BücherSchreiben.

Frühjahrsputz in der Berliner Wohnung. Das Bücherregal muss aus- und umgeräumt, die Küche renoviert, Fenster geputzt werden und außerdem ist da die Erkenntnis, einen ganzen Zoo voll mit Wollmäusen zu besitzen freudiger Anlass, mal so richtig durchs Leben durchzufeudeln.

Was man da so alles findet:



Zwei Relikte aus der Vergangenheit, als Schreiben ein ganz elementarer Bestandteil meines Arbeits- und Privatlebens war. Der kleine Nörgeli, Geschenk meiner lieben Ex-Arbeitskollegin Frau Franziskript, erinnert mich an die Redaktionszeit, in der wir alle jung, hungrig und Nachrichtengeil waren. "Alle 10 Minuten eine neue Homepage" hieß das Motto der Onlineredaktion der Zeitung mit den großen vier Buchstaben und so handelten wir auch. Bauten Klickstrecken, schoben Nachrichten auf die Hauptteaser, "stageten" und - zumindest mir ging es so - hatten eine Menge Spaß miteinander und an der Arbeit. Gut, substantieller Journalismus geht anders, aber dafür wäre ja später immer noch Zeit, dachten wir.

Damals machten besagte Frau Franziskript und ich unsere ersten Bloggehversuche, Ventil und Kommunikationsmittel zugleich. Wir fanden ein Stück virtuelle Heimat für andere als berufliche Texte und eine nette Nachbarschaft, in der jeder sein Ding machte und man im übertragenen Sinne abends gemeinsam auf dem Hof grillen konnte. Es gab Lesungen, aus virtuellen Dialogen wurden persönliche, manche verbanden sich beruflich, andere privat (mindestens vier Ehen und etliche Kinder als Folge sind mir bekannt).

Heute würde man dazu "Flausch-Zeit" oder "was mit Einhörnern" sagen und alles in 140 Zeichen auf Twitter packen. Wie Frau Diener geht es mir auch: Die Kurzform ist nett, aber wirklich, obacht, böses Wort!, wirklich nachhaltig ist das Medium nicht, obwohl die Nachbarschaft auch überaus nett ist, aber eben eher so eine oberflächliche, man fühlt sich fast wie ein Rentner im Szeneviertel. Irgendwie alt, irgendwie Relikt.

Exkurs: Mich hat Twitter über einige Jahre quasi gerettet, denn dort ist mein Account geschützt, nur ich entscheide, wer mich lesen darf und was und wann. Weder Ehemann noch Arbeitskollegen oder Freunde dürfen Dinge lesen ohne Erlaubnis. Das befreit ungemein.

Das Buch mit der schönen Namensgoldprägung hat mir eine befreundete Grafikerin geschenkt, verbunden mit der Aufforderung, aus meinem Leben, egal ob als Wortschnittchen oder mit Klarnamen, ein Buch zu schreiben. Wie es mir gefällt, Drama, Liebesroman oder Thriller, ich sei frei.

Ich schlage also heute und hier eine leere Seite auf, die ich zu füllen gedenke. Mit allem, was das Leben zu bieten hat. Bis zum glücklichen Ende ist ja noch viel Zeit übrig.

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Leben.

Neues Wort gelernt: Liminalität.

Oder, wie es auf gut Englisch heißt, betwixt and between. Gefällt mir, der Zustand des noch nicht und nicht mehr. Passt zum Alter, zur Lebenssituation, zur Arbeit. Zur Persönlichkeit. Nix Grenzsituationen - einfach nur: betwixt and between.

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Lausche.

Hören Sie mal genau hin! War das nicht eben eine Nachtigall? Oder dieses "Zizibe" der kleinen Kohlmeise? Haben Sie schon Mauersegler gesehen?

Hören Sie hin. So klingt übrigens der Frühling. Ich hatte es fast schon vergessen.

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FrauenTango.

Wenn es um Frauen in Führungspositionen geht, sind wir ja alle ein wenig gespalten, aus den unterschiedlichsten Gründen. Frau Koma schrieb darüber anlässlich einiger Vorträge zum Digital Media Women Day. Am besten gefiel mir das Zitat von Sheila Marcelo: It’s not important, be just a leader.

Was das in der Praxis bedeutet, haben Frau Engl, Frau Casino und Frau Kopffüssler und ich mal beim Queer-Tango in der Tanzschule bebop geprobt. Da ging es - nach einigen Practicas zu Beginn - für mich als sonst immer vom Mann geführte Tänzerin nämlich genau darum, sich von der passiven Rolle zu verabschieden. Was nicht heißt, dass Frau Engl nicht eine probate Führungsfigur ist! Nein, ganz im Gegenteil - sie umschiffte gekonnt versunken in der Laufrichtung tanzende Paare und sah sehr ladylike über meine tänzerischen Tango-Unkenntnisse hinweg.

