Von der Bühne herunter schrie der Schauspieler wie ein Berserker. Unflätiges, Zotiges, ein wenig Schaum vor dem Mund, während eine Horde leichtbekleideter Nymphen wie Schneeflöckchen um ihn wirbelten, immer darauf bedacht, auf der schrägen Ebene nicht die Balance zu verlieren.
Tessa wisperte ihrem Begleiter zu: „Schon wieder eine schräge Ebene. Wird langsam langweilig.“ Sie machte sich einige Notizen.
Schon der Pressetext zum Stück hatte sie Schlimmes ahnen lassen. Er war dermaßen wirr geschrieben, dass sie einen Praktikanten als Urheber vermutete. Doch als sie die erste halbe Stunde der Aufführung hinter sich hatte, wusste sie, dass, wer auch immer über diese theatralische Zumutung schreiben musste, ihr Mitleid verdiente.
In der Pause ging Henning an die Theaterbar, während Tessa Kollegen von der Konkurrenz grüßte und in Gedanken genüsslich die ersten Sätze ihres Verrisses formulierte. Henning kam mit zwei Gläsern Sekt zurück. Na ja, eines kann ich ja, dachte sich Tessa und trank mit vorsichtigen Schlucken, während sie mit halbem Ohr Hennings bösartiger Rezension der Leistungen von Regisseur, Hauptdarsteller sowie des gesamten Ensembles lauschte. Er musste glücklicherweise nicht darüber schreiben. Chefredakteure befassten sich mit derartigen Niederungen kulturellen Schaffens nicht mehr.
"Henning, du musst die darüber liegende Ebene betrachten", mischte sich ein Kollege von der Konkurrenzzeitung ein. Tessa zog die Augenbrauen hoch. Der Hubertus mal wieder! Ein totaler Versager, hielt sich für einen intellektuellen Schwerarbeiter, war aber in Wirklichkeit doch nur ein Leichtgewicht. Mit dem war sie nicht mal ansatzweise auf einer Ebene.
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Als Thomas Hubertus sein Frühstücksei mit dem Löffel aufschlug, zerbrach einige Kilometer südwestlich ein anderer Hohlraum mit einem ähnlich dumpfen Krachen.
Er nahm eine Prise Salz aus der Porzellandose und krümelte aus der hohlen Hand genüsslich einige Kristalle auf das Eigelb. Dabei war das Salz gar nicht für derartig profane Gerichte vorgesehen. Tibetanisches Steinsalz, sagte Cordula gelegentlich, wenn sie für eine kleine, illustre Runde gekocht hatte, gehöre nur auf ein Essen mit Seele. Ein Ei hatte mit Sicherheit noch keine Seele. Sogar die katholische Kirche würde ihm beipflichten. Ihm war das auch ziemlich egal. Hauptsache, das Essen hielt seinen Leib zusammen, dann ging es auch seiner Seele gut. Bisweilen suchte er den Dönerladen an der Ecke auf, und auch einem saftigen Burger war er nicht abgeneigt.
Wenn er es sich leisten konnte. Thomas Hubertus konnte sich zurzeit nicht viel leisten. Der Monat war noch jung, und er sah finanziell gesehen schon ganz schön alt aus. Er stellte das Radio ein wenig lauter und kehrte beschwingt an den Küchentisch zurück. ‚The Killers’, ein sauberes Stückchen Indierock, dachte er und ärgerte sich im selben Moment über den Kollegen Hinzmann, der natürlich als Erster ein Interview mit der Band bekommen hatte. Und er, Thomas, wieder einmal das Nachsehen bei der Vergabe der Aufträge hatte. Dafür zog er wenigstens keine Schleimspur von der Tür des Chefredaktionsbüros zu seinem Arbeitsplatz, den er als Festfreier in einer der hinteren Winkel des Großraumabteils aufgeschlagen hatte.
Er schlug die Zeitung auf. Der Tag musste schließlich geruhsam beginnen.
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