Liebe Abgeordnete des Bundestags, liebe Volksvertreter!

Zunächst mal: Viele von Ihnen machen einen ganz guten Job. Es ist sicherlich nicht leicht, über Dinge zu entscheiden, von denen man als gewählter Volksvertreter nicht auf Anhieb die große Fachexpertise besitzt. Gern wird ja in den Medien der Populismus (kommt von Volk, ne, wisster Bescheid) bedient, wenn es um Entscheidungen zu Gesetzesvorlagen geht, die Ottonormalbürger ein "Hä?" entlocken müssen.

Aber für Ihre Beratung, sofern Sie nicht selbst eine juristische Ausbildung oder ein Fachstudium durchlaufen haben, gibt es andere Experten, die Ihnen den nötigen Input liefern, damit die Gesetztesvorlage ganz bestimmt den richtigen "Dreh" bekommt. Gutartige Mitmenschen nennen das Lobbyismus und im Idealfall bleibt ein vernünftiges Gesetz, das allen ein wenig nützt und nicht weh tut. Sie werden ja nur von den Experten beraten und nicht gekauft.

Kaufen kann man Sie, sofern Sie auf der Karriereleiter höher gestiegen sind, für gelegentliche Nebentätigkeiten, Vorträge, Aufsichtsratsposten, die doch manchmal mehr als selten, bei den Hauptauftragsgebern der Experten vergeben werden. Und das ist - nähme man Ihr vom Volk durch Wahlen verliehenes Mandat ganz genau - eine genehmigungspflichtige Arbeit neben Ihrer Hauptaufgabe. Ein Arbeitgeber müsste das angezeigt bekommen. Nehmen wir an, wir, das
Volk, seien Ihr Arbeitgeber. Sie müssten uns also erst einmal fragen. Und wären wir verantwortungsbewusst unserem Unternehmen gegenüber, so würden wir den Einfluss auf die Hauptaufgabe prüfen. In den meisten Fällen würden wir die Nebentätigkeiten nicht genehmigen. Sie bekommen ja auch genug Geld für Ihre Hauptaufgabe.

Verboten ist das natürlich nicht, denn das Unternehmen Deutschland ist keine Firma, die nach irgendwelchen nachvollziehbaren Grundsätzen geführt wird (naja, außer den Artikeln im von mir sehr verehrten Grundgesetz natürlich, man sollte überhaupt mehr Grundgesetz lesen, viel besser als Bibel und Barbara Cartland zusammengenommen). Aber dennoch fände ich es als Ihr Wähler sehr legitim, wenn nicht nur die ungefähre Höhe der Nebentätigkeiten anzeigepflichtig wäre, sondern auch die Auftraggeber. Denn irgendwie bin ich, als Ihr Wähler und, ja, als Volk, doch Ihr Arbeitgeber.

Daher, liebe Bundestagsabgeordnete, liebe Volksvertreter, legt alle Eure Nebeneinkünfte offen. Dann habe ich als Wähler vielleicht auch wieder mehr Vertrauen in Eure Arbeit.

Danke.

Euer Wortschnittchen.

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StaSie.

Wer sich bei Facebook oder anderen Social Media Portalen herumtreibt, kennt das Phänomen: Auf einmal gibt es auf der Seite Werbung, die sich ganz gezielt an den Nutzer der Seite richtet. Man hat eine bestimmte Band "geliket" und bekommt nun Angebote zu ähnlichen Musikangeboten. Oder man hat sein Alter irgendwo angegeben, seinen Wohnort, Urlaubsziel oder irgendeinen belanglosen Eintrag. Komisch, denkt sich der naive Mensch, der ja nur mit Freunden via Web kommunizieren wollte, wie kommen die Portalanbieter bloss zu den Daten und kennen mich so genau?

