TV-Taskforce.

Irgendwann erwischt er die Meisten: der Nestbautrieb. Spätestens mit Mitte/Ende Dreißig werden auch aus den trotzigsten Singles Paargemeinschaften mit Zwergenanhang, der unter keinen Umständen in dieser großen, lichten aber viel zu hellhörigen Wohnung an der stark frequentierten und schmutzigen Ausgehmeile der Großstadt aufwachsen soll. Also wird der vor Freunden immer geheim gehaltene, auf guten Rat der Eltern abgeschlossene Bausparvertrag in ein komfortables Eigenheim im Speckgürtel umgewandelt.

So viel Platz! Ein Garten! Diese himmlische Ruhe! Der letzte verbliebene Single im Freundeskreis wird grün vor Neid, als... Weiterlesen

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... er in die Vorstadtidylle mit ihren liebevoll angelegten Blumenrabatten und biodynamischer Kompostierung zum Sommerfest eingeladen ist. Dass die ehemals modischste der Freundinnen zur Sabberlatzhalterin mutiert ist und deren Göttergatte eine stattliche Plauze sein Eigen nennt, übersieht er dabei großzügig. Denn der Neid macht nach spontaner Schwachstellenanalyse schnell einem gewissen Gefühl der Befriedigung Platz: Sie leben doch tatsächlich in einem Möbelhaus! Alles passt farblich zusammen, die Wandfarbe zum Kissen, die Blumenvase zum Kunstdruck von Gauguins Tahiti-Mädchen über dem Sofa mit indianischgemustertem Bezug in gelb-orange-ocker.
So einen Geschmack kann man doch nicht von Natur aus haben, den muss man sich schon verdienen, denkt der Single. Einige Menschen lassen sich sogar beraten, wie ein derartiger visueller SuperGAU schnell und kostengünstig zu verwirklichen ist. Die Monatspackung Pampers ist ja schon teuer genug.

Für solche Fälle gibt es Andrea. Oder Tine. Auch Sonya kommt gern ins Haus. Der geneigte Leser ahnt vielleicht schon, dass es sich nicht um Damen eines erotischen Hausbesuchsservices handelt, sondern um das schlimmste Instrument der Volkseigenheimverschandelung, das deutsches Privatfernsehen jemals hervorgebracht hat. Die vorzugsweise zu typischer Hausfrauen-Pausenzeit – 11. 00 vormittags und 16.45 nachmittags – ausgestrahlten Formate haben kämpferische Namen: Einsatz in vier Wänden mit dem blonden Panzer Tine Wittler (übrigens Autorin zweier Bücher mit einem Anti-Helden namens 'Horst'), deren Durchschlagskraft vor keiner noch so biederen Einrichtung Halt macht. Oder S.O.S – do it yourself von ProSieben, das Sonya Kraus ins Rennen schickt, die blonde Augenweide mit Bohrmaschine, Mädchen, bei dir möchte ich auch gern mal bohren, höhö, aber das ist Frauenfernsehen, da haben Männer nichts zu suchen. Wenn die vier Wände allein nicht ausreichen, erscheint Sonntagnachmittag Andrea Göpel bei RTL auf der Bildfläche, respektive Garten, und mixt Mutterboden und Teichfolien mit soviel pummeliger Geschäftigkeit, dass die im heimischen Freilufterholungsgehege stilvoll platzierten Gartenzwerge verschreckt die Mützen einziehen.

Der vormals in einem Konglomerat an Studentenausstattung und Erbstücken lebende Paarmensch erhält durch die TV-Taskforce eine glattere Wohnebene als der Irak nach einem Besuch der lieben Freunde aus Amerika. Alles wird – je nach Farbgeschmack – ocker, grünlich oder, als neuester Clou, denn „warme und südländische Töne sind in", Ochsenblutrot gestrichen, Lichtakzente durch Kerzchen hier und Leuchten dort gesetzt, sinnlose Blumengebinde verteilt und zu guter Letzt verbindet AndreaTineSonya den gestressten Eigenheimbesitzern die Augen und führt sie in die neue Umgebung, die jetzt weniger Charme als ein Hotelzimmer der Mercure-Gruppe verströmt. Meistens schlagen die derart Überraschten die Hände gleich wieder vor die Augen oder vor den Mund, hauchen überwältigt „toll“, „irre“ oder „Wahnsinn“. Zumindest Letzteres haben anno 89 Viele gesagt, und wir wissen ja alle, dass blühende Landschaften anno 2005 nur noch in einem 30qm-Reihenhausgarten zu finden sind. Nachdem Andrea da war.

Diese Verschönerungspest scheint sich auch in der oben angesprochenen Vorstadtidylle ausgetobt und Opfer gefordert zu haben. Als der Single die Gastgeberin vorsichtig fragt, ob sie diese Fernsehformate kenne, antwortet sie fröhlich: „Ja! Die Tine finde ich toll. So dick und trotzdem so viel Geschmack, das ist schon selten.“

Taste-Tod durch TV-Taskforce, wie der Anglizismenverseuchte Single sagen würde. Verdammter Nestbautrieb.

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Hihi, schön geschrieben!

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