Familiale.

Das war das entspannteste Weihnachtsfest seit langer Zeit. Nur gegessen, Rommé und Canasta gespielt, zwischendurch den Kamin angefeuert, Spazierengegangen und kein einziger Konfliktbereich.

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WeihnachtsTraum.

Mist. Heute nacht, so zwischen halb zwei und halb drei, ich, schlaflos, wie so oft zum Wochenbeginn, hatte ich ganz großartige Ideen für Weihnachtsgeschenke. Praktisch für jeden zu Beschenkenden wusste ich genau, was ihm eine Freude machen würde. Alles bezahlbar, schön und problemlos zu besorgen.

Und heute Morgen, dann: alles weg.

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KerzeKirche.

In einer kleinen Kirche in Trastevere, wo einst die ersten Christen ihren Versammlungsort hatten, eine Kerze angezündet und einen stillen Gruß gen Himmel geschickt. Neun Jahre sind es morgen, Omama, und du wirst immer noch vermisst.

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Familienfeiern.

Satte 140 Jahre sollen gefeiert werden, mit Pauken, Trompeten und allem Pomp, den das Jubelpaar aus der (Geld-) Tasche zaubern mag. Nach nunmehr zehn Jahren findet sich zu diesem Anlass zusammen, was aus genetischen Gründen zusammengehört oder doch zumindest unübersehbar miteinander verwandt ist (Ohren von der einen Familienader, das Kinn vom Briefträger).

Was trotz aller jenseits des letzten Festes geborenen Kinder auffiel: eine ganze Generation ist verschwunden. Die ganz Alten, die Großeltern, Mittsiebziger und -achtziger, Silberlocken - in den letzten vier Jahren spülte sie die große interfamiliäre Sterbewelle hinfort. Einzig ein geistig wie körperlich rüstiges Paar (sie 82, er 87) an unserem Tisch erzählt von den Verstorbenen, erinnert sich, mich, wir werden ein wenig wehmütig. Meine Großmutter, die enge Freundin und Skigefährtin, mein Großvater, der labile Charmeur und passionierter Skatspieler, die Tante aus dem Bergischen Land, deren Ironie Diamanten hätte schleifen können, die Freunde und Geschäftspartner, die ein enges Geflecht fast familiären Zuschnitts bildeten, alle fort.

Und so schweben, unsichtbar, an den Fäden der Erinnerung gehalten, noch mehr Partygäste über das Parkett der, nun ja, Mehrzweckhalle und bereichern auf jeden Fall die Feier, erfreuen mein Herz, wenn es doch die noch lebenden, die engsten Verwandten derzeit so gar nicht tun.

Ich halte es frei nach Goethes Wahlverwandtschaften mit der Überlegenheit der geistigen Chemie gegenüber den Blutsbanden.

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Memoratorium.

Sie saß am liebsten ganz links auf dem Sofa, den Arm auf der Lehne ausgestreckt, den Gehstock immer in Griffweite. Mit dem schubste sie gern mal die Hunde von ihren Füßen, wenn sie ihr zu viel wurden oder infernalisch pupsten. Besonders Stella, die schwarze Labradorhündin, war Meisterin im Verbreiten schlechter Gerüche.

Vor allem an Weihnachten, wenn die Hunde, drei an der Zahl, eine Extra-Ration frisches Herz verputzt hatten, roch es mitunter etwas streng im großen Wohnzimmer, ihrem Salon, wie sie nicht müde wurde zu betonen. Dort stand auch die stets sehr große und ausladende Nordmanntanne in einer Ecke, die sonst dem ererbten Rokoko-Sessel vorbehalten war und von dem aus man über den Main bis fast nach Offenbach blicken konnte.

Kein Lametta, forderte sie immer von meiner Großmutter, da ist Blei drin! Ihre Tochter, stetige Einmischung der Familienmatriarchin in Privat- und Firmenangelegenheiten gewohnt, nickte duldsam und hängte trotzdem glitzernde Fäden an den Baum. Sie hätte es ohnehin nicht mehr sehen können, denn nach zwei Schlaganfällen und grauem Star waren die Augen milchig geworden, das Begreifen der Umweld auf das Notwendige beschränkt. Nur Lametta, das bitte solle es denn niemals, nie in ihrem Hause geben.

