Pondicherry/Tamil Nadu. Ein Blick in die Zeitung

Erinnert sich noch jemand an den 26. Dezember? An die Tage danach, als stuendlich neue Zahlen veroeffentlicht wurden? Als koennten Angaben ueber die Hoehe der Opferzahlen ein Anhaltspunkt fuer das Leid sein, welches die Menschen ueberkommen hat.

Zwei Monate liegt die Katastrophe nun schon zurueck und in der medialen Wahrnehmung duerften es weit mehr sein, so schnell verlieren sich Ereignisse im taeglichen Kampf um Auflage und Schlagzeilen.
Wie tief der Schock in den Kuestenregionen dagegen sitzt, verraet ein Blick in die Regionalseiten von "The Hindu". Eine ganze Seite ist den Meldungen ueber die Tsunami-Folgen gewidmet:

Kanyakumari. Fischer des Staedtchens an der Suedspitze Indiens brachten nach einer vermeintlichen Tsunami-Warnung in Panik ihre Boote an Land.

Veerampattinam. Die ueberlebenden Fischer fuerchten sich davor, ihren Beruf auszuueben. Auch zwei Monate nach dem Tsunami sind sie noch nicht wieder hinaus gefahren. Wie viele der Fischer in den Kuestenregionen, obwohl sie mittlerweile Ersatzboote und Foerdermittel erhalten haben.

Thalanguda. Der Buergermeister des Dorfes ueberreichte der mittellosen Witwe von C. Premshothaman eine Geldhilfe und wies ihr eine neue Huette zu. Ihr Mann hatte zwei Kinder aus den Fluten gezogen, sie auf eine Palme gehoben und war dann von umherwirbelnden Truemmerteilen getroffen und mitgerissen worden. Er starb eine Woche nach der Katastrophe an einer Blutvergiftung.

Nur eine kleine Auswahl an Meldungen, die die Zeitungen immer noch Tag fuer Tag fuellen. Die indische Kueste am Golf von Bengalen wurde unterschiedlich stark betroffen: Waehrend der historische Kuestenort Mamallapuram und die Hafenanlagen Chennais schwer getroffen wurden, blieben Pondicherry und Auroville so gut wie verschont. In Pondicherry werden dennoch Vorkehrungen gegen eine neue Flut getroffen: Schweres Geraet schuettet vor der Uferpromenade riesige Steinbloecke auf, die moeglicherweise anrollende Wellen brechen sollen.

7.000 Kilometer entfernt vergisst man schnell ueber Landtagswahlen, den neuesten Modetrends fuer Winter/Herbst oder dem ganz normalen alltaeglichen Wahnsinn. Hier wird das Vergessen Generationen dauern.

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Pondicherry. La Grande Nation se casse

In Pondicherry, am Golf von Bengalen, wurde der Traum vom franzoesischen Weltreich geboren. Hier starb er auch eines leisen Todes. Nach langem und erfolglosen Gerangel mit den allemal geschickter agierenden Beamten der Handelsgesellschaften des British Empire um die Gunst der lokalen Herrscher in und um Madrasbegrub die Grande Nation ihre Plaene im Schatten einer Palme.


In den fuenfziger Jahren verschwanden die franzoesischen Truppen nach und nach aus Indien. Zurueck blieb eine heimliche Sehnsucht der Gebliebenen nach dem Savoir vivre mit Cafe au lait und Croissants sowie koloniales Resterbe wie Polizisten mit roten Kepis und ein Gebietsverbund, der heute unter dem Namen Unions Territory of Pondicherry bekannt ist und die ehemaligen Kolonialgebiete Mahe in Kerala, Yanam in Bengalen und Karaikal und Pondicherry in Tamil Nadu umfasst.

In diesen Unionsgebieten gilt weder die restriktive Steuergesetzgebung der umliegenden Bundesstaaten (worueber ich froh sein kann, da auch mein Hotel keine Luxussteuer erhebt - es ist ohnehin teuer genug, aber nach anderthalb Wochen Budget-Unterbringung goenne ich mir das) noch die uebliche englische "Hochsprache". Man hoert immer noch haeufig Franzoesisch: Madame, ca va?, rufen die Maenner, wenn sie auf dem Vesparoller die Uferpromenade, eine indische Kopie der Croisette an der Cote D'Azur, entlang sausen.


Alliance Francaise und Institut Francais sind ebenso vertreten wie das Konsulat, ueber dessen haesslichen Funktionsgebaeuden eine ueberdimensionierte Tricolore im heissen Wind weht. Ueberhaupt ist Pondicherry in Vielem die Kopie einer suedfranzoesischen Kuestenstadt: Rechtwinklige Strassenzuege, Kolonialvillen mit prachtvollen Gaerten hinter hohen Mauern, Dachterrassen, von denen sich Bougainvilleas ranken, hier und dort ein Lycee oder eine Ecole Primaire.

Touristen finden noch viele Reste franzoesischer Bemuehungen in Indien. Dennoch verliert sich nach und nach die Grande Nation und geht in der indischen auf. Weniger Schueler waehlen Franzoesisch als erste Fremdsprache, die tamilisch-drawidische Bevoelkerung orientiert sich verstaendlicherweise eher nach Madras und Delhi, den ehemals britischen Mandatsgebieten, als nach Paris und die wenigen franzoesisch-staemmigen Inder, welche noch die Moeglichkeit einer doppelten Staatsbuergerschaft nutzten, sterben aus.

Was bleibt, ist eine Vergangenheit, die ueberwiegend fuer Besucher gepflegt wird: In prachtvollen Hotels, deren Personal zum Fruehstueck neben Buttertoast und Tee auch Croissant und Cafe au lait serviert und mit "Bonjour Madame, avez-vous bien dormi" gruesst und die typische Begleiterscheinung eines Indienaufenthalts (Schlaflosigkeit aufgrund inflationaeren Hupengebrauchs) schnell vergessen laesst.

