„Dass drei Lederriemen, eine Sohle und ein Absatz so teuer sein können“, sagte ich zu meiner Begleitung und kaufte die Schuhe, deren Gegenwert immerhin die halbe Monatsmiete einer Einzimmerwohnung ausmachte. Dafür hatte ich aber endlich einmal das, was man einen Luxusschuh nennt. Gekauft von den Unsummen, die ich in jenem Jahr als gut bezahltes Redaktionsmitglied einer Online-Zeitung verdiente. Erinnert sich noch jemand an 2002? Damals war alles anders. Leichter. Der Euro war noch neu und glitzerte lustig in der prall gefüllten Geldbörse. Ich trug Seitenscheitel, lange Haare und kaufte gern mal neue Schuhe.
Designt in ‚New York’, hergestellt in Italien, gekauft in Berlin. Diesen internationalen Minimalismus in Rot am Fuß stöckelte ich über die unebenen Planken einer Dachterrasse in Berlin-Mitte, unmittelbar am Monbijoupark gelegen und mit einer großartigen Aussicht auf Alexanderplatz, Fernsehturm und Historisches Museum. Die Party war in vollem Gange: Überall Filmstudenten, Vertreter der schreibenden und treibenden Zunft und zwei ebenfalls hochmotivierte, bereits angesäuselte Freundinnen an meiner Seite – diese Nacht war meine!
Der Mond hing orangefarben und riesengroß hinter dem Fernsehturm und ich am Hals eines braunäugigen Fotografen. M. verkörperte all das, was mir in jenen Jahren als Fiebertraum eines Mannes erschien: Wild, frei, leidenschaftlich und mit ebenso obskuren wie gefährlichen Hobbys behaftet. Heute, drei Jahre später, leuchtet das milde Licht der Erkenntnis heller denn je, und ich weiß, dass genau solche Männer mein Untergang sind.
M. und ich knutschten heftig, tränkten uns gegenseitig mit obskuren Cocktails und fassten einhellig den Entschluss: Wir wollen jetzt tanzen. Und wir tanzten. Stundenlang Salsa, Chacha, Fox, Walzer. Alles, was so gar nicht auf die elektronische Musik passen wollte, aber unsere unteren Extremitäten in immer wieder neuen Variationen aneinander presste. Heiß, wild und sexy unter dem Orangenmond. Es kam, wie es kommen musste. M. wollte gehen, „um ein bisschen Sex zu haben, aber nur ein bisschen“. Na gut. Aber nur ein bisschen.
Wir gingen in Richtung Ausgang, als mich ein plötzlicher Ruck am Weitergehen hinderte. Ich kam ins Straucheln, fiel, ein Ratsch! Als ich wieder zu mir kam, hatte ich einen abgebrochenen Absatz, einen eingerissenen Rock und einen verstauchten Knöchel.
Von den weiteren Erlebnissen dieser Nacht schweige ich lieber. Sie sind auch fast vergessen. Es war ja nur ein bisschen.
Die – reparierten – Schuhe hingegen zieren immer noch dann und wann meine Füße, wenn es besonders heiß ist oder die Gelegenheit es erfordert. Damit es nicht heißen kann: Sie tanzten nur einen Sommer…
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