Ich esse gern.
Ein furchtbares Geschrei schallt über den Hof. Wir drücken uns ängstlich an die Wand des Schuppens. Nur nicht im Weg stehen, nicht auffallen.
Um die Ecke geschieht etwas, es poltert, ein Blecheimer fällt um. So hört es sich jedenfalls an.
Und da kommt sie auch schon angaloppiert, die Gefahr, immer mitten durch den Schnee, den Knecht im Schlepptau, der wie eine Lumpenpuppe am Strick hin und her geschleudert wird. Schrill quiekt das Schwein, schlägt Haken. Es weiß genau, dass eine nicht definierte Bedrohung im Schuppen wartet. Wie oft hat es schon Geschwister verschwinden sehen und nie wiederkommen, nachdem sie gemeinsam mit gutem Futter aufgezogen und langsam auf das richtige Schlachtgewicht gebracht wurden? Ein gutes halbes Jahr braucht so ein Ferkel, bis es ordentlich durchwachsenen Speck hat und reif ist. Reif für das Tötungsgerät.
Das liegt sauber und ordentlich aufgereiht neben diversen Gerätschaften im gekachelten Schuppen. Ich habe es mir angesehen: Harmlos sieht so ein Bolzenschussgerät aus, wie eine solide, sehr große Spritze ganz aus Metall. Der Bauer hat uns alles erklärt, seinen schmutzig-grauen Schnurrbart zwirbelnd und schon am frühen Vormittag ein Schnäpschen servierend.
„Jo, die Lütte kann doch einen, das schadet nich’. Guck dir den Jocke an, der is damit groß geworden“, sagt er zu mir gerichtet und weist auf den Knecht, der debil grinst. Zu viel der Aufmerksamkeit für den Moment und vielleicht auch zu viele Schnäpschen während der Adoleszenz.
Jocke hat sich trotzdem verdient gemacht, denn er war es, der ‚unser’ Schwein gemästet hat, irgendwo im niedersächsischen Nirgendwo. Wir sind nur Besteller der Schnitzel, Koteletts und Würste. Dass wir auch Hersteller sind, hat uns das Familienoberhaupt erst kurz vorher gesagt: „Vor dem Essen müssen wir es tot machen. Und vor dem Essen kommt die Arbeit.“ Hehre Werte, mit großer Leichtigkeit zwischen Frühstücksei und Laugenbrötchen gesprochen. Er verdient Letztere und hat daher Entscheidungsgewalt. Adieu, gemütlicher Samstags-Einkaufsbummel.
Das wilde Gespann kommt immer näher, Bauer und Vater rennen hinterher, mit roten Wangen von Schnaps und Kälte. Zielgenau bugsiert Jocke das laut quiekende Tier in Richtung Schuppen. Dunkel, warm - das Schwein reagiert und ist drin. Verdutzt hält es an. Sieht sich um, schnuppert. Hätte das Schwein nicht so kleine Augen, würde es in diesem Moment Schreckgeweitete haben, groß wie Untertassen. Jocke wirft sich über seinen Rücken, der Bauer rennt herum und hält die Vorderpfoten fest. Wild wehrt es sich, schreit ohrenbetäubend. Es klingt wie ein völlig verängstigtes Kind. Ich sehe Tränen in den Augen meiner Mutter.
Das Familienoberhaupt greift zum Bolzenschussgerät. „Komm her, wir machen das zusammen“, schreit er mir zu. Ich drücke mich an meiner Mutter vorbei durch den Eingang und vermeide es, dem schlingernden Trio Schwein, Bauer und Jocke zu nahe zu kommen. Gemeinsam halten wir das schwere Kaliber auf die Stirnmitte, gemeinsam setzen wir an. Gemeinsam ziehen wir durch. Schuss. Ein gewaltiger Rückschlag, das Schwein bricht auf der Stelle zusammen, nachzuckend, keuchend, bis auch der letzte Atemzug verklungen ist. Ich habe getötet. Nicht zum ersten Mal. Aber zum ersten Mal bewusst. Das Schwein musste sterben, denke ich. Ich bin eine Mörderin. Ich fühle mich sehr kaltblütig, sehr verwegen und sehr erwachsen. Wenn der Tod kommt, ist er nahe, intensiv, aber nicht ängstigend. Das Schwein musste sterben. Ein Mantra.
Wir brühen das Schwein mit heißem Wasser, entborsten es mit scharfkantiger Metallglocke, teilen und filetieren und spülen Därme, auf dass nichts an das Wesen erinnert, welches noch vor zwanzig Minuten atmete und sich mit aller Kraft an das Leben klammerte. Ich rühre Blut, damit es nicht gerinnt. So wird die Blutwurst zart, sagt der Bauer. Blutwurst ist mir zuwider, aber ich rühre trotzdem weiter, den eisenhaltigen Geruch frischen Blutes schnuppernd, der schwächer und schwächer wird, je länger ich den großen Schneebesen durch den Eimer rotieren lasse.
Später sind wir in dichten Dampf eingehüllt, aromatische Gewürze werden dem Fleischbrät zugefügt und alles entweder in Därme gefüllt oder in Blechdosen. Gekocht, sterilisert, ordentlich verpackt. So sieht Fleisch und Wurst aus, wenn wir es vom Bio-Bauern kaufen. Meine Mutter arbeitet schweigend Hand in Hand mit der früh gealterten Bäuerin.
Das Schwein musste sterben, sagt sie, als ich später weinend in meinem Bett liege und den Mord beklage, und streichelt mir über das Haar. „Denk an die Koteletts, die du so gern ist.“ Ich frage mich, warum ich nie Vegetarierin wurde. Ich bin ein Schwein. Aber sie hat Recht. Ich esse einfach zu gern Kotelett.
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