Auch hier gilt es, Geschichten zu finden. Wie ich den indischen Tupak Shakur kennenlernte und wie die Liebe ein Franzoesin und einen Thailaender erst zusammen und dann nach Indien brachte - das wird demnaechst hier zu lesen sein. Heute geht es erst einmal nach Auroville, das Projekt "Urbanes Leben auf internationaler Basis" nach seinem Realitaetsgehalt abklopfen. A plus, alors!

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Goa. Diverses von Goettern und Tieren

I. Shiva`s Spielmannszug

Die ungefaehr drei Millionen Goetter des Hinduismus koennen gar nicht alle Gerechtigkeit erfahren. Deshalb konzentriert sich das Hauptaugenmerk der Glaubensgemeinde auf die drei wichtigsten: Brahma, Vishnu und Shiva. Danben gibt es noch den Lieblingsgott aller Tierliebhaber, den Elefantenkoepfigen Ganesh, und Hanuman, den Affengott, der deswegen verehrt wird, weil er dem Helden Rama im indischen Epos Ramayana aus der Patsche half.

Vorgestern wurde ich Zeugin einer Prozession zu Ehren Shivas. Vorstellen kann man sich das als ein ueberdimensioniertes Strassenfest eines groessenwahnsinnig gewordenen ostwestfaelischen Buergermeisters: Schalmeien, Pauken, Trommeln und Trompeten - ganz besonders viele Trompeten! - und diverse andere schrill klingende Musikinstrumente begleiten in ohrenbetaeubender Lautstaerke Festwagen, auf denen riesige Abbilder Shivas stehen. Blumen und buntes Puder werden gestreut, huebsche Inderinnen in traditioneller Tracht tanzen, wenn der Zug eine Pause einlegt. Aber halt, allzu bedaechtig darf es nicht werden! Deswegen und falls es zu leise werden sollte (Merke: Inder halten in punkto Lautstaerke locker mit Spaniern, Israelis und Chinesen mit), werden jede Menge Boeller geworfen und Raketen verschossen.
Falls der geneigte Zuschauer dann noch nicht das Weite gesucht haben sollte, faehrt der Festleiter die Geheimwaffe auf: Popmusik, indische, und das in der Lautstaerke eines startenden Duesenjets.

Wenn Shiva diese Verehrung ueberhoert, dann weiss ich nicht, was ein Hindu noch tun koennte, um ihm seiner Anbetung zu versichern. Vielleicht gibt es irgenwo auf dieser Erde noch groessere Lautsprecher als die, welche vorgestern zum Einsatz kamen?


II. Kuehe (und Menschen)

Ich persoenlich mag Tiere. Ich mag gelegentlich auch Menschen. Wenn beide im Uebermass in meiner Umgebung vorkommen (siehe auch: Grossstadtimmanente Soziophobie, gelegentliche), mag ich nicht mehr. Ganz besonders viele Kuehe und sehr viele Menschen, sehr viele, habe ich heute in Madras genossen.

Indiens Kuehe sind ihren europaeischen Verwandten ueberlegen: Sie agieren in Personalunion als Muellschlucker und Verehrungsobjekt. Ich habe diese Tiere schon Plastik fressen sehen. Mehrfach und genussvoll.

Daher bin ich eigentlich ganz froh, dass sie dem Inder zu heilig sind, um in die Pfanne zu kommen. Wer moechte schon gern ein Boeuf Bourgignon mit dem Nachgeschmack einer Plastiktuete?

Ich habe nach einer schoenen Zeit in Goa einen grossen Satz ueber den indischen Subkontinent getan und geniesse gerade nach einem hektischen Tag in Chennai (Madras) einen Cafe au lait und ein Croissant in Pondicherry, der ehemaligen franzoesischen Kolonialstadt. Vive la France, hier versteht man mich!

Ich geh dann mal Geschichten sammeln, demnaechst hoffentlich mehr!

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Goa, Vagator. CRM auf indisch

Neben Kuehen, ganzen Horden von Hunden und selbstverstaendlich gaaanz zufaellig dicht an leicht bekleideten Touristinnen vorbei flanierenden indischen Gigolos gibt es am Strand noch eine besondere Spezies: Die Schmuck- und Faehnchenverkaeufer. Meistens sind es Frauen aus dem suedlichen Nachbarstaat Karnataka, Toechter von Bauern oder Kleinhaendlern.

Sharon ist 15 Jahre alt und seit zwei Wochen verheiratet. Ihr Mann Priet ist sieben Jahre aelter und kommt wie sie aus der Stadt Hampi, Karnataka. Ganz gluecklich sei sie nicht, sie haette gern spaeter geheiratet, aber ihre Eltern gaben ihr Goldschmuck als Aussteuer: Ein paar Ohrringe, ein Armband und das Zeichen einer Ehefrau, eine Kette mit zwei stilisierten Muscheln, eine fuer die Frau, einen fuer den Mann. Priet bekam eine dicke Goldkette. Auch er arbeitet als Strandverkaeufer in Baga, rund 10 Kilometer von Vagator entfernt.

Viel mehr als diesen Schmuck hat sie nicht. Ein paar Kleider, Saris. Und ihre Ware: Bunte Tuecher, billiger Schmuck, Fusskettchen, Plastikbaender. Das versucht sie an den Mann respektive die Frau zu bringen. Der Trick ist einfach: Die Maedchen gehen auf den potenziellen Kaeufer zu, stellen sich mit einem leicht zu merkenden englischen Namen vor, fragen nach seinem Befinden und breiten ihre Waren auf seinem Handtuch oder Decke aus. Normales Prinzip: Vorstellen, laecheln, Kaufanreiz bieten.