Von ihr stammte der große Kaufmannsladen vom Beginn des vergangenen Jahrhunderts, mit dem sie selbst gespielt hatte, damals im Kaiserreich. 1899 geboren, am 1. Januar, nun fast ein Jahrhundert alt und mit Augen die viel gesehen hatten, aber nun langsam erloschen wie auch der Lebenswille. Ein letztes Weihnachten noch, 1990, dann wolle sie abtreten, wie sie uns versicherte, während einigen Familienmitgliedern der Christstollen im Halse stecken blieb, andere widerum bereits Berechnungen des Verkaufspreises des zu erwartenden Erbteils anstellten. Es war trotzdem ein schönes Fest, obwohl allen bewusst war, dass es wohl das letzte Weihnachten für sie sein würde und den Untergang der gemeinsamen Familienfeste bedeutete.

Gestorben ist sie dann in einer klirrend kalten Januarnacht. Draußen mag es silbern überglänzte Wiesen gegeben haben, so silberfarben wie ihr Haar. Heute Nacht kam sie mich kurz besuchen. Stella an ihrer Seite, saß sie in ihrem Rokokosessel und lächelte mich an: Kein Lametta, hörst du?

Nein, Omama, kein Lametta.

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AltHergebracht.

Ach, ein wenig zynisch klingt die Überschrift dann doch, denke ich, und trotzdem: Es ist so, und es ist nichts zu deuteln daran. Irgendwann kehrt sich das Verhältnis Kind/Eltern um, und zwar dergestalt, dass auch räumliche Nähe erforderlich sein mag. Nähe, die in den letzten 20 Jahren sehr ungewollt war, zu tief die Verletzungen und Kränkungen beiderseits, zu anstrengend das frühe Erwachsenwerden durch die Erkenntnis, es sei niemand da, der einen Kind sein ließe. Das Leere-Weinflaschen-wegbringen sowieso, immer zu schwer die Last. Verantwortung übernehmen, so war es, so ist es heute, mehr denn je, das Alter tut sein Übriges dazu. Der soziale Dienst soll erst einmal nach ihr schauen, beurteilen aus objektiver Sicht, ob meine subjektiven Empfindungen während weniger Telefonate den Schritt rechtfertigen werden. Wenn dem so sei, hätte ich sie doch gern in der Nähe, allein schon, um ein würdiges Umfeld zu gewährleisten. Und einen Flaschencontainer hätte ich gern gleich dazu, bitte.

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Rückenseitig.

Der Vater am Telefon fragt nach dem gesundheitlichen Befinden. Ich kann klagen, sage ich, und zähle die mannigfaltigen, nicht zuletzt durch eine zauberhafte erbliche Gelenkdeformierung väterlicherseits angereicherten, Schmerzzustände auf. Er gibt den guten Rat, es doch einmal mit Sport zu versuchen. Eine Quote von 35 Prozent verbliebener Rückenmuskulatur sei inakzeptabel. Er immerhin sei mit seinen künstlichen Hüftgelenken hochzufrieden. Ich liebe diese Vater-Tochter-Gespräche.

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FamilienKlang.

Der Wahnsinn ist ein Wanderpokal, der zu Weihnachten weitergereicht wird.

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Schnitzeljagd.

Das letzte Mal habe ich an einer Schnitzeljagd teilgenommen, als ich ungefähr 7 Jahre alt war. Der Tennisclub, in dem mein Vater jede freie Minute verbrachte, lud jeden Sommer zu einem großen Fest ein, mit Besäufnis für die Erwachsenen und Belustigung für Kinder und Jugendliche. Unter Belustigung verstand man in den späten 70ern und frühen 80ern Spiele mit Gruppencharakter und hohem Beteiligungsanteil. Mein Beteiligungsanteil erschöpfte sich allerdings im Wesentlichen darin, dass ich mir die Spiele aussuchte, welche wenig gruppendynamische Prozesse erforderten sowie in unmittelbarer Nähe zu Nahrungsquellen stattfanden.
Unter 'Schnitzeljagd' konnte ich mir in meiner kindlichen Naivität die Krönung aus Beidem vorstellen: Wenig mit Altersgenossen um die Führung in der Gruppe rangeln, und irgendwas mit Essen musste es auch zu tun haben.

Demgemäß fand ich mich begeistert am Startpunkt ein, wo unter anderem die blöde Sandra und die blöde Ulrike schon Hand in Hand standen und dumm kicherten. Der blöde Markus machte den beiden schöne Augen, und wenn er nicht so großartige Köpper im Clubeigenen Schwimmbad beherrschte, dann hätte ich ihn natürlich noch blöder gefunden. Frau Schenk, die Trainerin der Jugendmannschaft E (Alter bis 7 Jahre) und Frau Ebert (Sandras Mutter) verteilten Pläne an die älteren und lesekundigen Kinder, die uns Jüngere als Gruppenleiter anführen sollten.