Ganz einfach: Jeder hinterlässt im Netz eine mehr oder weniger deutlich nachvollziebare Spur. Das kann einmal eben über in Portalangeboten anzuklickenden Kategorien für die Nutzereinteilung gehen oder über andere Tools. Mir zum Beispiel, wird ab und an auf Facebook der ein oder andere Bekannte aus der Heimatstadt oder der Kleinstadt, in der ich arbeite, als Freund angeboten. Da ich mir meine Freunde sehr genau aussuche, muss ich mich ja nicht befreunden, wenn ich nicht will. Aber Fakt ist: Da hat mich eine Datenkrake erfasst und speist mich in ihr Angebot ein.

Daneben gibt es aber auch noch die Möglichkeit, dem Nutzer bis hinein in die Firmengeschichte zu folgen. Wenn also zum Beispiel Mitarbeiter X öfter auf einer bestimmten Webseite ist, geht er über seinen Firmenaccount - und hier darf man nur sagen: Obacht! Denn in den meisten Firmen, und dazu gehört die meinige, ist die private Nutzung des Firmen-PCs verboten, das mussten die Kollegen unterschreiben. Es lässt sich mittels einfacher Kniffe herausfinden, wo wann welcher Mitarbeiter gesurft ist.

Aber auch ich zum Beispiel kann nachvollziehen, woher der Besucher dieses Blogs kommt, mit welchem PC er mich besucht hat und noch einiges andere Schnickedöns dazu. Ich bin also relativ gut im Bilde, wer mich liest und wer nicht. Das kann ich auch für andere sehr klar dokumentieren. Wenn ich wollte.

Aber wer will schon bei seinen Kollegen Stasi spielen? Ich nicht. Aber schön, dass Ihnen mein Blog so gut gefällt. Ich kenne Sie.

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Liebe Stillende,

ich finde es wunderbar, dass Sie für den Fortbestand der menschlichen Spezies gesorgt haben. Ich liebe Kinder und hätte gern selbst eines oder mehrere. Kleine Kindergesichter sind - schon aus verhaltensbiologischen Gründen - ein steter Quell der Freude. Vor allem, wenn die Kleinen lächeln. Das tun sie naturgemäß nur, wenn sie mit sich und der Welt im Reinen sind. Ein guter Grund dafür ist, keinen Hunger zu haben. Und hier kommen Sie, liebe Stillende, in die Pflicht.

Ich finde es vollkommen natürlich, Kinder zu stillen. Ganz ohne Zweifel ist es gut für die Kleinen, ihr Immunsystem und ihre Entwicklung. Auch für die Mutter-Kind-Bindung soll Stillen sehr wichtig sein. Also: Stillen Sie!

Aber, und jetzt kommt die böse, kinderlose Grete ins Spiel: Unterlassen Sie dies bitte vor meinen Augen an öffentlichen Orten in der Form, dass Sie Ihre Brust (in voller Pracht) aus dem Hemde zerren und Ihrem Kind in den Mund schieben. Ich bin garantiert kein prüder Mensch und habe in meinem Leben so manche Frauenbrust bewundern dürfen, aber ich bitte um ein wenig mehr Dezenz. Drehen Sie sich in Nicht-Still-Cafés um, um sich selbst, ihrem Kind und mir ein wenig Schutzraum zu gönnen!

Wenn ich meine Nase putze, niese oder huste, halte ich auch höflicherweise meine Hand davor, nutze ein Taschentuch oder drehe mich um, damit meine Mitmenschen nicht unmittelbar mit meinen Körperausscheidungen konfrontiert werden.

Es gibt im Übrigen auch Milchpumpen, mit denen man sich für einen Ausflug ins Café einen kleinen Fläschchenvorrat zulegen kann. Das mag die zweitbeste Lösung sein, sollte es Ihnen aber ermöglichen, den Nachwuchs genau dann mit Nahrung zu versorgen, wenn er sie benötigt.

Ansonsten: Seien Sie auch weiterhin ein höflicher, umgänglicher Mensch. Drehen Sie sich einfach ein bisschen zur Seite.

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AltersKultur.

