Im Auge des Sturms.

Um fünf vor neun, ich habe gerade meinen Ledermantel in den Schrank gehängt, klingelt das Telefon zum ersten Mal. Man habe, so wird mir mitgeteilt, bereits versucht mich zu erreichen, aber ich sei wohl noch nicht im Dienst gewesen. So ist es, erkläre ich, und dass ich zwar immer im Dienst sei (Versuch am frühen Morgen gute Laune vorzutäuschen), aber doch erst ab neun erreichbar. Dieser Anruf ist der erste in einer langen Reihe von Telefonaten, die am Tag der Festivaleröffnung bei mir auflaufen. Neben gefühlten einhundert E-Mails, selbstverständlich. Es gibt noch einige Orgasachen zu klären, die Banner für die Medienpartner müssen zur rechten Zeit am rechten Ort sein, auch wenn dieser rund 30 Kilometer in der Pampa liegt und etliche Zufahrtsstraßen gesperrt sind. Und, der größte Batzen für diesen Tag, die Presse muss eingenordet werden, die Preisträgerin gut zu behandeln und das richtige zu schreiben. Pressemitteilungen mit Sperrfrist müssen raus, in aller Eile bearbeitete Fotos. Dazu kommt am Abend der Preisverleihung noch eine Live-Schaltung.

Die Preisträgerin ist sehr nett, jung, hat aber schon zwei Studiengänge abgeschlossen und nimmt noch nicht einmal den Hagelsturm übel, der uns auf dem Weg zum ersten Interview im Sender ereilt. Immerhin, nach fünf Einzelinterviews mit den unterschiedlichsten Medien ist sie nach eigener Einschätzung fit für die Preisverleihung. Dann darf sie sich endlich ein bisschen ausruhen, die Solistengarderobe steht bereit, und ich begebe mich ins Auge des Sturms.

Genau eineinhalb Stunden spüre ich, wie alles um mich herum wirbelt, Konzepte zerrissen werden, Abläufe umgeworfen, technische Pannen behoben, gearbeitet wird. Mein Schreibtisch steht ruhig, das Telefon klingelt nicht, endlich Zeit für andere Dinge. Bis mich um kurz nach sechs die ersten Windböen erfassen, mitreißen in den Strudel der Ereignisse, befeuert von einer Dynamik, die nicht nur dem Zeitdiktat unterworfen ist, sondern von den Menschen getragen wird, die täglich mit mir zusammenarbeiten. Ein Rädchen greift ins andere, wenn mal eines kurzfristig aussetzt, ist ein Notfallmechanismus da damit kein Unglück geschieht.

Am Ende des Abends hat sich der Sturm gelegt, einiges ist in Fetzen gegangen (darunter meine kleine Seidenblume, die sich so neckisch ans Abendoutfit schmiegte), vieles heil geblieben, und der Kollege, der sonst nur etwas brummbärig an mir vorbei sieht, klopft mir auf die Schulter und knurrt: Siehste, et hat ja immer noch jot jegange.

... comment