Sagt er nein - und das ist in gut 90 Prozent der Fall -, dann wird ein Lockangebot gemacht: "Take two for one price." Spaetestens, wenn noch ein Fusskettchen aus, natuerlich, reinem Silber drauf gelegt wird, kann die Schnaeppchenfreudige Touristin nicht anders: Sie kauft. Kauft sie trotz Stundungsofferten ("Give me 100 today, I trust you, come tomorrow, give me the rest") nichts, wird die staerkste Form des Kundenbeziehungsmanagements aufgefahren: Die emotionale Keule. Die Verkaeuferinnen strecken ihre Hand aus, flehend richten sie ihre grossen braunen Kulleraugen auf den dahin schmelzenden Kaeufer und sagen bittend: "Promise, you look tomorrow. Promise to Sharon (Whitney, Nikita, Chandra,...). Give hand on it." Und man wird gezwungen, einen Handschlag auszutauschen, der in unserer beruehrungsfeindlichen Gesellschaft gemeinhin als aeusserstes Zeichen von Verbundenheit nach Geschaeften gilt.

Manchmal machen die Maedchen auch nur kurz Pause, so scheint es. Sie hocken sich neben die Sonnenliege oder das Handtuch und plaudern ein wenig. Wie hart das Leben sei, wie schwer die Ware zu verkaufen. Bohrt man ein wenig nach, so fallen Worte wie Bestechung der Polizeibehoerden, die nach dem Willen der neuen Regierung alle Strandverkaeufer verjagen soll, und milde Gaben an die oertliche Mafia. Sharon zahlt 1000 Rupies monatlich an die Polizei und 15 Rupies am Tag an einen "Aufseher", der mit den Besitzern der Strandlokale ein Bleiberecht von mindestens fuenf Minuten aushandelt, jederzeit erneuerbar.

Spaetestens dann sollte jeder Kaeufer genug Mitleid fuer das harte Leben aufgebracht haben, um ein Fusskettchen fuer schlappe 250 Rupies zu erstehen. 250 Rupies, das sind gut fuenf Euro. Gehen wir von einem Durchschnittsgehalt von 250 Euro monatlich fuer einen Angestellten in Indien aus. Ich stelle einfach mal eine Milchmaedchenrechnung auf: Fuenfmal Verkaeufe zu ungefaehr 5 Euro ergeben 25 Euro. Mal 6 Tage die Woche ergibt 150 Euro, mal vier Wochen ergibt 600 Euro. Abzuege fuer Mafia und Polizei: Rund 25 Euro. Bleibt einiges uebrig fuer Kommissionskauf der Waren und eine guenstige Unterkunft. Gar nicht so schlecht fuer eine Saison.

Das Spiel mit den vertrauensbildenden Massnahmen wiederholt sich Tag fuer Tag. Kundenbeziehungsmanagement auf indisch lohnt sich. Wer einmal kauft, kauft wieder. Ich jedenfalls habe bereits eine huebsche, kleine Kollektion an Kettchen, Armbaendern und Ringen.

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Goa, Vagator. Der letzte Hippie

I. Von Marrakech on the road

Der letzte Hippie traegt einen kunstvoll gewickelten weissen Turban und eine Lesebrille. Man koennte ihn fuer einen sadhu, einen weisen Mann, halten, wenn da nicht die sommersprossige Haut und der mit rotblonden Haaren versetzte Schnurrbart waeren. Er bestellt sich im einzigen marokkanischen Restaurant Goas "Le Marrakech" eine deftige Tajine und ein Glas Rotwein. Ich denke mir noch, das muss ein Franzose sein, wir kommen ins Gespraech, und ja, so ist es: Er sei gebuertiger Normanne aus einer alten Fischerfamilie nahe dem malerischen Fachwerkstaedtchen Honfleur. Er lebe seit fast dreissig Jahren hier, im Nachbarort Anjuna. Er sei Goldschmied, restauriere alten Schmuck und verkaufe neuen.

Endlich! Ich habe den letzten Hippie gefunden! Wir unterhalten uns angeregt ueber Hermann Hesse, von dem ich bislang nicht wusste, dass sein Buecherzyklus genau den 13 Stufen der Erleuchtung des Krishna Murti entspricht. Als ich ihm sage, dass ich auf der Suche nach dem letzten Hippie bin, lacht Claude und antwortet: "Den gibt es hier nicht mehr. Sie sind alle fort, wieder zuhause oder tot. Aber ich kann dir zeigen, wo alles begann."
So verabreden wir uns fuer den naechsten Tag, aber zuvor will er wissen, ob ich dschungeltauglich bin. Etwas verunsichert sage ich ja. Er raet mir noch zu festem Schuhwerk, schwingt sich auf sein Motorrad und braust davon, sein Turban leuchtet noch lange im Dunkeln.


II. Ich sammle Karmapunkte

Er holt mich puenktlich ab und wir fahren an der Kueste entlang Richtung Norden. Links das Meer, rechts Cashewplantagen, den Fahrtwind in der Nase. Wir lassen Margem hinter uns, einen Kuestenort, wo die Russen grosse Grundstuecke kaufen, um Geld zu waschen. In Ashvem Beach nehmen wir uns Zeit fuer ein bhaji, eine Kartoffel-Kichererbsenmischung mit scharfem Curry und geniessen die Aussicht auf kilometerlangen weissen Sandstrand.


Weiter geht es durch immer weniger touristischere Orte, vorbei an Reisfeldern und Krabbenteichen. Wir halten kurz an einem Tempel mit einem riesigen lingam aus einem ueber drei Meter hohen Termitenhuegel (ohne Termiten) im Inneren, einem Phallussymbol, das Shivas Zwiegestalt als Zerstoerer und Schoepfer darstellt. Und hier passiert, was ich nun wirklich unter allen Umstaenden vermeiden wollte. Der Tempelwaechter malt mir nach der Spende von sechs Rupies einen roten Punkt zwischen die Augen. Claude grinst. Daran muesse ich mich gewoehnen, wenn ich etwas gaebe, bekaeme ich halt auch etwas zurueck, so sei das mit dem Karma.