Beruflich habe ich ja etwa einmal im Monat mit Horden von Senioren zu tun. Nicht, dass Sie erschrecken müssten, nein, es handelt sich um überaus freundlich gesinnte Rentner. Sie reisen in Bussen an, um Kulturveranstaltungen zu besuchen und man muss sich halt kümmern. Das ist eigentlich nicht besonders kompliziert, denn früher, so erzählen sie mir bisweilen, früher sei es noch viel komplizierter gewesen ins Theater oder in ein Konzert zu kommen. Zumal nicht immer ein verfügbares Transportmittel - wir sprechen hier von Individualverkehr mit 18 Jahren Liefer-Wartezeit - vorhanden war. Also zogen die Damen und Herren ihre Stiefel und dicken Jacken an, verpackten die feinen Schuhe in einen Beutel und stiegen auf den LPG-Lastwagen, um ins meistens doch weit entfernte Theater zu gelangen. Aber dafür sei das Ticket ja viel günstiger gewesen...

Heute holt der Bus sie an der gewohnten Haltestelle ab, und am Bus ist die Bezeichnung ihrer Tour angebracht, damit es keine Vewechslungen mit der Gruppe aus der Nachbarortschaft geben kann. Er spuckt sie am Theater aus, wo sie meistens noch ein Stückchen Kuchen oder Torte (bitte mit Sahne, ganz wichtig!) und eine Tasse Kaffee zu sich nehmen, bevor sie sich ganz ungehemmt dem Kulturgenuss hingeben können.

Gemeckert wird eher selten bei einer guten Zwei-Hundertschaft unter meiner Organisation. Meistens fragen sie nach einer Ersatzkarte ("Ich finde sie einfach nicht mehr, ich bin schon ganz verzweifelt!") oder wünschen sich für die kommende Saison mehr Oper, Operette, Theater... - was gerade eben nicht im Abonnement vorhanden ist. Auch wünschen sie weniger Wiederholungen, mehr Wiederholungen und vor Allem: keinen neumodischen Kram! Für zumindest einige Wünsche bekommt man eine Lösung hin, andere hingegen liegen in der Hand vieler weiterer Menschen, die auch nicht immer können wie sie wollen.

Gelobt wird eigentlich selten. Auch die Senioren haben nach 22 Jahren Kapitalismus den Konsum ganz gut gelernt. Da freut es einen natürlich ganz besonders, wenn eine nicht mehr ganz so rüstige Dame auf mich zukommt und sich mit Tränen in den Augen bedankt, wie schön es doch sei, dass alles für sie organisiert werde und man ihr für ihre letzten Monate so viel Freude bereiten würde. Moment! Ihre letzten Monate? Genau. Die Dame erwartet den Tod. Sie wisse noch nicht genau, ob sie die ganze Spielzeit durchhalten würde, aber sie werde es versuchen. Denn sie liebe Theater so sehr, es sei immer wieder etwas Neues in den Stücken zu entdecken.

Ich schiebe ihr den Rollator in eine andere Ecke, damit sie nach der Vorstellung leichter das Haus verlassen kann. Hoffentlich kann ich im Alter auch noch so viel Leidenschaft für Kultur aufbringen. Es fällt mir jetzt schon manchmal schwer genug. Man sollte sich öfter aufraffen, denke ich, und freue mich auf den Theaterbesuch in der kommenden Woche.

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KulturTauchbad.

Wenn Sie es einrichten könnten, werte Leser, dann reisen Sie doch demnächst einmal nach Krakau! Diese zauberhafte Stadt im historischen Galizien und heutigen Südpolen ist eine charmante Mischung aus Vilnius, Bologna und Berlin-Friedrichshain. Nicht nur, dass dort eine ganze Menge junger Menschen aus aller Welt studieren und feiern und es überhaupt kein Problem sein sollte, jeden Abend in einer anderen Bar eine ziemlich nette Live-Musik zu hören (je-den A-bend, man schläft hier nicht), nein, in Krakau kann man auch hervorragend Kultur bestaunen und essen. Genau: Kultur essen!

