Memoratorium.

Sie saß am liebsten ganz links auf dem Sofa, den Arm auf der Lehne ausgestreckt, den Gehstock immer in Griffweite. Mit dem schubste sie gern mal die Hunde von ihren Füßen, wenn sie ihr zu viel wurden oder infernalisch pupsten. Besonders Stella, die schwarze Labradorhündin, war Meisterin im Verbreiten schlechter Gerüche.

Vor allem an Weihnachten, wenn die Hunde, drei an der Zahl, eine Extra-Ration frisches Herz verputzt hatten, roch es mitunter etwas streng im großen Wohnzimmer, ihrem Salon, wie sie nicht müde wurde zu betonen. Dort stand auch die stets sehr große und ausladende Nordmanntanne in einer Ecke, die sonst dem ererbten Rokoko-Sessel vorbehalten war und von dem aus man über den Main bis fast nach Offenbach blicken konnte.

Kein Lametta, forderte sie immer von meiner Großmutter, da ist Blei drin! Ihre Tochter, stetige Einmischung der Familienmatriarchin in Privat- und Firmenangelegenheiten gewohnt, nickte duldsam und hängte trotzdem glitzernde Fäden an den Baum. Sie hätte es ohnehin nicht mehr sehen können, denn nach zwei Schlaganfällen und grauem Star waren die Augen milchig geworden, das Begreifen der Umweld auf das Notwendige beschränkt. Nur Lametta, das bitte solle es denn niemals, nie in ihrem Hause geben.

Von ihr stammte der große Kaufmannsladen vom Beginn des vergangenen Jahrhunderts, mit dem sie selbst gespielt hatte, damals im Kaiserreich. 1899 geboren, am 1. Januar, nun fast ein Jahrhundert alt und mit Augen die viel gesehen hatten, aber nun langsam erloschen wie auch der Lebenswille. Ein letztes Weihnachten noch, 1990, dann wolle sie abtreten, wie sie uns versicherte, während einigen Familienmitgliedern der Christstollen im Halse stecken blieb, andere widerum bereits Berechnungen des Verkaufspreises des zu erwartenden Erbteils anstellten. Es war trotzdem ein schönes Fest, obwohl allen bewusst war, dass es wohl das letzte Weihnachten für sie sein würde und den Untergang der gemeinsamen Familienfeste bedeutete.

Gestorben ist sie dann in einer klirrend kalten Januarnacht. Draußen mag es silbern überglänzte Wiesen gegeben haben, so silberfarben wie ihr Haar. Heute Nacht kam sie mich kurz besuchen. Stella an ihrer Seite, saß sie in ihrem Rokokosessel und lächelte mich an: Kein Lametta, hörst du?

Nein, Omama, kein Lametta.

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Steffi, Deine Geschichte gefällt mir.
Gruß
Jürgen

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Schön......

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