Wir fahren und fahren und langsam frage ich mich, ob das eine so gute Idee war, mit einem Hippie unterwegs zu sein. Schliesslich ist Zeit nichts, wie er mir bereits am Abend zuvor zu verstehen gegeben hatte, als ich ihn nach seinem Alter fragte. Er bemesse sein Leben nicht an Jahren sondern an Erfahrungen war seine Antwort. Spaeter erfahre ich, dass er diesen Monat 58 wird.
Weiter geht es nach Quirim, an der aeussersten Grenze zum noerdlichen Bundesstaat Maharashtra. Dort ist Endstation. Wir lassen das Motorrad bei einer befreundeten Familie im Garten stehen und machen uns an den Aufstieg auf ein Hochplateau. Bei rund 35 Grad Hitze kein wirkliches Vergnuegen, zumal die Sonne senkrecht auf den Kopf brennt. Ich wickele mir meinen Schal um die Stirn und das erste Mal sehen wir uns aehnlich: Die Touristin und der Hippie.


III. Lost in djungle

Auf dem Hochplateau haben wir eine weite Sicht auf den Fluss weit unten und die Kueste. Jetzt geht es weiter in den Dschungel und ich versuche, die Schilderungen von Schlangenbissen, wild lebenden Leoparden und Panthern zu verdraengen. Wir klettern in einem trockenen Flussbett talwaerts, ueber mannshohe rundgeschliffene Steine und kleine Kieselfelder. An einem Teich macht er halt und zieht sich bis auf einen original indischen String aus. Das Tuch (rot fuer Christen, weiss fuer Hindus) wird durch den Schritt gezogen und an zwei silbernen Spangen befestigt. "Das war frueher die einzige Bekleidung der Fischer und gleichzeitig der wertvollste Besitz", erklaert Claude. Das edelste Teil des Mannes, wertvoll verpackt, so so, denke ich.


Im Folgenden sehe ich seine normannisch weissen Hinterbacken immer schneller vor mir her huepfen, ich komme kaum noch hinterher. Meine Kondition ist bestenfalls maessig, gemessen an der dieses versierten Waldlaeufers. Nach etwa einer Stunde kommen wir zu einem Bayram, einem wilden Feigenbaum, unter dessen langen Luftwurzeln einige junge Freaks sitzen und sich dem Rausch aus kleinen Haschpfeifen ergeben. Wir setzten uns eine Weile dazu, trinken Wasser, essen Bananen und lauschen den Gitarrenklaengen der Rastabezopften.


IV. Die Vergangenheit

Am Meer angekommen zeigt er mir die Stelle, wo alles begann. Sie waren fuenf, damals, 1973: Er, seine Freundin Bernadette, die Amerikanerin Loise, eine ehemalige Sekretaerin John F. Kennedys, Freddo, ein Australier und Gipsy, deren wahren Namen niemals jemand herausfinden konnte, die aber die "Mutter aller chiloms" (Haschpfeifen aus Ton) genannt wurde. Jeder suchte sich sein Plaetzchen in der idyllischen Bucht am Rande eines kleinen Suesswassersees. Claude und Bernadette hatten ihren Baum, Loise und Freddo einen Felsvorsprung und Gipsy lag am Strand, ohnehin immer zu bekifft um die Krabben zu bemerken, die ueber ihren Koerper stiegen. Im Laufe der folgenden vier Jahre tummelten sich bis zu 200 Hippies in der Bucht, stets bereit, einen chilom zu teilen oder sich einen Schuss "smug" (Heroin) zu setzen.


Nach drei Jahren hatte Claude genug von Bernadette und der Truppe und setzte sich nach Nepal ab. Er lernte das Goldschmieden, fuer einen ehemaligen Franzoesisch- und Englischlehrer ungewohnte Handarbeit, und kehrte zurueck nach Goa, wo er sein eigenes Atelier aufmachte. Dabei blieb er die naechsten 20 Jahre. Genauso wie bei den Drogen, es gaebe nichts, was er nicht probiert habe, sagt er. Aber Acid haette ihm am meisten gegeben. Ich kann das nicht nachvollziehen, aber ich glaube ihm gern. Das Paradies wird auf die Dauer langweilig, da nimmt man gern mal ein wenig zusaetzliche Kicks an. Viel erzaehlt er mir von den Frauen: Melissa brach im die Nase, hatte aber eine ungeheure sexuelle Energie, Anneke, die Hollaenderin, und er reisten durch den tiefsten Sueden Indiens und mit Jocelyn hat er eine Tochter, Leila, die er sehr liebe, mit der er sich aber nur auf Englisch verstaendigen koenne.


V. Die Gegenwart

Eigentlich lebe er gar nicht mehr in Goa, beichtet er mir nach der langen Wanderung bei einem Glas Rotwein. Seine Gesundheit habe irgendwann nicht mehr mitgemacht, also habe er sich entschlossen, doch lieber das franzoesische Versorgungssystem zu nutzen. Heute lebe er im Ardeche-Tal, betreibe eine Schmuckwerkstatt und verkaufe auf Musik-Festivals in Portugal und Ibiza. In Goa sei er nur noch einige Wochen bis drei Monate, Rohstoffe fuer den Schmuck kaufen und einige Freunde besuchen. Zu seinen alten Hippiefreunden hat er nur noch wenig Kontakt.

