Vor einigen Tagen wurde mal wieder die sprichwörtliche Sau durch Berlin durchs Dorf getrieben. Namentlich Wolfgang Thierse machte sich wieder mal bekannt, indem er die natürliche Überlegenheit des Berliner Ureinwohners gegenüber dem gemeinen schwäbischen Zugewanderten anhand der Schrippenfrage betonte. Man darf getrost davon ausgehen, dass Thierse sich in seinem Alter öfter von Ungewohntem gestört fühlt. Das ist so, man erlebt es ja bisweilen bei den eigenen Eltern oder Schwiegereltern, dass sich da fortschreitend eine Ungehaltenheit gegenüber vermeintlich Jüngeren, Schnelleren, Fremden oder sonstwie der eigenen, kleinen Lebenswelt entwachsenen entwickelt.
Auch ich werde langsam alt und gebe hiermit meine sorgsam gepflegten Vorurteile unzensiert zum Besten.
Schwaben
Fangen wir an mit unseren schwäbischen Freunden. Ich bin in einem kleinen Dorf an der schwäbisch-badischen Grenze in den Kindergarten gegangen und verbinde daher mit allen Schwaben den Geruch nach verkochtem Gemüse. Wir wohnten im Badischen, während die schwäbische Kreisstadt samt Kindergarten nur einen Steinwurf entfernt dennoch eine ganze Welt weit weg war. Mit Badenern (und sagen Sie bloß nie Badenser, das geht gar nicht und bringt diese phlegmatischen Zeitgenossen dazu, Kriege zu beginnen) dagegen habe ich einen Grundkonsens: Wir riechen besser und trinken gern mal ein Viertele.
Bayern
Ich bin zwar in Oberbayern geboren, aber meine Verbundenheit mit dieser Region beschränkt sich auf die Vorliebe für gutes Bier. Der Menschenschlag der Bayern hat für mich den furchtbaren Makel, seit Jahrzehnten bevorzugt eine Partei zu wählen, die für Rückstand und Intoleranz steht. Daher kann ich Bayern nicht wirklich mögen.
Österreicher
Nehmen wir deren Nachbarn, die Österreicher. Hier erstrecken sich meine Vorurteile eher auf die Salzburger. Bei denen ist alles ja so plüschig! Die Stadt sieht schon aus wie eine Mozartkugel: klein, rund, irgendwie ein bisschen klebrig-vervettert und fett wird man dort auch schneller als anderswo. Deshalb sind sie wohl auch gern ein wenig selbstgefällig.
Brandenburger
Leiden entweder unter nostalgischen Minderwertigkeitsgefühlen allererster Güte ("früher war alles besser und jetzt verfällt hier alles, nur Berlin kriegt immer alles in den A*sch geblasen") oder unter Größenwahn. Schuld sind grundsätzlich immer nur die anderen, besonders "die in Brüssel" oder "die Wessis", den Hintern hochkriegen, ohne dass Fördermittel fließen, schaffen viele gar nicht.
Berliner
Berlin ist eine großartige Stadt. Multikulti, man kann im Schlafanzug auf die Straße gehen und sich eine rosa Feder durch die Nase ziehen - es interessiert keinen. Wenn nur nicht die ganzen Berliner wären, die meinen, andere Zugezogene seien unterträglich. Und dann diese Sprache! Icke, ditte, kieke mal, jotwedee, Alta, wat ha'ick jesacht, wa? Man möchte die Ureinwohner permanent dafür schlagen. Gern auch im Verbund mit den oben genannten Brandenburgern, deren schlimmstes Verbrechen an der deutschen Sprache die Konjugation von "heften" ist: Ick ha abjehoften. Unsagbar.