Ich beherzige bei meinen (und des Gentlemans) Reisen immer den alten chinesischen Grundsatz: "Man kann alles essen, was vier Beine hat, es sei denn, es ist ein Tisch, alles essen, was fliegt, es sei denn, es ist ein Flugzeug..." Undsoweiter, undsoähnlich. Essen ist für mich der Schlüssel zu einer fremden Kultur. Wie sorgsam mit den Grundmaterialien umgegangen wird, sagt doch schon eine Menge aus über die Landeskultur.

So servierte man uns in unserem ersten Restaurant Pierogi mit Pilzen und Kraut, Zwiebelsuppe und einen Appetizer, von dem ich nur vermuten kann, dass das was mit Hüttenkäse und / oder Schmalz war, aber auf jeden Fall etwas, in dem ich dereinst gern einbalsamiert würde. (Restaurant KogelMogel, ul. Sienna)

Den zweiten Morgen verschliefen wir, auch, weil wir sehr früh am vorvergangenen Tag aufstehen mussten, um den Flug nach Krakau zu bekommen. Das Hotelfrühstück im Saski (ul. Slawkowska, liegt superzentral, Free Wlan, aber man wünscht dem verstaubten Charme des Hotels doch einmal eine ordnende Hand und einen guten Klempner) geht nur bis 10:30, also mussten wir ein vernünftiges Frühstückscafé finden. In Krakau eher kein Problem, also wanderten wir nur einige Schritte ins Camelot (ul. Tomasza), wo wir in einem stilvollen Ambiente versorgt wurden.

Natürlich stopften wir noch etliche Kringel (obwarzanki) oder Baguettes (zapiekanki) in uns hinein, denn so ein Tag mit Besuch im ehemaligen jüdischen Stadtteil Kazimierz fordert Tribut. Aber wenigstens hatten wir abends schon wieder Hunger und stillten diesen auf sehr angenehme Weise im Kawaleria (ul. Golebia) mit Wildschweinfilet in Pflaumensauce mit Knödeln und Schweinelenden in Moosbeerensauce. Damit wir nicht verhungerten, gab's vorher noch Zwiebelsuppe und kleine Käsequiches. Den Abschluss machten Käsequarkcreme und geminzte Schokomousse. Begleitet wurde das Essen von einem rauchigen Roten, der sich angenehm im Hintergrund hielt.

Ich bin ja keine versierte Foodbloggerin wie Anke Gröner oder die Kaltmamsell - das scheitert schon daran, dass mir jedes technische Verständnis für die Zubereitung fehlt -, aber das "große Fressen" in Krakau verdaue ich gerade, also werden Sie, werte Leser, leider mit den verbalen Ausscheidungen meines Kurzbesuchs konfrontiert. Fürs Schöne, für Supertexte und Fotos, gehen Sie bitte einmal bei den genannten Damen oder Stevan Paul vorbei - hinterher ist man sehr hungrig, kann aber auf ein paar leckere Rezepte zurückgreifen.

Den Montag hielten wir mit einem leckeren Eis und einer heißen "Wawel"-Schokolade durch, natürlich stilecht auf der Terrasse in der Königsburg mit Blick über Podgorze genossen und dann noch bei sanftem Wind und angenehmen, sonnigen 22 Grad. Die Krypta der Kirche, in der neben Chopin und anderen wichtigen Dichtern und Komponisten, den polnischen Königen auch der in Smolensk abgestürzte Lech Kaczynski samt Frau bestattet ist, haben wir uns recht schnell ebenso wie die Burg an sich gespart. Dort trieben sich die Touristenmassen wie ein Lindwurm hindurch, samt schlechter Gerüche.