Bernadette, inzwischen ueber 70, lebe schon seit langem wieder auf dem Schloss ihrer Familie. Nachdem sich ihr ebenfalls adeliger Cousin in Goa mit Heroin tot gespritzt hatte, war sie zurueck gekehrt, desillusioniert und mit Hepatitis C infiziert. Eric, der beste Acid-Hersteller, Dealer und Freund starb einen unruehmlichen Tod: Beleibt und stets schwitzend, bekam er durch die vielen um ihn herum gruppierten Ventilatoren eine Lungenentzuendung. Und von den meisten anderen wisse er, dass sie heimgekehrt seien. Einige schon Anfang der 80er Jahre, einige spaeter, als die Technowelle Goa erfasste. Er selbst habe Goa 1997 verlassen, um seiner Tochter eine gute Ausbildung zu ermoeglichen und sich eine bessere medizinische Versorgung.


VI. Abschied

Als wir uns spaet abends trennen, frage ich ihn, ob er traurig sei, dass die alten Zeiten offenbar endgueltig Vergangenheit sind. Claude antwortet philosophisch: "Kindchen, ich habe so viel Leben gehabt, dass es fuer drei gereicht haette. Irgendwann wird es Zeit fuer den Ruhestand." Wir lachen und tauschen Visitenkarten aus. Der letzte Hippie von Goa muss frueh raus, seinen Flug nach Paris darf er nicht verpassen.

Nachtrag: Schade, denke ich, die Geschichte musst du wohl abschreiben. Frustriert gehe ich in mein Zimmer. Im Bad sehe ich mich im Spiegel: Sonnenverbranntes Gesicht, immer noch den Schal um die Stirn gewickelt, den roten Punkt auf der Stirn. Ich muss lachen. Den letzten Hippie habe ich wohl gerade vor mir.

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Goa, Vagator. Wo ist Adam?

Achtung, dieser Beitrag ist exklusiv fuer Frau Evasive.


Das Paradies liegt nur eine Stunde mit dem Bus von Panjim entfernt: Vagator, im Lonely Planet als Treffpunkt fuer entspannte Menschen beschrieben, entpuppt sich als noch ruhiger, denn die Partyszene ist aufgrund der restriktiven Politik der neuen Regierung unter Willy D`Souza weiter in den Sueden nach Karnataka gewandert. Nur vereinzelt finden noch Raves statt. Green Goa, Mittelklassetourismus, volle Geldbeutel sonnenhungriger Europaer - in dieses Entwicklungskonzept fuer Goa passen die drogenverseuchten Technofans nicht hinein, zumal die negativen Folgen der Exzesse von den glaeubigen Hindus wie Katholiken nicht gern gesehen waren, Geld hin oder her.
Aber gut so, denn auf diese Weise bleibt Vagator hoffentlich das, was es so charmant macht: Ein weit verstreutes Dorf unter gruenbelaubten Bueschen und Palmen mit freundlichen Guesthouses und guten Restaurants.


Mein ganz persoenliches Paradies liegt nicht am fast leeren Strand und dem badewannenwarmen Indischen Ozean, sondern auf der Veranda meines Bungalows. Von dort aus kann ich in die gruene Wildnis sehen, Voegel wie Bulbul, Pirol und Paradiesvoegel beobachten und den halbwilden Hausschweinen beim Stoebern nach Essbaren zuschauen. Um mich herum flattern Schmetterlinge, wie ich sie von den Setzkaesten meiner Grossmutter kannte: Admiralfalter, gross wie meine Handflaeche, blauschillernd, kleine gelbe Schmetterlinge und viele andere mehr.
Mit ihnen flattern Gedanken durch meinen Kopf, vieles wird unwichtig, was in den letzten Monaten so enorm mein Leben beeinflusst hat. Menschen werden zu Schatten, die nicht mehr bedrohen sondern dazu gehoeren zum Leben. Dunkle Gedanken, ade. Bis zum naechsten Mal.


Ich habe mir einen Scooter gemietet, mit dem ich die Umgebung erkunde. Schoene Haeuser, guenstiges Leben, eigentlich koennte man, wenn man wollte. So langsam verstehe ich die Hippies. Und Linksverkehr, pah! Man passt sich an alles an, ausserdem bin ich eine coole Sau. Ich zuende kurz ein Raeucherstaebchen am Altar der Egobeweihraeucherung an, dann haben die Gedanken ans Aussteigen schon ihr Ende gefunden. Cool sein kann ich auch zuhause und so ganz ohne Regen und Schnee will ich nicht leben.

Ausserdem hat das Paradies einen Haken: Adam fehlt. Derjenige, der die Schlangen totschlaegt, die sich hier durchaus mit einem wirksamen Gift wehren. Derjenige, dessen Mechanikerkenntnisse den Scooter wieder flott machn, wo ich versage. Und derjenige, mit dem ich in der Nine Bar sitzen kann, ein Bier in der Hand, vielleicht einen Joint (muss nicht sein, hier wird man naturbekifft), den Sonnenuntergang beobachtend, wissend, das ist mein Mensch, mit dem ich bis ans Ende der Welt gehen wuerde. Vorerst auch nach Goa. Aber das waere schon fast zuviel erwartet, wer will schon das Paradies auf Erden?

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Goa. Panjim - Palolem: Unterwegs mit Ex-Hippies

Nach der Unabhaengigkeit hinterliessen die Portugiesen nicht nur ein perfekt organisiertes korruptes Beamtentum sondern auch diverse leerstehende Estancias in Strandnaehe. Ideal fuer die sonnenhungrige Eso-Szene der 60er Jahre. In der Heimat war es ungemuetlich kalt und hier fielen den Hippies die Kokosnuesse direkt in den Schoss. Doch diese Zeiten liegen nun auch schon lang zurueck und wie immer hat sich alles ein wenig geandert: Neben rund einer Million Touristen, die hier jaehrlich einfallen und eher mit Koefferchen und Trolley am Flughafen Vasco da Gama/Dabolim auf ihre pauschalgebuchten Taxis warten als mit dem Rucksack zu reisen, muessen doch noch einige Hippies uebriggeblieben sein, denke ich mir. Ich mache mich also auf die Suche. Wo koennten sie sein? Wo sind sie geblieben, summt mir Joan Baez ins Ohr und vertraeumt streiche ich mir eine Straehne meines noch nicht hennagefaerbten Haares hinter das Ohr.

