Immer schon wollte ich Muse sein. Eine feenhafte Erscheinung in seidenleichten Kleidern, langem, lockigen Schneewittchenhaar und verwirrendem Lachen, die auf einer Chaiselongue in einem Atelier liegt und den Künstler zu immer neuen Höchstleistungen inspiriert.
Nun verhält es sich aber so, dass die körperlichen Tatsachen weniger denen einer leichten Muse entsprechen als erhofft, und wahre Künstler sind heutzutage rar gesät. Zumal diese die Muse häufiger in osteuropäischen leichten Mädchen und weißem Pulver suchen oder in Kräutern, deren Wohlgeruch ihre eigene Urteilsfähigkeit stärker trübt als Galeristen es wahrhaben wollen.
Ich küsste also viele vermeintlich der Muse Bedürfenden: Einen Musiker, dessen slawische Seele ihren Ausdruck in hunderterlei Beethoven-Variationen fand, Pianoforte, bitte, den ein oder anderen Schreiberling mit einem unveröffentlichten oder unvollendeten Roman über Berlin-Mitte in der Schublade und viele, viele Lebenskünstler. Ich war Kalliope, Erato und Thalia in einer. Jedem gab ich meinen Geist, meinen Humor und meinen Körper auch, sofern notwendig.
Irgendwann entdeckte ich, dass ich selbst zur Künstlerin berufen war. Schreiben, ja, das konnte ich, Zeichnen auch ganz passabel, und meine Kenntnisse auf der Querflöte hätten durchaus an die eines Friedrich, des Großen, heran gereicht, wäre da nicht eine gewisse Ermüdung schon beim Erlernen dieses schönen Instruments aufgetreten.
Was noch fehlte, um den endgültigen Durchbruch zu schaffen? Natürlich eine Muse. Nun ist es aber so, dass ich dem weiblichen Geschlecht durchaus hold bin und mir in Gesprächen unter Freundinnen beim Rotwein oftmals Geistesblitze kommen. Doch wahre Inspiration können Frauen mir nicht geben. Dazu sind sie mir zu ähnlich, zu wenig Reibungspunkte bieten sie. Also doch ein Mann.
Und hier beginnt das Dilemma: Eine Muse ist eine Muse ist eine Muse. Weiblich. Den Muserich gibt es ebenso wenig wie den Musenio, der Muser hört sich an wie Schmuser, und Schmusen ist für die Kunst eher kontraproduktiv.
Bleibt noch der Musenkuss. Und der ist männlich, glücklicherweise. Geküsst werde ich ohnehin lieber von Männern. Also warte ich auf ihn, meinen Musenkuss. Auf dass er zurück kehre aus den schönen Süden, wo er dem Wein, Weib und Gesang huldigt, sich seinerseits von Musen küssen lässt und mir den Weg bahne in den Olymp der unsterblichen Künstler.
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