Kusskuss.

"It's in his kiss..." röhrte Cher als Meerjungfrau, die bekanntlich besser küsst, in mein Ohr als ich noch jung war. Ja, das Küssen ist so eine Sache für sich. Ich küsse leidenschaftlich gern, und das nicht nur als Auftakt zu mehr. Küssen ist in meinen Augen sehr viel intimer als Sex, und wer mich nicht gern küsst, findet nie den Weg zu meinem Herzen. Der Weg zum genussvollen Kuss indes war fast ebenso steinig.

Den ersten Kuss bekam ich - nicht anders zu erwarten bei einer Prinzessin auf der Erbse - auf dem Abschlussball des Tanzkurses. Mit meinen 14 Jahren war ich beim Flaschendrehen glücklicherweise immer um das halbgare Gesabbere herumgekommen. Und meinem Dauerverehrer Matthias, der sich durch eine umfangreiche Sammlung an TKKG-Büchern, die er mir, und nur mir! auslieh, auszeichnete, semmelte ich anlässlich seines zaghaften Kussversuchs saftig eine Ohrfeige auf die Wange. Unnötig zu erwähnen, dass ich danach auf die Dienste der örtlichen Bücherei angewiesen war.

Das Wortschnittchen hatte die Erziehungsberechtigten so lange genervt, bis es ein weitschwingender, schwarzer Tüllrock sein durfte, gepaart mit einem engen schwarzen Korsagen-Oberteil. Mir schwebte bei dessen Erwerb so etwas in Richtung "Schwanensee" vor, ein kleiner schwarzer Schwan, der mit seinem eleganten Tanz die Herzen rührt. Nun, hätte ich nicht einige Tage vor dem lang ersehnten Ereignis den Erzeugern einen Friseurbesuch abgetrotzt, wer weiß, vielleicht wäre ich tatsächlich zur Ballkönigin gewählt worden. Die frische Dauerwelle, die damals in Verehrung der frühen Madonna mein Haupt zierte, legte sich leider gar nicht in die erhofften Schlangenlocken. Vielmehr war eine Art Haartrapez entstanden, das entfernt an Reliefs in Pharaonengräbern erinnerte. Tüllrock-Prinzessin mit Hatschepsut-Tolle - der Schwan zerstob im feinen Nebel des Haarlacks.

Solchermaßen in balltaugliche Form gebracht, durfte ich im Beisein der Eltern Sekt und andere Getränke genießen. Nach dem Anstandswalzer mit meinem Vater verdrückte ich mich in den Ballkeller, um meiner neuentdeckten Vorliebe für alkoholhaltige Getränke zu frönen.
Kurz: Nach drei Sektchen war ich blau wie eine Haubitze und hing auf dem Schoß meines Ballherren in einer Ecke. Der, frühreif und dank eines spanischen Vaters angetan mit glänzenden dunklen Augen und einem in diesem Jahrzehnt gar nicht so unmodernen Oberlippenflaum, witterte die Chance, der Kleinen mal zu zeigen, dass er nicht nur beim Cha Cha die Führung drauf hatte. Beherzt drückte er seinen Mund auf meinen. Ich spürte nur noch Feuchte und seine Zunge, gleich einem Wurm, bahnte sich ihren Weg in meine Mundhöhle. Es kam wie es kommen musste: Ich riss meine Augen auf, presste meine Lippen zusammen und schaffte es gerade noch so auf die Toilette, bevor ich diese Erfahrung unter lautem Stöhnen und Würgen dem Abwassernetz überließ. Unnötig zu erwähnen, dass der Ballherr mich an diesem Abend nicht mehr küssen wollte.

Die Zeiten haben sich glücklicherweise geändert. Die Männer auch. Ein Oliba-Träger kommt mir nicht mehr an die Lippen. Ebenso wie billiger Sekt. Küsse genieße ich heute wie einen edlen Wein oder einen eleganten Cognac: Langsam, bedächtig, mit betonter Herznote und erinnerungswürdigem Abgang.
"Does he love me I want to know, how can I tell if he loves me so. It's in his kiss." Ich glaube immer noch daran.

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Atavismus.

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Nein. Erfahrung.

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"und das nicht nur als Auftakt zu mehr"
Woher kommt das eigentlich, dass alle (inkl. meiner aktuellen Freundin) meinen, das Küssen automatisch zu mehr führen muss und einen intensiven Kuss meinerseits als solche Einleitung interpretieren?

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