Balkonnachbarn.

Das Geräusch schreckt mich aus meinem mittäglichen Dösen auf. Der Sohn der Nachbarin räumt die tiptop gepflegten Geranienkästen in die Wohnung. Wir grüßen uns freundlich. Es ist nicht das erste Mal, dass er die Blumen vom Balkon nimmt. Urlaubszeit, und er kümmert sich brav um die Wohnung seiner Mutter. Eine sehr lebenslustige, alte Dame, die trotz ihrer künstlichen Knie- und Hüftgelenke "alles neu, ich bin generalüberholt" nicht nur tapfer ihre Einkäufe in die dritte Etage schleppte, sondern jedes Frühjahr mit der gegenüber wohnenden Freundin die europäischen Metropolen bereiste.

Dieses Jahr fiel der Urlaub aus. Als sie wieder aus dem Krankenhaus kam, hatte ihr Sohn den Balkon bepflanzt und brachte die Einkäufe bis in die Wohnung. Sie saß lesend im Schatten des Sonnenschirms und sagte in ihrer unnachahmlich schnodderigen Art, als wir gutnachbarlich ein Schwätzchen hielten: "Solange ich sitzen kann, ist es nicht so schlimm. Auch wenn's weh tut." Den künstlichen Darmausgang hatten die Ärzte vor Kurzem angelegt. "Ich hab ja schon ganz andere Dinge überstanden." Sie war es, die mir erklärte, warum die eine Hälfte des Hauses Betonböden hat und die andere Holzdielen: einfach zur Hälfte ausgebombt und eingestürzt. Seit 76 Jahren wohnte sie im Viertel, ich knappe fünf.

Seit gestern ist der Balkon leer. Und er wird nicht wieder bepflanzt. Ich werde einen neuen Nachbarn bekommen. Der Tod war nur Zwischenmieter.

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Das tut mir leid, klingt, als hätten Sie Ihre Nachbarin gemocht.

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Sie war eine jener Frauen, vor denen ich den Hut ziehe und hoffe, dass ich dereinst einen Bruchteil der Energie haben werde, die ihnen das Überleben und Leben ermöglichten. Außerdem fuhr sie immer aufs Land, wenn ich eine Geburtstagsparty ankündigte. Obwohl sie sicherlich kräftig mitgefeiert hätte.

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Tut mir leid. Ich hoffe, wer jetzt einzieht spürt ihren Geist in den Wänden.

Ich bilde mir ein, dass dieser Menschenschlag mit der Kriegsgeneration ausstirbt. Meine uralte Nachbarin Frau Horn hat sich noch nie beschwert, trotz meiner brutalen Partys mindestens 2 x jährlich. Als ich mal einen Zeitzeugen brauchte, der mir Details über Carepaket-Verteilung in Berlin nach dem Krieg erzählt, habe ich sie besucht und wollte ihr Sofa nicht mehr verlassen. Eine kultivierte Frau mit einem spannenden Leben. Sie hat noch nie woanders gewohnt und kennt genau wie Deine Nachbarin alle Geschichten über unser Haus und seine Bewohner. Wenn sie sich trotz Ihrer künstlichen Hüftgelenke in den 4.Stock schleppt dauert es fast 20 Minuten bis sie oben ist und ich kann den Anblick nicht ertragen. Wenn sie stirbt, wird das Haus ein anderes sein.

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Hm, es greift scheinbar wieder um sich. Auch hier.

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