DaumenHoch.

"Kind, steig ja nicht zu Fremden ins Auto!" Die stetig wiederholte Mahnung zeigte Wirkung. Einmal, aber auch wirklich nur ein einziges Mal stieg ich zu einem Wildfremden ins Auto. Den letzten Bus verpasst, die Freunde schon längst vor der Disco von ihren Eltern abgeholt, stand ich in einer mittelwarmen Aprilnacht an der Hauptstraße eines mittelhessischen Dörfchens, während der Discobesitzer bereits anfing, die leeren Getränkekisten ins Gebäude zu räumen, um die Überreste der Nacht zu entsorgen. Ich, ebenfalls ein Überrest der Nacht, gerade volljährig geworden, trippelte von einem Bein aufs andere und überlegte. Taxi? Um halb fünf in der Früh nicht wirklich erschwinglich für eine Abiturientin. Eltern? Muss nicht. Nicht, nachdem man endlich, vermeintlich erwachsen war. Freunde? Weg. Freund? Auch. Ex halt. Und jetzt?

Halb fünf Uhr morgens ist nicht wirklich die Idealzeit, um über Alternativen zu den eben genannten nachzudenken. Und so verfiel ich auf die einzige verbliebene Möglichkeit, in ländlichen Gebieten von A nach B zu kommen. Ich hielt den Daumen hoch.

Glücklicherweise stand ich in meinem kurzen Röckchen, meiner Spencerjacke, den geringelten Overknees Legginsträger, go home!) und Doc Martens nicht allzu lange am Straßenrand. Und glücklicherweise reagierte auf meinen hoch gehaltenen Daumen kein geiler, alter frühmorgendlich zur Schicht fahrender Sack, sondern eine freundliche Krankenschwester, die sich meiner erbarmte. "Steig ein, Mädchen", sagte sie, "aber versprich mir, das nächste Mal eine richtige Fahrgelegenheit zu suchen." So kam ich nach Hause.

Warum ich diese Geschichte wieder aufwärme? Heute bin ich das erste Mal seit bald zwanzig Jahren wieder per Anhalter gefahren. Dem BVG-Streik sei Dank. Und wieder war es eine freundliche Frau, die ihre Autotür öffnete. "Einen Mann hätte ich nicht mitgenommen." "Zu einem Mann wäre ich auch nicht eingestiegen." Sie lacht. Ich lache. Und für einen Moment empfinde ich das Leben als sehr reich. Daumen hoch.

... comment