Gute Gerüche indes kann man im Chimera (ul. sw Anny) schnuppern. Oben Salatbar und Vegi-Restaurant, gibt's im plüschigen Keller auch Fleischiges - eine Küchen-Chimäre, eben. Der Gentleman putzte die Lammkeule mit Rosmarinkartoffeln und Rotebeete-Schnitzeln nach einem sehr erdigen Barschtsch tapfer weg. Die Bedienung hatte vorher extra noch gefragt, ob im 450 Gramm nicht doch zu viel seien. Weit gefehlt! Mein Kaninchen in Sauerrahmsauce war ebenfalls auf den Punkt gegart, aber mir hätte die Keule neben dem Rückenstück gereicht.

Am letzten Abend wollten wir nach einem Besuch in der sehr sehenswerten Ausstellung in der Emaille-Fabrik von Oskar Schindler unbedingt noch einmal in Kazimierz essen, in einem der jüdischen Restaurants. Wir fanden mit viel Glück im "Once upon a Time in Kazimierz" einen Platz. Das Restaurant ist dunkel, gemütlich und erstreckt sich über drei nebeneinander liegende ehemalige Ladengeschäfte. Wir nahmen Tschalynt (Brei aus Linsen, Gemüse und noch mehr Uffjefechtem) und Ente in Cranberry-Sauce, die beide recht ordentlich schmeckten. Aber den krönenden Abschluss gab's dann mit einer weiteren Variante eines Quark-Käsecremekuchens mit Rosinen und Feigen - eine extrem leckere Geschichte.

Alles in allem ist Krakau eine runde, quirlige, elegante und kulinarisch vielfältig ausgestattete Stadt. Unser Kulturtauchbad hat uns bestimmt einige Kilo mehr beschert - jedes davon war einen Besuch Krakaus wert!

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AltersGehwehchen.

Der gute Don rekapitulierte neulich über die Veränderungen, welche das Altern mit sich bringt. Also nicht nur die körperlichen, sondern eben auch die emotionalen. Über die körperlichen Malaisen mag ich hier gar nicht schreiben, die sind ja hinlänglich bekannt und treten in der ein oder anderen Form bei jedem von uns auf. Obwohl, ich könnte natürlich über meine Hüfte...

Nein. Da ist mir die Seele näher und man sagt ja, ein junger Geist in einem alten Körper sei immer noch besser als umgekehrt. Aber wie jung bin ich wirklich noch? Bin ich noch so neugierig und offen wie vor zehn Jahren, als ich das erste Mal allein durch Asien reiste, wie vor zwanzig Jahren, als mir die Welt noch so groß schien, dass deren Eroberung nur eine Frage der Zeit sein konnte? Bin ich bereit, alles noch einmal über den Haufen zu werfen, um endlich einen Traum zu (er)leben, den andere in Anbetracht meiner beruflichen und ehelichen Stellung durchaus als "hirnrissig" bezeichnen würden?

Diesen Fragen werde ich mich wohl demnächst stellen. Einen Vorteil des Alterns nehme ich jedenfalls gern mit: Ich gebe nicht mehr so viel Geld aus und lasse an dessen Mangel einen Traum scheitern.

Edit: Da fällt mir ein, dass ich den Don nun auch schon acht Jahre kenne. Und er sieht immer noch genauso aus wie damals.

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Greta.

Als wir vor einigen Jahren an die Familienplanung gingen (leider vergebens), flachsten wir gelegentlich über Namen für den Nachwuchs. In meinem Kopf spukten kleine Katharinas, Alexandras, Helenas, Avas und viele weitere mehr herum. Auch den Namen Greta hatten wir in der Auswahl. Eine kleine Greta, das würde ein starkes, eigensinniges, kreatives Mädchen, so dachte ich mir, eine kleine Pippi Langstrumpf, manchmal schwer von den wichtigen Dingen zu überzeugen, aber immer aufgeschlossen. Ein Wildfang. Ein schöner Name.

