Glanzmonate. Nicht nur, dass meine Stelle ersatzlos gestrichen, nein, mir wurde im Bruchteil einer Minute mein Laptop gestohlen. Und als wäre es noch nicht genug, fand sich heute Abend ein freundlicher Abnehmer meiner Tasche. Samt Portemonnaie, diversen Papieren (ach, seien wir ehrlich: so ziemlich allen) und meinem Schlüsselbund. Es war einer dieser Momente, als ich friedlich an meinem Bier süppelte, meinem freundlichen Gegenüber lauschte und mich ganz allgemein mit der Welt in Einklang fühlte. Gut, es zog ein wenig, denn ich saß mit dem Rücken zur Eingangstür der Pony-Bar, aber dass dies mein Verderben sein würde, ahnte ich nicht.
Der freundliche Abnehmer schnappte sich unbemerkt meine neben mir liegende Tasche und verließ den Laden. Ein netter Mensch!, dachte ich, als sich mein Handy auf dem Boden fand, so dass ich wenigstens die Karten sperren und den Schlüsseldienst rufen konnte. Was soll ich sagen: Dienstleistungen solcherlei Art sind nicht umsonst. Nein, der liebe Begleiter musste noch einige Straßen weit zur nächsten Bank fahren, um mir aus der finanziellen Patsche zu helfen. Denn ich bin nun mittellos. Zumindest, bis die Bank mir neue Karten ausstellt.
The Drama-Queen is not amused. Aber immerhin trägt sie ihren Namen zu Recht. Oder sollte sie sich in Pechmarie umbenennen?
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Ich wollt', ich wär' ein Huhn.
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Und dann sind da noch die Menschen, die einem Hoffnung geben, dass man irgendwann auch mal eine Ehekrise überstehen wird.
(Ich sag' zwar immer, dass ich nicht heiraten will, aber fragen Sie mich mal genauer!)
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Wenn sogar die H-Milch sauer ist.
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Bei Kindern ist es ein beliebtes Spiel, sich zu verkleiden und in eine andere Identität zu schlüpfen. Bei Erwachsenen ist es Alltag.
Ich stehe jeden Morgen vor meinem überaus gut gefüllten Kleiderschrank und mixe mir meine Maske für den kommenden Tag zusammen.
Heute mal die Großstadtindianerin geben? Her mit der wildledernen Cargo-Pant! Bin ich in der Stimmung für große Gefühle à la Jenseits von Afrika? Zart, duftig, Chiffon. Und was trage ich, wenn ich ich bin?
Dann sollte man mich tunlichst weder auf die Straße lassen noch besuchen. Wenn ich mich ganz en privé fühle, kombiniere ich die wildesten Kreationen. Ein Empire-Kleid über Jeans, die – gelinde gesagt – einmal lockerer saßen. Darüber die geliebte Kapuzenjacke. Plus ein Paar (Achtung, Herr Kid!) Ringelsocken. Oder doch lieber die mit den Fröschen drauf? Auf jeden Fall sehe ich dann wenig sozialkompatibel aus. Bei längerem Aufenthalt in den eigenen vier Wänden stellt sich zudem ein gewisser Verwahrlosungseffekt ein: Schminke, nein danke! Und die Haare lagen auch schon mal besser. Von dem beklagenswerten Zustand meiner Wohnung einmal ganz abgesehen.
Sie sehen, liebe Leser, mit der Identität ist es so eine Sache. Mitunter kann sie sich in entzückenden Outfits präsentieren. Wenn die Außenwelt es erfordert. Die Innenwelt ist der Hobbit in seiner Höhle. Ich gehe dann mal meine Ringelsocken anziehen. In diesem Sinne: Einen schönen Freitag!
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Letztens empfahl mir der geschätzte Don Dahlmann, doch mal ein wenig mehr Gefühl zu zeigen. Na ja, um genau zu sein, sagte er: "Jammere doch mal, das ist gesund."
Wer mich liest, weiß um meine Abneigung gegenüber Jammerbloggern, deren Online-Tagebücher dicht an den Auflösungserscheinungen ihrer Teenagerempfindungen angesiedelt sind. Ironische Distanz hält eben Leib und Seele zusammen, und daher habe ich bislang vom Jammerbloggen abgesehen.
Aber: It's my party and I cry if I want to, so ist's richtig. Und daher gibt es jetzt den exklusiven Wortschnittchen-Jammercontent. Also: Ich habe Kopfschmerzen, sogar ganz ohne Wein, mein Hals kratzt und die Seele ist auch ein bisserl marode.
Ach, Jammern macht keinen Spaß. Zurück in den Ironie-Modus.
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Was ich überhaupt nicht mag: Absender, die Lesebestätigungsmails anfordern.
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Ich vermisse meinen Verstand.
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Nur mal so angenommen.
Wohin verschwinden eigentlich alle gedachten Gedanken? Was passiert mit der Liebe, wenn sie nicht mehr gewollt wird? Gibt es irgendwo eine Entsorgungsanstalt für solche immateriellen Dinge oder zumindest eine Wiederverwertungsstelle?
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