Aschenbrödel

Es ist das alljährliche Ritual der Mittdreißigerinnen: Verzückt sitzen sie an den Tagen nach Heiligabend vor dem Fernseher und seufzen. Nicht, weil Harald Schmidt wieder da ist. Auch nicht, weil eine Robbie Williams DVD unter dem Baum lag. Und ebenfalls nicht, weil Carrie und Konsorten jetzt in einer Endloswiederholungsschleife laufen und ihre neuesten Schuhkreationen vorführen. Nein, das wäre zwar schön, aber es ist etwas ganz anderes. Obwohl: Es hat ebenfalls mit Schuhen zu tun.

Denn da ist der Prinz ohne Namen, schlank und rank, mit einer schicken Siebziger-Jahre-Fönwelle. Nennen wir ihn mal Mr. Big. Er ist längst im heiratsfähigen Alter, weigert sich aber standhaft erwachsen zu werden. Statt sich ernsthaft seinen prinzlichen Verpflichtungen zu widmen, streift er lieber mit seinen Kumpels durch die Lande.
Und da ist Aschenbrödel, die sich die neuesten Klamotten für Jagd, Ball und Hochzeit aus drei Haselnüssen ziehen muss, weil sie irgendwo im Nirgendwo lebt, aber leider nicht in Manhatten. Nennen wir sie trotzdem Carrie. Carrie hat einen harten Job und daher recht wenig Zeit für die Liebe.


Also, Carrie und Mr. Big treffen sich bei ihrer liebsten Beschäftigung: der Jagd. Sie sehen sich, entdecken, dass sie den selben Humor haben. Sie verlieben sich. Aber wie es halt so ist: Die Kommunikation klappt irgendwie nicht. Handy, Telefon und Fax - alles noch nicht erfunden.
Daher fasst sich Carrie ein Herz und geht auf eine Party von Mr. Big. Es beginnt wieder ein Umeinanderschleichen, keiner sagt so recht, was er will. Carrie fühlt sich missverstanden und als Frau nicht ernst genommen. Mr. Big ist genervt, weil Carrie ihm Rätsel aufgibt, anstatt zu sagen, was Sache ist. Und dann macht Carrie, was sie am besten kann: Wegrennen.

Jetzt kommt wieder der Schuhtick von Carrie ins Spiel. Auf der Flucht verliert sie einen Tanzschuh, wahrscheinlich irgendein Verlegenheitskauf. Er kann nicht von Manolo Blahnik gewesen sein, sonst wäre sie zurückgelaufen um ihn wieder aufzusammeln. Vielleicht hat sie ihn auch absichtlich liegen lassen um Mr. Big einen guten Grund zu geben, sich mit ihr zu treffen. Frauen machen das ja ganz gern mal so.
Jedenfalls reagiert Mr. Big wie es zu erwarten war: Er rennt ihr hinterher, sucht, probiert es bei Anderen, ob denen der Schuh respektive die Einstellung passt. Und Carrie? Sie hat die ganze Zeit im Hintergrund gewartet, leise lächelnd. Denn sie wusste ganz genau: Der Typ kommt wieder. Mit ihrem Schuh. Weil er keiner anderen passt.

Deswegen sitzen Frauen an den Tagen nach Heiligabend vor dem Fernseher: Um endlich mal einer Frau zuzusehen, die es richtig macht. Die abwartet und den Mann auflaufen lässt. Daher nennen wir Carrie wieder in Aschenbrödel um, seufzen noch einmal leise - und wachen auf, denn es war alles nur ein Märchen.

... comment