Nachdem wir uns ein wenig eingegroovt hatten, forderte ich die Tangokennerin Frau Casino auf - und musste mich erst einmal in die Führungsrolle einfügen (Frau Casino ist überdies noch einige Zentimeterchen größer als ich). Sehr ungewohnt, das Ganze! Aber ich gewöhnte mich schnell daran, die Richtung anzugeben, Hinweise zu geben, welche Figur - von den ungefähr eineinhalb, die ich überhaupt kann - ich denn gern getanzt hätte. Führen ist doch gar nicht so schwer, denke ich noch, und dann lassen wir das doch lieber sein für den Rest des Abends, zumal mich die Grippeviren da schon fest im Griff hatten.

Aber um zum Ausgangspunkt zurück zu kommen - es ist vollkommen unerheblich, welche Chromosomen man mitbekommen hat - führen muss man wollen, man muss Biss haben, die richtigen Hinweise/Befehle geben und es sollte Spaß machen! Vielleicht sollte man an den Universitäten einfach mal Tangokurse für Frauen anbieten...

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GeWöhnung.

Die Stationen in der Klinik teile ich mittlerweile in die Kategorien harmlos, ernst und Vorhof zur Hölle ein. Der Fahrstuhl bringt mich regelmäßig in den Vorhof zur Hölle. Hier wird's für die Insassen nicht nur ernst, sondern richtig ernst. Hier geht es um Leben und Tod, man erkennt es schon am Präfix des Stationsnamens. Für mich ist es der Vorhof zur Hölle, auch wenn sich das furchtbar drastisch anhört.

Fast alle Patienten tragen sichtbare Krankheitszeichen: kahle Schädel oder Kapuzenpullis bei Ausflügen in die Caféteria-Ecke. Transportable Chemopumpen werden durch die Gegend geschoben. Auch die besuchenden Angehörigen tragen schwer an den Krankheitszeichen ihrer Lieben. Hier sieht man öfter besorgte und traurige Augen, bemühtes Lächeln. Es belastet, Energie für geliebte Menschen aufzuwenden denen die Lebensenergie gerade ein wenig abhanden geht. Es macht traurig. Es macht mutlos. Es gibt auch wenig Traurigeres als Menschen zu sehen, die beginnen, sich an Krücken und ein leeres Hosenbein zu gewöhnen. Zum Heulen.

Ich habe Glück, denn meinem Liebsten geht es besser als den meisten hier. Bei ihm habe ich den festen Glauben daran, dass er wieder gesund wird. Dann ist der Besuch im Vorhof zur Hölle nur die Erinnerung daran, dass Gesundheit das Wichtigste im Leben ist. Neben der Liebe, natürlich.

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WillenLos.

An Tagen wie diesen, an denen die Gedanken im Kreis wandern, an solchen Tagen verfluche ich das Los des freien Willens. Entscheidungen, getroffene und lang zurück liegende. Frei getroffen und doch bestimmt von einer Grundangst, die den Willen beeinflussen musste. Das Los muss ich tragen, bis die Gedanken zur Ruhe gekommen.

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Die Sache mit dem Papst.

Wenn ich richtig gerechnet habe, ist der nächste Papst mein fünfter. Die ersten beiden habe ich nicht mitbekommen - zu jung. Erst mit dem skifahrenden Papst aus Polen setzt meine klerikale Zeitrechnung ein.

Da war der Pfarrer, dessen unsittliche Fingerchen sich gern an kleinen Ministranten und Kommunionsanwärtern vergingen und der aus dem Munde roch wie der Höllenschlund. Schon allein deshalb - denn der Pesthauch drang durch die Gitter des Beichtstuhls - versuchte ich, mich möglichst fern zu halten von diesem Kirchendiener.

Dann kam der Religionslehrer, dessen einziges Begehr zu sein schien, den immer noch im Klassenzimmer vorhandenen Rohrstock, nunmehr Zeigestock genannt, auf den Tisch zu schlagen, wenn man gelegentlich seine Gedanken schweifen ließ. Und ich sah oft verträumt aus dem Fenster, saß doch der N. im evangelischen Religionsunterricht zwei Räume über Eck entfernt und ich konnte mir gut einbilden, dass er dort saß und durch die Fenster meine Sehnsucht spürte.

