Wunder.

Ich lobpreise die Pharmaindustrie. Ohne ihre Erzeugnisse hätte die Krankheit sicherlich 14 Tage gedauert, mit dagegen nur 2 Wochen. Aber jetzt, endlich, ist das Wortschnittchen wieder fit und schreibt den letzten Teil der kleinen Schlange.

Die kleine Schlange überlegte. Wie sollte sie durch die verschlossene Türe kommen? Als sie noch so vor sich hingrübelte, hörte sie Schritte. Blitzschnell versteckte sie sich hinter einem der Steinlöwen und machte sich so klein wie möglich.
Ein prachtvoll gekleideter Mann kam auf die Türe zu und zog einen großen, goldenen Schlüssel aus seinem Wams. Er steckte ihn in das Schloss und schon sprang die Türe auf. Die kleine Schlange überlegte nicht lange und glitt heimlich hinter dem Mann durch die Türe. Der Raum war groß, größer als jeder andere einer menschlichen Behausung, den die kleine Schlange je besucht hatte. Licht brach durch die hohen Fenster und fiel auf bunte Teppiche, die so weich waren, dass sie jeden Laut verschluckten, auf samtbezogene Bänke zu beiden Seiten des Raums und kleine, goldene Lampen, die überall dort standen, wo kein Platz mehr für andere Gegenstände war. Der prachtvoll gekleidete Mann ging zu einer Bank und nahm eine Pergamentrolle zur Hand, die er aufrollte und tief in Gedanken versunken las. Die kleine Schlange schlich sich im Schatten der Samtbänke durch den Raum. Sie hatte entdeckt, was sie gesucht hatte. An der Kopfseite des Raums stand ein sanftrosafarbener Thron, kunstvoll behauen und mit kleinen Löwenfiguren und Schlangenköpfen verziert. Ihr Stein! Die kleine Schlange erkannte ihren Stein sofort, auch wenn er von fachmännischer Hand bearbeitet und in einen Thron verwandelt worden war, der seinesgleichen suchte. Sie glitt langsam näher und, ja: Jede steinerne Pore strahlte die Wärme der Sonne für kalte Momente aus und versprach Kühlung an heißen Tagen. Die kleine Schlange konnte an nichts anderes denken, als dass ihre Suche endlich ein Ende gefunden hatte. Sie nahm ein wenig Anlauf und schwang sich auf den steinernen Sitz, der so bequem aussah und einladend und wie geschaffen für eine kleine Schlange, die durch die lange Suche so müde geworden war. Sie rollte sich zusammen und beinahe wäre sie eingeschlafen in ihrem wiedergefundenen Heimatgefühl, als eine tiefe Stimme ertönte: "Was ist das denn? Eine Schlange auf meinem Thron?" Erschrocken fuhr sie auf und dachte schon, ihr letzte Stündlein hätte geschlagen. Der prachtvoll gekleidete Mann stand vor ihr und hielt die Pergamentrolle hoch über den Kopf, als wollte er sie damit erschlagen. Die kleine Schlange versuchte, sich so klein wie möglich zu machen und erwartete den Schlag. Doch der blieb aus und stattdessen sprach der Mann: "Du siehst so müde aus, so ängstlich. Willst du ein wenig ruhen? Ich lasse dir die Zeit. Aber dann musst du wieder dorthin zurückkehren, woher du gekommen bist." Die kleine Schlange antwortete: "Ich kann nicht, werter Herr. Meine Heimat war dieser Stein. Er gab mir im Sommer Schatten an heißen Tagen und in der kalten Jahreszeit gab er mir Schutz. Seitdem Ihr ihn aus meinem Steinbruch genommen habt, bin ich auf der Suche. Jetzt habe ich ihn gefunden."
Der Mann machte "hm" und legte seinen Zeigefinger nachdenklich an die majestätisch lange Nase. Dann sagte er zur kleinen Schlange: "Kleine Schlange, es tut mir leid, dass ich dir deine Heimat weggenommen habe. Aber dieser Stein ist jetzt ein Symbol für meine Heimat geworden. Sieh die Löwen und Schlangen darauf! Das sind alles Zeichen für mein Reich und daher kann ich dir den Stein nicht wieder zurückgeben. Aber du kannst hier bleiben, im Palast. Dir wird es an nichts fehlen." Die kleine Schlange war überrascht, denn ein solches Angebot hätte sie sich nie erträumt. Sie, eine kleine Schlange, durfte im Palast wohnen, beim König, denn der prachtvoll gekleidete Mann war der König selbst und er hatte ihr dieses Angebot gemacht. Das durfte sie nicht ablehnen. Sie antwortete dem König: "Ich danke euch. Ich sehe, dass dieser Stein für euch ebenso Heimat ist wie für mich. Daher bleibe ich." Und weil eine Schlange im Palast das Zeichen für jedes gute Königreich ist und viele Wunder in Augenblicken geschehen, in denen nur noch Wunder helfen können, blieb die kleine Schlange. Der Thron wurde berühmt für seine kunstvollen Verzierungen und so manch Einer schwor gar, er habe lebendige Schlangen auf seinem sanftrosafarbenen Stein tanzen sehen. Und wenn sie nicht gestorben ist, tanzt die kleine Schlange auch heute noch.

Aber weil wir alle erwachsen sind, glauben wir so einen Unsinn natürlich nicht. Daher gibt es nunmehr nichts anderes als Realcontent. Zum Beispiel könnte ich mich darüber auskotzen, dass mir heute Nacht einer beide Spiegel an meiner Vespa geklaut hat, die Ratte. Oder, dass der Gentleman ganz genau weiß, wann ich bluffe und behaupte, ja, klar, den Film kenne ich, war super, besonders diese eine Szene, und dann habe ich ihn doch noch nicht gesehen, und er liebt mich trotzdem und genau dafür ich ihn auch. Das ist das größte Wunder von allen.

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