Stalker.

Sein Gesicht kenne ich von irgendwoher, aber ich kann mich nicht erinnern. Er ist so einer, der überall in der Menge verschwindet, könnte ein freundlicher Zivildienstleistender sein genauso wie ein biederer Beamter. Nur, dass er sich einen kleinen Bart hat wachsen lassen, rötlich braun wie sein Haar, aber akkurat an den Seiten gestutzt. Was es nicht besser macht, denn genauso unmissverständlich geradeaus sind seine Worte: "Ich beobachte dich. Und irgendwann bringe ich dich um."

Angst ergreift mich in der dritten Etage eines Warenhauses an der Tauentzienstraße. Ich ignoriere seine Worte, wende mich ab und eile fort, weg von diesem Menschen, den ich kenne, aber nicht mehr weiß, woher. Waren wir zusammen in der Schule, Uni, bei einem gemeinsamen Arbeitgeber? Er ist jünger als ich, mindestens zehn Jahre und hat die Anarchie in den Augen, die wir damals alle hatten. Hungrig nach der Eindeutigkeit und Klarheit von Lebensentwürfen, nach der Ehrlichkeit von Systemen. Man lehnte sich dennoch nicht auf gegen Ungerechtigkeiten. So einer ist er, das weiß ich. Aber warum hat er sich mich ausgesucht als Ziel seines Hasses?

Ich fliehe, zwei, drei Häuser weiter ist die Redaktion, in der ich einmal gearbeitet habe. Er ist hinter mir, das spüre ich. Seine Augen in meinem Nacken, sie bohren sich in mein Gehirn.

Ehemalige Kollegen grüßen mich, aber ich habe keine Zeit, ich bin auf der Flucht, nur weg. Mein Herz schlägt wild. Da vorn, der Kollege aus der Sportredaktion, er war immer ein rauchender Ruhepol im hektischen Alltag. Wir nannten ihn den Fit-Bär, auch wenn sein Bauch doch anderes verriet. "Du musst mir helfen", stoße ich hervor, denn meine Lungen scheinen gerade noch genug Luft für diese vier Worte zu haben. Ohne Umstände zieht er mich in das Treppenhaus und antwortet: "Ich bringe dich in die Tiefgarage und fahre dich raus." Unten legt er einen Mantel über mich, die sich hilflos auf den Beifahrersitz legt. Ob er mich noch beobachtet?

Mein Handy! Heute ist man ortbar über sein kleines, privates Funksignal. Ich schalte sofort aus, bitte den Fit-Bären, mich zum nächsten Kaufhaus zu fahren, ich bräuchte ein neues Handy und ob ich kurz auf dem seinen meinen Freund anrufen könne, damit er aus meiner Wohnung die notwendigsten Dinge hole?

Ich verstecke mich in einer gesichtslosen Wohnung und warte auf die dritte Kontaktperson, eine die er nicht kennen kann. Über die er mir nicht folgen kann. Wie lange muss ich warten, bis ich aus diesem Albtraum erwachen darf?

4:36, und ich muss erstmal aufs Klo.

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