Im Hotel in Panjim treffe ich zumindest auf eine Spezies, die ergiebig fuer Geschichten aus der guten alten Zeit ist: Ex-Hippies. Christian, 60, war 1973 einige Monate in Goa, kehrte zurueck und wurde Ethnologie-Professor in Paris. Jetzt hat er sein Hobby zum Beruf gemacht: Er schreibt Romane ueber Indien und Asien, Frauenliteratur, wie er sagt. Ueber junge Franzosen, die sich in traditionelle Inderinnen verlieben oder den Architekten des Taj Mahal. Und eigentlich ist er auf Recherche-Reise fuer sein naechstes Buch.
Und er traeumt von alten Abenteuern: Von diesem Restaurant am Khaiber-Pass, vor dem damals die ganzen Mercedesse, Fiats und Citroens parkten und das bekannt war fuer sein gutes Haschisch. Oder von den Sonnenaufgaengen in Pondicherry, das er liebevoll "Pondi" nennt.

Aber die alten Zeiten sind modern und besser motorisiert, und so macht er den Vorschlag, in einem gut gefederten 4/4-Jeep inklusive Chauffeur die Straende im Sueden zu erkunden, wo der Massentourismus noch nicht etabliert sein soll. Uns schliessen sich Catherine, 53, und Pascal, 47, an, die noch am ehesten das verkoerpern, was die Freiheit des hippieesken Daseins ist: Beide spielen Strassentheater, angelehnt an die Fluxusbewegung und reisen in bunten Kleidern durch die Welt. Allerdings: Nach ausgedehnten Monaten in Nepal, Kuta (Bali) und Goa Mitte der 70er Jahre kehrten auch sie zurueck, um eine halbwegs buergerliche Existenz aufzubauen. Catherine wurde Physiklehrerin und Pascal Berufsschullehrer. (Mir waren Lehrer ohnehin immer verdaechtig.) Heute allerdings sind sie wieder "en route", wie Catherine sagt und sie geniessen die Freiheit, nicht zuletzt dank einer umfangreichen Erbschaft.

Aber gut, wir suchen also das verlorene Paradies, die Refugien des goldenen Zeitalters oder doch zumindest den ein oder anderen schoenen Strand. Gefahren werden wir von Mr. Bappa, dessen buergerlicher Name schlicht unaussprechlich ist, und der nachweislich bereits den Dalai Lama durch Goa chauffierte. Und man merkt sofort: Dieser Mann hat wahrhaft seine goettliche Berufung gefunden. Er faehrt uns fast gaenzlich ohne Zuhilfenahme der Hupe ueber abseitige Strassen durch den Sueden Goas, an alten Forts vorbei, durch Palmenplantagen und Reisfelder, zu kleinen Fischerhaefen und wunderbaren Aussichten.

Und er faehrt uns nach Palolem, dem urspruenglichen Ziel. Hier moechte ich Herrn Rochus Wolff bitten wegzulesen, denn es wird ihm nicht gefallen, wie ich ueber seine Erinnerungen schreiben muss. Palolem, im Lonely Planet als ruhiger und idyllischer Strand mit wenigen Backpackern und einigen Hippies beschrieben, praesentiert sich als Muellhalde: Die allgegenwaertigen Plastikabfaelle werden vom Wind durch die Palmenanlagen gefegt, die Wohlstandsgesellschaft hinterlaesst deutliche Spuren. Der Strandweg ist gesaeumt von Buden mit billigem Tand, fliegenden Haendlern und kreischend bunten Faehnchenverkaeufern. Der Strand dagegen lohnt die Anfahrt: Eine lange Sichel feinster Sand, im Hintergrund Palmen und malerische Holzboote.

Die Ex-Hippies und ich sind ein wenig enttaeuscht. Deshalb fahren wir weiter nach Agunda, einige Kilometer weiter noerdlich, wo wirklich wenig los ist. Einige Bambushuetten auf Stelzen, ein, zwei Restaurants. Mehr braucht es auch nicht.
Nach dem Tagesausflug ist klar: Schoen ist der Sueden. Quasi hippiefrei dennoch.

Den letzten Hippie fand ich dann einige Tage spaeter in Vagator, aber das ist eine andere Geschichte, die spaeter erzaehlt werden soll. Bleibt mir gewogen!

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Goa, Panjim. Speak Portugais?

Wenn mich noch einmal jemand dorthin wuenscht, wo der Pfeffer waechst, werde ich laut schreien: Ja, bitte, aber schick mich nach Goa! Der Reichtum an Pfeffer, Nelken und Zimt war nach dem wuerzarmen Mittelalter einer der Gruende, weshalb sich hier Portugiesen und Englaender um das Handelsmonopol mit den kostbaren Guetern pruegelten. Die Englaender verloren, nicht zuletzt dank der bemerkenswerten Fertigkeit der Portugiesen mittels Zehntausenden von Sklaven solide Fortanlagen zu bauen.

