Modernes Gastarbeitertum

Ilka hat es schon getan. Tom, Christine, Olli und Juliane auch. Und wortschnittchen wird es bald tun. Alle haben eines gemeinsam: Sie sind moderne Gastarbeiter. Nach dem Studium, der Dissertation oder einfach, weil der Chef ihnen mit einem traurigen Augenaufschlag ein "Wir sehen uns leider gezwungen, und jetzt zweifeln Sie bitte nicht an Ihrer Qualifikation, das hat gar nichts, nein, es sind doch betriebliche Gründe, Sie verstehen?" einen schönen Feierabend wünschte.
Versuche, in ihrer Lieblingsstadt eine feste Anstellung zu finden, waren gnadenlos gescheitert. Bei mehr als 20 Prozent Arbeitslosigkeit kein Wunder. Buxtehude, Aurich, Erlangen kamen ins Gespräch. Wissenswertes über Erlangen, gibt es nicht. Nur die Erkenntnis, dass man dort auch nicht gewollt ist.

Zweifel an der eigenen Persönlichkeit tauchen auf, dem Lebensweg, der bisher immer relativ stringent erschien. Hätte ich damals nicht doch noch mehr Arbeit in den Abschluss investieren können? Warum, verdammt, habe ich mich für ein so unsicheres Berufsbild entschieden, obwohl mein Abschluss doch zu so vielem befähigt... (*lach*)
"Wenn es mit dem Studium nicht klappt, dann krieg ich eben Kinder". Hatte ich mal in der Abizeitung über mich lesen müssen. Nun, mit dem einen Studium klappte es nicht, dafür mit dem anderen. Aber nicht mit den Männern. Sie kreuzten den Weg, gingen mit bis zur nächsten Gabelung und man entschied sich, gegenläufige Richtungen einzuschlagen. Dann also keine Kinder.

Was macht man in einer solchen Situation. Nicht aus akutem Entdeckerdrang in die Ferne zu ziehen, sondern aus reiner wirtschaftlicher und geistiger Notwendigkeit hätte ich mir nicht träumen lassen. Obwohl es zu allen Zeiten solche Entscheidungszwänge gab. Meine Vorfahren, geboren und aufgewachsen auf einem idyllischen Eifelhöfchen, versuchten ihr Glück im für damalige Zeiten - man schrieb 1872 und meine UrUrUrgroßmutter trug auf ihrem Hochzeitsbild eine weite Krinoline und eine strenge, kaiserliche Miene - unglaublich weiten Amerika. Christine Kolb und ihr Mann ließen alles hinter sich. Sie glaubten an eine bessere Existenz und gründeten eine Holzfabrik. Schicksalsschläge: der Brand, die drei Kinder waren noch im Haus. Das Sägewerk, das Vermögen, die Liebsten - verloren, in Asche zerfallen. Christine kehrte zurück. An ihrer Seite ein gebrochener Mann, der halbblind nur noch ein Schatten des lebenslustigen Menschen war, der sich gesagt hatte: Hier haben wir nichts, dort schaffen wir's.

Ich danke meiner Vorfahrin, dass sie nicht aufgegeben hat und zurück kam. Ihr Mut und ihre Zähigkeit weisen mir den Weg. Und zur Not gibt es ja immer noch das Internet.

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Das Blut der Vorfahren
in den Adern macht unmögliches unmöglich - nur Mut.

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