In meiner Familie gibt es einen Stand, der noch mehr geschätzt wird als der des Verheiratetseins: das Witwentum. Nachdem bereits die werten Großtantchen Mimi, Finny und Katinka ihre Ehemänner mehr oder minder unbeweint der Erde überantworteten, kommen wir nur zur Vierten der Schwestern:
Tante Gusti war so lustig wie ihr Name: Eine überaus ambitionierte und humorvolle Modistin, die vor dem Krieg in einem Frankfurter Konfektionshaus für die erstklassige Ausstattung von gutsituierten Nazissen verantwortlich zeichnete. Doch in meiner Familie herrscht immer noch die veraltete Ansicht vor, man solle dem Herzen folgen, wenn es zu einem spricht, egal, was da komme. Und daher entschied sich Augusta nach kurzem Zögern, ihre vielversprechende Karriere aufzugeben und dem erstbesten Mann zu folgen, der ihr gefiel. Leider war das nun ausgerechnet einer aus Bayern. Aus dem tiefsten Bayern, um genau zu sein. Himmel, ja, er war aus Traunstein!
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Nein, lautete die einstimmige Antwort aller Schwestern Augustens und nie brachte man mehr als eine Nacht in deren Haus zu, meistens auf dem Weg zu den Salzburger Festspielen oder in die Sommerfrische an den Mondsee. Zumal Gustis Gatte der genaue Gegensatz zu seiner Frau war: Grantig, ungehobelt und trotz einer soliden Existenz als Kaufmann mit einem so unglaublichen Geiz gesegnet, dass Gusti gern die abgelegten Kleider ihrer Schwestern auftrug. Was sich in späteren Jahren als überaus schwierig erwies, denn so groß wie ihr Humor wurde denn auch ihr Körperumfang.
Ich erinnere mich nicht an Gusti, aber es gibt ein Foto aus den frühen Siebzigern, auf dem sie mich auf dem Schoß hält. Man muss mich mit der Lupe suchen.
Gusti verbrachte nach dem Tod ihres Mannes einen schönen, letzten Sommer, bevor sie von einem Schneepflug überfahren wurde. Bayerische Provinzschicksale.
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