Als Gott Indien schuf, hat er bei Goa an etwas Schoenes gedacht und mal hier und dort ein Stueckchen Palmenhain, Reisfelder und ein ausgesprochen sympathisches Voelkchen fallenlassen. Panjim, die Hauptstadt des Bundesstaates Goa, hat rund 90.000 Einwohner, die ihre portugisischen Wurzeln weder verleugnen koennen noch wollen. Man ist ueberwiegend rrrrrroemisch-katholisch, besucht einmal die Woche den Gottesdienst und ruft bei jeder passenden Gelegenheit die Virgen Maria an, die heilige Jungfrau, denn die wird`s schon richten. Ausserdem kurvt Mann und Frau samt familiaerem Anhang - ich zaehlte einmal vier Personen: Eltern plus zwei Kinder plus Einkauf - per Vesparoller durch die Gegend. Ganz wie bei unseren europaeischen Nachbarn also.

Panjim hat viel mediterranes Flair, eine Masse an alten Kolonialbauten mit kuehlen Veranden und Kirchen, ein lebendiges Stadtzentrum und einige hervorragende Restaurants wie z.B. das Hotel Venite (Balkontische im ersten Stock, von Travellern bekrakelte Waende - ich konnte mich gerade noch zurueckhalten "Wortschnittchen was here" hinzu zu fuegen - und Leckerein wie Begenca, eine Art Gewuerzkuchen, serviert mit garantiert keimfreier Eiscreme) oder wunderbare und stilvolle Hotels wie meines.

Der Goaner an sich, um eine Platituede aus der Ferne zu senden, also, der Goaner an sich ist freundlich, und macht gern Witzchen ueber europaeische Frauen, die sich bemuehen, im Wirrwarr der kleinen und kleinsten Gaesschen der Stadt zurecht zu finden. Aber im Zweifelsfall bietet er seine Hilfe an: "Parlha Portugais?" Ein Ueberbleibsel der Kolonialmacht ist auch nach der Unabhaengigkeit Goas seit 1961 die Sprache, die noch viele der aelteren Einwohner beherrschen.

Aber Panjim kann man an einem Tag erkunden, und da ich eine lustige Runde Franzosen kennenlernte, aenderte ich meine Plaene fuer den naechsten Tag, mir das noch aeltere Old Goa, den ersten Gouverneurssitz der Portugiesen einige Kilometer entfernt anzusehen. Wie meine Fahrt durch Goa mit Ex-Hippies verlief, wird hier Morgen zu lesen sein.

Kleine Nebenbemerkung zum Neiden: Ich sitze gerade im Paradies und habe ein Internetcafe mit einer schnellen Verbindung in der Naehe. Aber auch darueber spaeter mehr.

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Bombay. Verkehrter Verkehr

Links herum und schon vorbei

An eines muss man sich gewoehnen, wenn man in Indien unterwegs ist: Kein fahrbarer Untersatz ohne Hupe, kein Inder ohne Hupwahn. Hier wird der Troete abverlangt, was sie haelt. Und das ist auch gut so, denn der indische Verkehr funktioniert folgendermassen: Rein und Spass haben. Oder vielmehr, ausweichen, sprinten, springen. Denn der Inder an sich kennt kein Pardon. Die vorsintflutlich aussehenden Taxis - gleicher Baustil wie Trabis, nur aus Blech - genauso wie die roten Busse und die alles umkurvenden Vespafahrer, keiner nimmt irgendwie Ruecksicht auf Zwei- oder Vierbeiner. Warum auch? Von beidem gibt es in Indien genug. Survival of the fittest eben.

Und noch eine ausgeprochen ungewohnte Sache gibt es hier: den Linksverkehr. Nachdem ich einige Male mit Muehe und Not einem heranbrausenden Auto ausgewichen war, hatte ich den Bogen endlich raus. Die fahren einfach verkehrt herum! Aber man gewoehnt isch an alles und so sprintete, sprang und rannte ich nach zwei Tagen genauso hurtig ueber das Kopfsteinplaster wie jeder Inder.


II. Mit einem Taxi, pressiert

Nachdem ich altes Weichei der langen Zugfahrt nach Goa (8 - 14 Stunden fuer 588 Kilometer, je nachdem ob Express oder nicht) mit den Flugzeug ausweichen wollte, buchte ich erfolgreich ein Ticket mit Jet Airways. (Nein, ich habe mir absichtlich nicht die Absturzstatistik angesehen.) Alles kein Problem, jetzt musste ich nur noch mit dem Taxi zum Domestic Airport, ca. 26 km noerdlich von Mumbai.



Ich wandte mich an den vertrauenswuerdig aussehenden Taxifahrer vor dem Hotel. Vorher nur Zielscheibe, erlebte ich nun die andere Seite. Und was soll ich sagen: Es machte Spass, die Fussgaenger zu scheuchen! Der Fahrer, ich nenne ihn der Einfacherheit mal Rajim, war ein Wunder an koerperlicher Beherrschung. Hupe, Schaltung, Handzeichen, alles aus einem Guss. An einer Ampel lehnte er sich ploetzlich aus dem Fenster und fing aus Leibeskraeften an zu schreien. Rajim war offenbar mit einem anderen Taxifahrer in Disput geraten, wer jetzt die Vorfahrt hatte. Im Zweifelsfall derjenige, der die meisten Beulen am Auto aufweisen konnte. Aber alles halb so schlimm, erklaerte mir Rajim, es war sein Onkel, mit dem er noch einige Kochrezepte austauschen musste. (ja, das ist natuerlich frei erfunden, aber spaetestens seit Tom Kummer wissen wir, dass nicht jede Geschichte wahr sein muss)



Weiter ging die Fahrt, der Zeiger der Uhr rueckte bedrohlich auf Viertel vor Elf, um Elf sollte ich mich langsam am Flughafen einfinden. Aber Rajim hatte es sich wohl zur Aufgabe gemacht, meinem Willen zur Entschleunigung Folge zu leisten. Er bog scharf links ab und sagte: "Need 2 Minutes for Petrol." Nun gut, alles besser, als mit leerem Tank auf dem Highway liegen zu bleiben, dachte ich. Das Tanken ging schnell, vermutlich, weil ich ihm schon mal 100 Rupies Vorschuss gab.