Nicht zu vergessen dessen Nachfolger, der uns erst einmal Filme von abgetriebenen Föten zeigte, die Krankheiten aufzählte, die man sich bei unsittlichem Verhalten unbedingt und sicher wie das Amen in der Kirche zuzöge. Der uns 14-Jährige fragte, ob wir es denn schon getan hätten und ob wir wüssten, dass das direkt in die Hölle führte. Da hatte ich gerade meinen ersten Kuss (mit Zunge!) bekommen und fand die Hölle eigentlich ganz verführerisch. Also entschloss ich mich, die eigentlich notwndige Firmung abzusagen und den Religionsunterricht nicht mehr zu besuchen.

Zu guter Letzt dann noch diverse Kardinäle, deren weltfremde Einlassungen über Homosexualität, Frauen in der Kirche, Selbstbestimmung und Reformen schlicht dazu führten, dass ich der Kirche kein Geld mehr geben wollte.

Alles in allem haben insbesondere die Kirchenvertreter dafür gesorgt, dass ich nicht an einen Gott glauben kann und die Kirche als staatlich subventionierte Institution ablehne. Es ist aber auch das System katholische Kirche, das über Jahrhunderte gewuchert ist wie ein Geschwür, kaum zu durchschauen, kaum zu beherrschen oder gar zu reformieren.

Deshalb glaube ich, dass ein neuer Papst nichts ändern wird. Die katholische Kirche hat ein veritables Personalproblem auf allen Ebenen. Habemus Papam statt Habenmuss Fortschritt.

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VerWundert.

Die Freundin spricht es deutlich aus: "Ich konnte es mir einfach nicht mehr vorstellen." Und das ist das Schlimme daran, dass man es sich nicht mehr vorstellen kann. Dass es irgendwo im Alltag verschwunden ist. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir früher die bewundernden Blicke aufnahmen, die glitzernden Momente, in denen sich ein Man-könnte-wenn-man-wollte anbahnte um dann doch nicht mitgenommen zu werden. Das Bewusstsein, Wirkung zu erzeugen, elektrische Impulse, ohne sie erfüllen zu müssen.

Uns pfeifen keine Bauarbeiter hinterher - nicht, dass wir das jemals gewollt hätten, denn eigentlich ist das zu billig und viele würden es als Alltagssexismus bezeichnen. Irgendwann ist uns der Zauber abhanden gekommen, der Zauber der Jugend, des Verführenkönnens.

Selbst wenn wir es wollten, denn eigentlich sind wir zufrieden mit dem Leben wie wir es uns ausgesucht haben, selbst dann: Irgendwann in den letzten Jahren zwischen Mitte dreißig und Anfang vierzig haben wir vergessen, wie das geht.

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WahlFreiheit.

Immer, wenn ich solche und solche Nachrichten zu Gesicht bekomme, geht es mir schlecht. Schlecht, weil ich es kenne, wenn Menschen sich unaufhaltsam in die Sucht-Spirale verabschieden.

Man hofft, man glaubt, man negiert, schließlich kämpft man, setzt auf kalten Entzug, ruft den Notarzt, lässt einweisen. Holt die Flaschen aus den Verstecken. 19 Flaschen waren es - Wein, Bier, auch eine Cognacflasche. Immerhin: nur die guten Marken, kein Schund. Aber es macht nichts besser, denn das nächste Mal kommt. So sicher wie das Amen in der Kirche kommt der Anruf, bei dem sich nichts mehr unter Kontrolle halten lässt. Ich bin Schuld an allem, sowieso, und ich soll sie nie wieder anrufen, sie in Ruhe lassen und was ich letztes Weihnachten gesagt habe, es sei verwahrlost und der Hund und die Katze besser im Tierheim aufgehoben - infam! Auch er ist Schuld, hat ihr die besten Jahre geraubt, aber er ist nicht erreichbar, nicht mehr für sie.

Sie hasst. Ohne Distanz, ohne Kontrolle. Weil ihr die Sucht, die Krankheit keine Wahl mehr lässt.

Vielleicht bin ich deshalb so kontrolliert. Dass es mir nicht auch passieren möge. Man hört so einiges von der genetischen Veranlagung. Hat man die Wahl?

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Stories & Places.

Wenn Sie, werte Damen und Herren, neugierig sind, was andere so zu bestimmten Orten zu erzählen haben, dann gehen Sie doch mal zu Stories & Places, einem wunderbaren Projekt der wunderbaren Kitty Koma. Lesen Sie!

Und machen Sie mit! Ist einfach und macht Spaß.

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