Ich hatte gerade Lesen gelernt und wagte mich bisweilen schon an Werke wie den Räuber Hotzenplotz oder Pippi Langstrumpf heran, fand aber die gezeichneten und mit Instruktionen versehenen Pläne wenig einleuchtend. Nun war ich der Gruppe 'Holger' zugeteilt worden, ausgerechnet. Denn hier kicherten schon Sandra und Ulrike und hielten sich an den Händen. Holger sammelte seine Schar um sich, und wir marschierten los.

Immer durch Wald und Wiesen, an Hochsitzen vorbei, am Wildgatter entlang ging es, wo so interessante Aufgaben wie 'Finde den Vogel, der anderen Eier ins Nest legt' gelöst werden mussten. Kindergarten, dachte ich, und trödelte hinter meiner Gruppe her. Das Kichern von Sandra und Ulrike zehrte an meinen Nerven und so blieb ich immer weiter zurück. Irgendwann war die Gruppe Holger außer Sichtweite, was mir relativ egal war, denn ich hatte gerade ein neues Spiel entdeckt: Dammbau. Ich schichtete eifrig Steine, Äste und Dreck auf und bewunderte den sich bildenden See sowie die darin gefangenen Fischlein, deren ich im Laufe meines Spielens habhaft zu werden gedachte. Mir schwebte ein kleines Lagerfeuerchen vor, worüber ich meinen Fang braten und alsbald zufrieden verzehren würde.

Diese Pläne wurden schnöde vereitelt. Denn es wurde langsam dämmrig, kühler und die Mücken hinterließen unschöne juckende Flecken auf meiner makellosen Kinderhaut. Ich entsann mich der Gruppe Holger. Wo waren sie? Wir waren auf unseren Wegen lose hingestreuten Flecken mit Sägemehl gefolgt, die zu den Zwischenzielen führen sollten. Ich verließ den Ort meines Wirkens, nicht, ohne einen wehmütigen Blick auf das großartige Bauwerk zu werfen. Würde ich je zurückkehren?

Der Wald erschien mir dunkler als zuvor, die Schatten länger und unheimlicher, die Geräusche bedrohlich. Ein Aneinanderreiben zweier Baumstämme wurde zu einem Stöhnen, der Ruf eines Raubvogels zum Schrei einer gequälten Seele. Ich hatte schlicht Schiss.

Schiss hatten langsam auch die Mitglieder der Gruppe Holger bekommen, denen erst recht spät auffiel, dass das kleine, schweigsame Wortschnittchen fehlte. Der Namensgeber Holger, 15 Jahre alt und fast schon erwachsen, oder jedenfalls mit einem mickrigen Bärtchen versehen, sah seine verantwortungsvolle Stellung in Gefahr und eine elterliche Tracht Prügel auf sich zukommen.

Er lotste die Gruppe umgehend und ohne Lösungsansätze für die letzte Aufgabe zu suchen zum Zielpunkt und teilte Frau Schenk und Frau Ebert mein Verschwinden mit. Eine großangelegte Suche wurde gestartet. Ich hörte die Rufe und begann in die Richtung zu rennen, aus der sie kamen. Was ich in der Dämmerung übersah, war eine quer über den Waldweg gewachsene Wurzel. Ich fiel und knallte mit dem Kinn auf einen Stein. Man fand mich heulend und benommen am Weg sitzen.

Wenn der Gentleman und ich eine Schnitzeljagd für ein demnächst stattfindendes Großereignis organisieren, sollten wir kleine, schweigsame Eigenbrötler berücksichtigen. Ansonsten biete ich mich gern an, mit ihnen vor dem Fernseher zu warten, bis die glückliche, müdegewanderte Schnitzeljagdgruppe wieder auftaucht.

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Prüfung.

Der erste Blick entscheidet. Fest sehen sie einander in die Augen, ein Händedruck, männlich markant. Jetzt ist der Moment, in dem sich entscheidet, ob sie das lockere Du nutzen werden oder das formelle Sie.

Am Ende der zwei Tage sind sie sich einig. Die Übergabe erfolgt inoffiziell. "Der ist ok", sagt der Vater in einer Toilettenabwesenheit. Obwohl ich es ohnehin wusste, bin ich erleichtert.

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