Jede Frau ist in ihrem tiefsten Inneren eine Hexe, behauptet der gute Freund P. resigniert und bestellt noch einen Cuba Libre. Ich protestiere. Keine meiner Freundinnen hat jemals Sonnenwendfeiern nackt tanzend auf dem Blocksberg verbracht um sich hernach auf einem Besen in die Lüfte zu schwingen. Sicherlich ein toller Freizeitspaß, aber die Damen meiner Bekanntschaft liegen in warmen Sommernächten lieber mit einer Caipirinha, Apfelsaftschorle oder einem Bier auf der Wiese im Weinbergspark und verhexen allenfalls die umliegenden Männer.
"Allerdings", gebe ich zu, "so ein wenig esoterisch wird man als Mittdreißigerin." Lebenshilfebücher liegen neben den neuesten Erkenntnissen zu Bach-Blüten auf den Nachttischen und so manche Freundin hat sich schon in meine Wohnung verirrt, sich die Karten legen zu lassen. Überhaupt, das Kartenlegen: Ohne dieses wäre der Urlaub auf Kreta damals deutlich teurer geworden. P. will Genaueres wissen.
Die Lieblingstierärztin und ich hatten zwei Wochen gebucht, der einzige Pauschalurlaub übrigens, den ich voll und ganz genießen konnte. Wir mieteten einen Wagen und fuhren über die wunderbare Insel an blühenden Oleanderbüschen, Olivenhainen und schroffen Bergen vorbei, badeten im eiskalten Wasser des Mittelmeers und wanderten in Rekordzeit durch die Samaria-Schlucht. Der Barmann unseres Hotels, Nicolaos, wusste des Abends vortreffliche Caipirinhas zu mixen, die wir auf der Dachterrasse zu uns nahmen, den Blick über die weite Bucht von Bali (!) genießend.
Nicolaos beobachtete mich eines Abends, als ich mein Tarotdeck aufbaute. Er kam neugierig dazu und fragte, ob ich ihm die Karten legen würde. Nun ist es nicht so, dass ich einen glasigen Blick bekomme, mich in fremde Galaxien versetzte und mit teuflisch verfremdeter Stimme spreche. Manchmal jedoch kann ich sehen, was einen Menschen bewegt. Und ich sah Nicolaos' Leben, seinen Sohn in Hamburg, die Flucht vor der Verantwortung und eine strenge Mutter. Während meiner Ausführungen wurde er immer stiller, warf mir ängstliche Blicke zu und sprach am Ende der Sitzung: "Du bist eine Hexe. Du bekommst alle Getränke gratis."
P. lehnt sich in seinem Sessel zurück und sieht mich schräg von der Seite an. "Dass du eine Hexe bist, wusste ich schon. Böse bist du manchmal auch. Wäre das nicht was, mach dich doch als hauptberufliche Hexe selbstständig!" Ich lache, sage, dass man dafür kein Geld verlangen darf, nur annehmen, was freiwillig gegeben wird. Aber: Diplomierte Hexe, das hätte was. Ich sehe schon das polierte Messingschild mit den kunstvoll eingravierten Sitzungszeiten im Hauseingang hängen.
Ich muss mir demnächst einmal die Karten legen, vielleicht geben sie mir eine Antwort. Oder ich gehe meine Kristallkugel polieren. Da fällt mir ein: Mit dem Besen könnte ich auch mal wieder durch die Wohnung gehen. Alles Blödsinn. "Ich bin doch keine Hexe", grinse ich, proste dem P. zu und verscheuche den Raben, der sich frecherweise auf meiner Schulter niederlassen will.
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Online-Tarot.
Da würde ich sofort mitmachen. ;-)
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Hände weg von Hexereien, sag ich nur! :)
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Du bist wirklich keine Hexe ('ne gute natürlich)?! Sollte ich mich so irren? ;-)
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