Schon zu Kaisers Zeiten fuhren die Herrschaften in die Großstadt, wenn es darum ging, sich eine passende Abendgarderobe zu kaufen. Auch das Wortschnittchen entschied sich nach Sichtung des hiesigen Angebots den Weg in die große Stadt einzuschlagen. Der Ausstatter des Vertrauens warb bereits kurz hinter dem Eingangsbereich mit einem Plakat "Vera Mont Abendkleider Sales". Jawoll, schrie das durch die bisherigen Erlebnisse arg gedemütigte Herz des Wortschnittchens und flugs wurde die 3. Etage angesteuert.
Dort: ein Traum in Chiffon, Seide, Samt und Satin. Wohlklingende Herstellernamen, ordentlich aufgereiht in Cocktail, Kombination und ganz, ganz großer Auftritt. Den ganz, ganz großen Auftritt hebe ich mir für später auf, denke ich, und auf Hochzeiten gebührt dieser ohnehin der Braut. Also eher die schlicht-elegante Variante. Der Gentleman, stilbewusster Berater in allen Lebenslagen, folgt auf dem Fuße, während ich mir in Windeseile Kleid auf Kleid raffe und ihm in den Arm drücke. Er ist wahrlich arg leidensfähig, sei an dieser Stelle noch einmal betont.
In der Anprobesektion liegen bereits einige delirierende Begleitmänner auf den Männerbegleitsesseln und stöhnen gelegentlich ein Hmm, gut oder ein das andere war besser. Dann und wann fällt einer bewusstlos vom Sessel und wird von der Damenbekleidungsfachverkäuferin wortlos weggeräumt.
Das Rote, Lange aus Satin mit den Chiffonflügelchen wird als erstes anprobiert. Als ich aus der Umkleidekabine trete, kommentiert der Gentleman: "Hm. Note 2." Übersetzt: Nee, geht nicht, guck weiter. Eine junge Frau, offenbar bereits mit den Nerven am Ende, da ihrerseits einer Freundin mit etwas kompliziertem Geschmack bei der Auswahl assistierend, pflichtet ihm bei: "Nicht ganz optimal." So eine Kleideranprobe reizt anscheinend zum Widerspruch.
Dann werden in rascher Folge ein Petticoat-Kleidchen in mittelrotrosa (Hilfe, ich sehe aus wie Peggy Sue!), ein braunes Holderneck ("Die Schleife da hinten im Nacken geht gar nicht!" - "Schatz, die Schleife kann man auch flach binden."), ein braunes Chiffon-Ökotussi-Fähnchen (abgelehnt) und ein grünliches Etuikleid ("Schatz, könntest du das eine Größe größer suchen...?") probiert. Die Nerven liegen am Boden, der Gentleman hat sich den weiteren Herren angeschlossen und deliriert. Die junge Dame berät eifrig die umherirrenden weinenden Frauen in zu engen Ballkleidern.
Das letzte Kleid nun. Eigentlich wollte ich ja lang. Und bitte auch eines mit Ärmeln, dem winterlichen Winkfett geschuldet. Aber gut, das hat schließlich der Gentleman ausgesucht und probieren kann man es ja mal. Als ich aus der Kabine trete, wird Beifall geklatscht. Man huldigt mir, die Herren erwachen aus dem Delirium, und die junge Dame beglückwünscht mich zu meiner Traumfigur und dem wunderbaren Kleid. Am Ausgang drückt man mir einen duftenden Rosenstrauß in die Hand.
Wir fuhren dann wieder nach Hause in die Provinz. Der nächste Ball, die nächste Hochzeit, der nächste Empfang, die sechsgängigen Menüs können kommen. Ich habe endlich mein Gelegenheitskleid.
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