Aufräumen hat eine nicht nur reinigende Wirkung sondern kann gelegentlich nostalgische Erinnerungen hervorrufen. So geschehen mit einer recht verstaubt in der hinteren Ecke des Schrankes versteckten Schuhbekleidung. Schnürstiefel, kniehoch, solider Absatz, runde Kappe, weiblich.
Damals, als ich sie kaufte und trug, waren diese Stiefel sehr en vogue: Curt Cobain hatte sich gerade eine Kugel in den Kopf geschossen, die kiffenden Teenies der Welt weinten und ich hatte ellen(bogen)lange, schwarzbraune Haare und einen sexuell aufgeschlossenen Freund.
So begaben wir uns einmal in einen Laden, der in gewissen Kreisen als Lack- und Ledermekka gefeiert wird, um für den anstehenden Clubbesuch Kleidung zu erstehen, die vor den strengen Augen der Türsteherin Gnade finden würde.
Chaps, hinten und im Schritt offene Beinkleider, erregten T.s Aufmerksamkeit und meinen Sinn für Humor. "Willst du die wirklich ohne was tragen", fragte ich. T. bejahte und ich konnte nur hoffen, dass er sein stattliches Gemächt nicht allzu offenherzig präsentieren, sondern es zumindest in ein winziges Suspensorium verstauen würde. Mein sofortiges Interesse galt Korsagen, oder besser: Korsetts, denn zum An- und Ausziehen solcher mit Rüschen, Schleifchen und Ösen besetzten Oberteile musste man eine willige Zofe engagieren und wenn diese auch noch männlich und gut aussehend... - aber nicht doch. Für ein schwarzes Korsett, Marke "Knie nieder und huldige!", schlug mein Herz und T.s Begeisterung für das edle Stück konnte man ihm ansehen. Leider kam mein ästhetischer Anspruch mit den Preisvorstellungen des gutsortierten Ladens in Konflikt, so dass ich mich schließlich für ein Suzie Wong-Kleid entschied: eng, schwarz, hauchdünn. Dazu würden meine Schnürstiefel hervorragend passen.
Wir machten uns also am folgenden Abend gestiefelt und gespornt auf den Weg zum Club, der damals noch sein Domizil in einem Kreuzberger Hinterhof fristete und so gar nichts mit dem heutigen Technotrash in einem Tempelhofer Industriegebiet gemein hat. T. hatte sich dann doch - sehr zu meiner Freude, denn ich bin da ein wenig prüde - dafür entschieden, unter den Chaps knappe Shorts zu tragen.
Die Tür passierten wir ohne Probleme und tauchten ein in eine Welt, in der Barfrauen ein knappes Korsett und sonst nichts tragen (so geraten wenigstens keine Schamhaare in den Drink), sexuelle Spielereien ganz öffentlich zelebriert werden und der House-DJ sein Handwerk versteht.
Wir tanzten, beobachteten die Menschen, Körperkontakte in mannigfaltigen Konstellationen und fühlten uns ganz allgemein recht wohl. T. unterhielt sich mit einem Ganzlederkondom, ich mit einem Österreicher, der über und über mit flouresphoszierender Körperfarbe bemalt war. "Geh, schaust scho scharf aus", sagte er und sein Blick wanderte von oben nach unten, um genau dort hängen zu bleiben, wo ich es erwartet hatte. Langsam rutschte er von der Bank herunter. Er saß nun am Rande der Tanzfläche auf dem Boden und sein nackter, beschmierter schwitzender Körper spiegelte die Stroboskopblitze der Lichtanlage. Seine Augen waren starr auf meine Stiefel gerichtet.
Mir war klar, es ging hier nicht um mich, sondern um ein Stück Leder mit Schnüren dran. Was würde er tun? Würde er sie küssen oder gar lecken wie der schmächtige Mann es gerade dort drüben mit den Zehen einer gelangweilt auf einer Schaukel sitzenden schönen Türkin tat? Ich war neugierig. Für mich war da kein Lustgewinn drin, das war mir klar.
"Mogst mi amal leckn lossn", fragte der Österreicher, die Hand an seinem Geschlecht spielend. Und was antwortete ich, die ich an und für sich selten auf den Mund gefallen bin? "Nein", würgte ich hervor und in meinem Bauch kribbelte ein Lachanfall, "die sind frisch geputzt."
Meine Karriere als Stiefeldomina fand damals ihr jähes Ende. Der Freund dieser Zeit ist lange vergessen, den Österreicher traf ich noch einige Male später, aber das ist eine andere Geschichte, die nicht erzählt werden darf, und die Stiefel habe ich aufgehoben. Dann und wann, wenn ich sie ansehe, denke ich: Die könnten auch mal wieder geputzt werden. Oder geleckt.
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