Sachsen
In punkto Jammern haben es den Brandenburgern nur die Sachsen voraus. "Nu, mir duhd olles so wäh" ist ein Standardsatz, fragt man mal nach dem Wohlbefinden. Immerhin bezieht sich die Klagefreude nur auf den Körper, ansonsten packen die Sachsen wirklich was und machen aus ihrem Ländchen ein Zuckerparadies mit besserem Bildungsstand als die meisten Bundesländer.
Hessen
Kommen Sie mir bloß nicht mit denen. Diese pseudo-joviale Art mit "Ei Gude" und "gell, isch hab disch gelle gern" ist fast unerträglich und dient in erster Linie dem Geschäftemachen. Den Hessen an sich interessiert nur das Geld, das ist ihr Gott, und das sage ich nicht nur, weil ich aus einer hessischen Kaufmannsfamilie stamme, die ihren Schnitt schon vor Jahrhunderten mit dem Verkauf hessischer Bauernsöhne in den Unabhängigkeitskrieg in Amerika machte.
Alles im Rheinland
Teile meiner Familie stammen aus dem Köln-Düsseldorfer Raum. Ich mochte, wie mein Großvater mich immer "lecker Mädschen" nannte, aber der Rest der Verwandtschaft war schlicht unerträglich. In punkto Grundbeleidigtsein stehen sie den Brandenburgern im Übrigen in Nichts nach. Nur dass sie sich jeweils untereinander gern die Schuld für das Ungemach der Welt geben. Aber wenn es um Köln geht, bin ich immer noch eher der Düsseldorfer Teil der Familie. Köln. Geht gar nicht.
Niedersachsen und Norddeutschland
Kann ich eigentlich nichts gegen sagen. Ich mag wortkarge Menschen. Hamburger dagegen, es tut mir wirklich sehr leid, sind ähnlich wie Hessen nur am Geld interessiert, tun aber bigotterweise so, als hätten sie keins.
Der Rest der Welt
Ach, den gibt's auch noch? Also gut: Dass ich gegenüber Thüringern, Saarländern und Pfälzern keine Vorurteile hege, liegt sicherlich schlicht daran, dass sie in absolut uninteressanten Bundesländern leben. Obwohl: Ich war mal mit einem Saarländer zusammen. Und der war nicht zurechnungsfähig.
Ansonsten gibt's ja noch andere. Franzosen sind arrogante, egozentrische Zicken (männlich und weiblich), Italiener haben ein echtes Problem mit der Wahrheit und Polen sind fast so leicht beleidigt wie Spanier. Mexikaner sind neben Chinesen und Israelis die lautesten Menschen der Erde, US-Amerikaner haben mit Russen die komplette Realitätsverweigerung gemein und Afrikaner sind mir so fremd wie Aliens (Chinesen auch, aber dort fahren moderne Züge).
Ich bin befreit. Endlich habe ich meine Vorurteile auch einmal anderen mitteilen können. Ach ja, als temporäre (Wochenend-) Bewohnerin des Prenzlauer Bergs kann ich Herrn Thierse nur Recht geben: Wecken gehen gar nicht. Semmeln muss man sagen. Wenn der Berliner Brötchen überhaupt könnte. Denn weder Brot noch Wurst sind hier wirklich gut. Lasst mehr Qualität rein.
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Gruß, T.
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Was Holländer an sich angeht, so pflege ich keinerlei Vorurteile. Im Gegenteil: Mich hat ein freundlicher Holländer davor bewahrt, mit einer zerbrochenen Flasche die Kehle durchschnitten zu bekommen. Das prägt.
Außerdem gehe ich davon aus, dass wir uns in absehbarer Zeit ohnehin mit den Niederländern näher befassen müssen. Wenn Ihr schönes, aber leider sehr plattes Land dereinst wegen des Anstiegs des Meeresspiegels unter Wasser liegt, bietet das überalterte Deutschland einen sicheren Hafen. Gern auch in Mecklenburg-Vorpommern, dann können Sie mit Ihren Tulpenfeldern ein wenig Farbe in die braun geprägten Dörfer bringen.
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