Vom Ferchensee zum Lautersee wandern wir über gut ausgebaute Wege an dichten Föhrenwäldern und kleinen Almen entlang. Eben noch saßen wir am Ufer des glasklaren Ferchensees. Meine Mutter starrte in die Tiefe, wo abgebrochene Fichtenstämme ihrer langsamen Verrottung entgegendämmern.
"Das war nicht einfach, damals. Ich wusste ja nicht, dass ich gar nicht die Tochter von Omis Mann bin. Erst, als ich in die Schule kam und den Mädchennamen von Omi als Nachnamen tragen musste, während ich vorher dachte, ich hätte ihren Ehenamen, da habe ich gemerkt, dass das gar nicht sein kann."
Ein wenig verwirrt frage ich: "Warum musstest du denn den Mädchennamen als Nachnamen tragen?"
"Früher war das so: Wurde ein Kind unehelich geboren, erhielt es den Mädchennamen der Mutter. Und da der Mann von Omi im Krieg gefallen ist, war sie nicht mehr verheiratet sondern eben Witwe. Deshalb hieß sie anders als ich. Und ich wusste ja nicht, dass ihr Mann gar nicht mein Vater sein konnte."
"Warum sie das bloß so erzählt hat", wundere ich mich über meine Großmutter, die so ganz anders war, als sie jetzt scheint. Lustig, damenhaft und wenig unkonventionell trotzdem.
"Darauf scheint der Onkel großen Einfluss gehabt zu haben."
Der Onkel, Hahn im Korb seiner Schwesterhennen. Meine Großmutter lebte bis zu seinem Tod mit ihm zusammen in seiner Villa, die er, in seiner Eigenschaft als Notar, in großem Stile zu führen pflegte. Sie organisierte Veranstaltungen und Parties, bewirtete seine Gäste, die aus exotischen Ländern kamen und gelegentlich das kleine blonde Mädchen an ihrer Seite mit ebenso exotischen Leckereien verwöhnten.
"Komm", sagt meine Mutter, steht auf und streicht sich den Rock glatt. "Wir gehen weiter. Die anderen warten sicherlich schon auf uns." Die anderen, das ist die noch unbekannte Familie.
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