Wieder auf der Strasse, ballte sich etwas Bedrohliches zusammen: Ein Stau. Von Weitem erkenn- und hoerbar am wilden Hupkonzert, aber schlecht umfahrbar. Dachte sich Rajim wohl auch und bog wiederum scharf links ab. Ungluecklicherweise war ausgerechnet an diesem Tag Markttag. Und so knallten uns Flueche und Verwuenschungen der Marktfrauen an den Kopf respektive ans Blech.

Aber Rajim machte es moeglich. Nach einer Stunde in einem Backofenwarmen Taxi und vielen unsicheren Momenten raste er vor das Terminal, wo ich gluecklicherweise wieder mit dem Indian Way of Life konfrontiert wurde. Der Abflug verspaetete sich um eine halbe Stunde.


So, und demnaechst werde ich von den Resten des einstigen portugisischen Kolonialreiches Goa berichten, von einer Ayurveda-Massage und einem echten Fortune-Teller, der mir natuerlich nichts anderes weissagte als Reichtum, Glueck, Liebe und viele Kinder. Was sonst!

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Bombay. Ueber vermeintliche Muellhaufen
und den Instinkt fuer Gefahr

I. Muell und Menschen

Hin und wieder stoesst man in dieser 16.8 Millionen Einwohner zaehlenden Stadt auf Hindernisse, die klar machen, dass man es mit einem Staat zu tun hat, der zwar demokratische Zuege traegt, aber trotzdem einer breiten Bevoelkerungsschicht keinerlei Rechte und noch weniger Lebenschancen einraeumt.

Geht man durch die Strassen Bombays, so sollte man schon achten, wohin man seine Fuesse setzt. Es koennte nicht nur sein, dass man in ausgespuckte Bethelnuss (Rauschmittel Nummer eins fuer Arme, da es Hungergefuehle unterdrueckt) oder sonstigen Unrat tritt, sondern auch ueber einen vermeintlichen Muellhaufen besonderer Art faellt.
Besonders morgens vor 10 Uhr liegen viele parallele Stoffhaufen auf den Gehwegen, daneben Hunde und Unrat. Schaut man genauer hin, entpuppen sich die Buendel als Menschen. Ganze Familien mitsamt zwei, drei Kindern schlafen den Schlaf der Armen. Sie arbeiten als Lumpen- und Muellsammler oder betteln sich ein paar Rupies zusammen. Sie sind von der Gesellschaft ausgestossen, gehoeren der untersten Stufe im indieschen Kastensystem an - neben Leprakranken und sonstigen Versehrten.

Es ist schockierend zu sehen, wie arm Menschen sein koennen, und was noch schlimmer ist, selbst diesen Menschen nimmt eine Strassen-Mafia noch das Wenige ab, was sie sich verdient oder erbettelt haben. Die "Paten" leben nicht viel besser, aber sie haben anstatt eines Blicke abwehrenden Tuches immerhin ein Pappdach, das sie an eine Mauer lehnen. Dahinter leben sie mit ihren Familien und Tieren. Da fragt man sich schon: Wo bleibt der indische Staat mit seiner Unterstuetzung? Insbesondere, wenn man sich vergegenwaertigt, dass Bombay als indisches Finanzzentrum eine vergleichsweise wohlhabende Stadt ist.


II. Gefahr achtern

Wittern Hunde Gefahr, stellen sich bei ihnen die Nackenhaare auf. Aehnlich erging es mir, als ich das Leopolds Cafe verliess, um zu meinem Hotel zurueck zu kehren. Ich drehte mich um - vermeintlich unauffaellig -, und da war er: Ein duenner, sehr dunkelhaeutiger Mann in gruenem Hemd und Hose. Er folgte mir. Definitiv. Mal ging er ein paar Schritte neben mir, mal blieb er einige Meter zurueck. Aber er hielt immer den gleichen Abstand und wartete sogar hinter einer Saeule, als ich mir eine Flasche Wasser kaufte.

Langsam wurde mir mulmig. Ich hatte einiges von Belaestigungen seitens indischer Maenner gelesen, aber selbst ausser einigen intensiven Blicken und Schnalzlauten nichts davon bemerkt. Nun aber dieser Mann. Was sollte ich tun? In ansprechen, anschreien, klar machen, dass ich nicht wehrlos bin? Was wuerde es nuetzen? Ich wollte ausserdem nicht, dass er erfuhr, in welchem Hotel ich abgestiegen war. Also ging ich Richtung Taj Mahal Grand Hotel und sprach ein aelteres Ehepaar an, freundliche Schweden. Sie erklaerten sich bereit, mit mir um den Block zu laufen und den Mann notfalls abzuwehren.

So gingen wir einige hundert Meter, und der Mann folgte uns. Ich kam mir langsam paranoid vor, aber der Schwede erklaerte, dass er die Verfolgung auch bemerkte. Er drehte sich um und sah dem Mann direkt ins Gesicht. Langsam merkte der wohl, dass hier wenig auszurichten war und blieb zurueck.
Sie brachten mich noch bis zum Portier des Hotels, der mich besorgt entgegen nahm und mir eine Begleitung fuer den Abend anbot. Fuer einen Tag hatte ich genug an indischer Begleitung gehabt und verzichtetete dankend.

In der Fremde schaerfen sich die Sinne, und darum bin ich froh. Wer weiss, was der Mann im Schilde fuehrte? Wenn sich das naechste Mal meine Nackenhaare straeuben, halte ich gleich Ausschau nach moeglichen Ansprechpartnern.
Und heute geht es erstmal ab Richtung Goa. Goa ist Indien weichgespuelt - nach dieser Stadt und Erfahrung brauche ich das auch. Demnaechst mehr auf diesem Kanal.

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