30. September 1989, 18.58 Uhr: Außenminister Genscher eröffnet den mittlerweile 5.000 Flüchtlungen in der Botschaft in Prag, dass sie in die Bundesrepublik ausreisen können.
Am 30. September vor 20 Jahren, es war ein Samstag, saß ich mit meinen Eltern beim Abendessen, wir hatten uns ausnahmsweise im Wohnzimmer hingesetzt. Ich wollte mich später noch mit meiner Freundin S. treffen, um nach Frankfurt (Main) ins Omen zu fahren. Dort war gerade eine neue Musikrichtung in, Techno nannten die Leute das dort, und es verhieß mehr als die Dorfdiskohitparade, es roch nach Freiheit für mich, die gerade 18-Jährige.
Meine Mutter hatte Tomatensalat gemacht, genau so, wie ich ihn mag, mit vielen Zwiebeln, Essig, Öl und Petersilie. Balsamico kannten wir damals noch nicht. Mein Stiefvater schaltete den Fernseher ein, und irgendwann zwischen Camenbert und Cervelatwurst kamen da diese Bilder von Genscher, dessen Rede in unbeschreiblichem Jubel der Menschen unterging. Wir schwiegen. Und schauten. Mir wurde kalt, wie mir auch heute noch kalt wird, wenn ich diese Bilder sehe. Damals schossen mir noch nicht die Tränen in die Augen, wie heute, denn die Tragweite dieser und vieler folgender Entscheidungen einer wie ich im Nachhinein finde, sehr mutigen Politik vieler, vormals verfeindeter Staaten, konnte sich mir damals nicht erschließen.
Natürlich haben S. und ich die Nacht trotzdem mit dieser neuen Musik verbracht, schwitzend, flirtend und tanzend, mit einem Gefühl, wieder etwas erwachsener zu sein und ziemlich in und frei. Was Freiheit tatsächlich in einem ganz ursprünglichen, physischen Sinn bedeutet, konnten wir, kann ich auch heute nicht ganz fühlen, denn ich war immer frei. Damals vor 20 Jahren haben es Andere gefühlt und fühlen es hoffentlich noch.
... comment