Das weiße Zelt ist schon aufgebaut, die Bierbänke samt Tischen ordentlich nebeneinander aufgereiht. "Heidi bringt 5 Kannen Kaffee, Margit zwei Salate und von Hans haben wir noch einen dritten Tisch", sagt die Nachbarin meiner Mutter, Frau Küster, während wir den Tisch für das kalte Büffet decken, und erzählt mir von Heidi, Margit und Hans und deren Verwicklungen innerhalb der Dorfgemeinschaft. Denn beinahe, aber auch nur beinahe, hätte der Hans die Heidi geheiratet. Leider hatte Heidi beim Feuerwehrball vor drei Jahren eine üble Sommergrippe, und so kam es, dass der Hans die Margit näher kennen und mitsamt oder gar trotz ihrer 150 Kilo lieben lernte. Die Heidi, sagt Frau Küster, und mir fällt der fortwährende Pronominagebrauch auf. Die Heidi jedenfalls hat das nicht so leicht verkraftet. Sie sei mehrfach zur Kur gefahren, immer noch ein wenig dünner und vergeistigter geworden. Schließlich habe die Julia aus dem Nachbarhaus zu der Margit gesagt: Fahr doch mal in die Dom Rep. "Die Dom Rep", betont Frau Küster und dehnt das 'Dom' ein bisschen länger als gut tut, so dass mir die republikanische Ader der meisten Domherren einfällt, aber das gehört nicht hierher. "Und von da", fährt Frau Küster fort und senkt verschwörerisch die Stimme, "von da hat sich die Margit einen mitgebracht." Einen? Rum?Tripper? "Einen Bimbo!", schießt es aus Frau Küster triumphierend heraus, einen Bimbo habe sich die Margit angelacht und den dann auch gleich in ihr Haus oben in der Marktgasse einquartiert. Der sei dann tagein, tagaus im Garten gesessen und habe geraucht, "und was die so rauchen, weiß man ja." Empörung zittert in Frau Küsters Stimme. Meine Mutter kommt aus der Küche und unterbricht, gerade als ich richtig tief in die Dorfannalen hätte eintauchen können.
Später dann, im Garten, unter dem Kirschbaum, der dieses Jahr so wenige Fruchtstände hat wie noch nie zuvor, sitzen Margit, Heidi, Hans und Frau Küster einträchtig rauchend nebeneinander. Man ratscht und tauscht die besten Rezepte und Adressen für eine heilbringende Schrotkur aus. Margit sieht immer noch sehr dünn und blass aus, aber die Kur war ein durchschlagender Erfolg. Der Egon, ihr Kurschatten aus Bad Oeynhausen, zieht demnächst zu ihr in die Marktgasse ins Haus. Den Bimbo hat übrigens die Julia übernommen. Wie gut, dass es in dörflichen Gemeinschaften noch echte Nachbarschaftshilfe gibt!
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Wobei ich immer merke, daß ich halt seit Jahren nicht mehr da lebe, wenn meine Mutter sofort von irgendwelchen Personen erzählt, die ich doch kennen müsste, ohne meinem kleinen Hirn die Zeit zu geben, in ihm zu kramsen und herauszufinden, ob ich mit "der Ute aus dem Habichtweg" noch ein Gesicht verbinde. Das müsste ich doch eigentlich, denn schliesslich habe ich in der dritten Klasse mit ihr auf dem Schulausflug im Bus neben ihr gesessen.
Irgendwie bin ich dann nach ein paar Tagen wieder froh, wenn ich nach Berlin zurückfahre. Zuviele dieser Geschichten machen mich weich.
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