Auch darum fing das Blog von Stephan und Steffi über ihre krebskranke Tochter Greta sofort meine Aufmerksamkeit. Die beiden beschreiben über einen Zeitraum von fünf Jahren, wie ihre Tochter Greta und die Familie mit der Diagnose Krebs lebt, alle Höhen und Tiefen inklusive. Ich bin eigentlich kein Fan solch intimer Berichte, da ja auch die drei Töchter allesamt im Bild erkennbar sind. Aber Stephan und Steffi offenbaren - auch mit dem Einverständnis der Töchter -, dass es immer um die Familie als Ganzes geht und schaffen einen sehr konzentrierten Blick auf die Krankheit und ihre Auswirkungen. Danke dafür.

Am Mittwoch ist Greta gestorben. Wer mag, kann den im Blog aufgeführten Initiativen Eltern krebskranker Kinder spenden.

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Besitz.

Wer die Aktion #609060 bei Instagram verfolgt hat, konnte sehen, wie sich ganz normale Frauen täglich präsentierten, kurz bevor sie aus dem Haus gehen. Auch ich machte fleißig mit und empfand es als eine sehr schöne und positive Aktion. So viele unterschiedliche Stile, originell kombinierte Teile und einiges, sehr schickes Selbstgeschneidertes - wäre ich doch nur handwerklich begabt!

Was mir auch noch auffiel: Wir haben für fast jeden Tag ein anderes Outfit. Kaum eine der Frauen bei #609060 trägt ein Kleidungsstück mehrfach in der Woche. Wenn ein Kleid wiederholt auftaucht, dann wird es mit schicken Accessoires aufgepeppt, so dass es ganz anders aussieht.

In den 30er Jahren hatte die durchschnittliche Frau ein bis zwei Kostüme, ein Kleid "für gut", Blusen mit Wechselkragen und einige Pullover. Männer hatten im Schnitt zwei Anzüge.

Als meine Großmutter 1990 starb, hatte sie vier Kleider, einige Pullover, ein paar Röcke und Hosen sowie einen Winter- und einen Sommermantel. Sie war immer sehr schick angezogen, kombinierte leuchende Ketten und Tücher zu schlichten Pullovern und Sweatern. Ihr Schrank war genau einen Meter zwanzig breit und einen Meter fünfundsiebzig hoch. Er beinhaltet heute die Taschensammlung meiner Mutter.

Mein Schrank ist zwei Meter fünfzig breit und über zwei Meter hoch. In ihm finden meine 22 Kleider, 13 Röcke, 10 Blazer, sechs Anzüge, 12 Blusen, drei Gesellschafts- und zwei Ballkleider, mein Sommer- und meine zwei Wintermäntel, meine Lederjacken, Übergangs- und Kuscheljacken, meine Sport- und Nachtbekleidung (kein Synonym) sowie eine unübersehbare Anzahl von T-Shirts, Sweatshirts, Trägerhemdchen, Unterwäsche für einen Monat, ungefähr die Hälfte meiner Schuhe und einige Taschen Platz. Kurz: Er ist gerammelt vollgestopft. Mir geht es sehr gut. Ich müsste - ein wenig Pflege und handarbeitliches Geschick sowie stabile Körpermaße vorausgesetzt - nie wieder einkaufen gehen. Und trotzdem stehe ich oft vor dem Schrank und jammere dem Gentleman die Ohren voll, ich hätte nichts anzuziehen.

Vielleicht ist die Aktion #609060 auch ein Anlass, den Wert der Kleidung und des Besitzes zu schätzen. Denn: Uns geht es verdammt gut.

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6.

Der beste Reisekamerad. Ein unbestechlicher Kritiker. Versierter Weineinkäufer. Adlerauge. Absurdistanbewohner. Und viele weitere Eigenschaften mehr. Seit sechs Jahren Bereicherung meines Lebens. Und nicht mehr wegzudenken. Meiner.

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#609060.

Das erste Mal, als ich mich mit meinem eigenen Körper befasste und ihn als „nicht normal“ empfand, war in den frühen neunziger Jahren. Ich war gerade von meinem Frankreich-Aufenthalt zurückgekehrt. Nach Studienhalbjahr, anschließendem Praktikum, arbeiten und ein bisschen Herumgammeln hatte ich nämlich nicht nur viel Sprachpraxis sondern auch etliche Kilogramm mehr auf den Rippen. Ich betrachtete mich im Spiegel und war frustriert. Die aktuelle Mode der Technoära bevorzugte eindeutig den androgynen Typus. Mein damaliger Freund auch. Wieder Single, fraß ich meinen Frust über den untreuen Ex in mich hinein, vernachlässigte aber eine gesunde Nahrungsaufnahme. Ich verlor die in Frankreich angefutterten Kurven, trug Techno-Klamotten und entsprach ein wenig mehr dem angesagten androgynen Typus.

Bis ich eines späten Abends in einer Bar ohnmächtig wurde. Ich wachte auf dem Boden der Bar auf, sah die Plastikrosen an der Decke und dachte nur daran, schnell wieder auf die Beine zu kommen. Nach kurzer Zeit stand ich wieder, fiel aber kurze Zeit später erneut um. Mein Begleiter trug mich hinaus und legte mich auf die Motorhaube eines Autos, von der ich langsam herunterrutschte. Alle Kraft hatte mich verlassen. Er rief einen Krankenwagen, der mich ins nahegelegene Krankenhaus brachte. Die Notärztin fragte nach Drogen (nein), Alkohol (nein, ich hätte fahren müssen) und gab mir aufbauende Spritzen, bevor sie mich fragte: „Was haben Sie heute gegessen?“

Mir fiel nicht sofort ein, worauf sie hinaus wollte und meinte, es sei sicher keine Lebensmittelvergiftung. Sie antwortete: „Ich meinte eher, wie viel haben Sie heute gegessen.“

Einen Suppenteller voll mit Frostie-Cornflakes und Milch.

Ich wachte sprichwörtlich wieder auf. Seitdem hatte ich mein Gewicht immer gehalten, mit Kleidergröße 38. Bis ich vor einigen Jahren Medikamente nehmen musste und mehr Kurven bekam als ich jemals zuvor hatte. Ich schwitzte schneller, kam öfter aus der Puste und musste die Hälfte meines Kleiderschranks aussortieren. Ich fühlte mich wie eine Sago-Made. Diesen Körper wollte ich nicht, dieses Leben wollte ich nicht. Mit mehr Bewegung und Verzicht auf Frühstück (die Mahlzeit, welche ich ohnehin nur mit äußerstem Widerwillen zu mir nehme) habe ich wieder eine gute 40/42, mehr oder weniger passend zum Alter, also.

Als Journelle bei Instagram mit der #609060-Aktion begann, war ich begeistert: Menschen wie du und ich fotografieren sich selbst, so wie sie täglich aus dem Haus gehen oder dort bleiben. Normale Menschen in Oberbekleidung, also, oder wie Das Nuf schreibt „Die Gaußsche Normalverteilung“, wie sie sich in der Figur und im Modegeschmack niederschlägt. Die Damen – und wenigen Herren – sehen allesamt normal aus. Mal dicker, mal dünner, mal modisch orientiert, mal leger. Da ich ja jeden Mist mitmache, fing ich an, den Gentleman zu nerven, er möge in Ermangelung eines Ganzkörperspiegels morgens ein Foto von mir schießen. Mir ging es nach kurzer Zeit ähnlich wie Anne Schüssler: Ich freute mich über das positive Feedback. Ich fing an, mir mehr Gedanken über schöne Kleidung zu machen, die wirklich zu mir und meinen Kurven passt. Ich trug wieder mehr Ketten und habe Spaß daran zu sehen, wie andere ebenfalls mit Accessoires spielen. Und ich finde, das, genau das, macht diese Aktion schön: Sie bewirkt eine kleine Änderung. Ich mag meinen Körper wieder ein bisschen mehr, weil er normal ist.

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