Und weiter geht es mit Familiengeschichten, die nach dem Verschwinden ihrer Protagonisten langsam in Vergessenheit geraten. Weiter also mit den glücklichen Witwen.
„Katinka“, so nannte mich meine Mutter früher, denn es war die Koseform des Namens, dem sich mein Vater bei meiner Taufe verweigert hatte, denn: „Diese Zarin hat soviel Blut vergossen. Und die Dame da aus deiner Familie war auch nicht ganz koscher.“ Nun möchte ich nicht die Geschichtskenntnisse meines Vaters in Zweifel ziehen, aber sein Zweit- und Drittname gehen auf diverse Kaiser zurück, die etliche Schützengräben mit Toten füllten. So viel zum Thema Namensfindung.
„Katinka“, also Großtante Katharina, nach der meine Mutter mich gern genannt hätte, war die Gelehrte. Als eine der ersten Frauen der Familie hatte sie in den frühen dreißiger Jahren studiert, und das auch noch Philosophie und Jura. Gemeinsam mit ihrem älteren Bruder teilte sie sich eine winzige Studenten-Butze in Heidelberg und entwickelte sich zu einer eifrigen Verehrerin ihres Philosophieprofessors, der sie umgehend und noch vor Abschluss des Studiums heiratete.
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Katinka entschied sich, dass es nun genug sei mit den Männern, schnitt sich die langen, schwarzen Haare radikal ab und war fortan das, was ihre Schwestern nachsichtig als „vom anderen Ufer“ betitelten. Sie und ihre Dauergeliebte zogen nach Wien, lachten gern und viel, rauchten dicke Zigarillos und umrandeten die großen Augen mit viel Schminke, so dass sie noch größer wirkten. Sie hörten auf zu lachen, als ein übereifriger Sittenwächter die „Mannsweiber“ bei der Polizei verpfiff. Vielleicht sollte ich anfügen, dass im Gegensatz zu Deutschland in Österreich auch die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Frauen gesetzlich geahndet wurde.
Katinka und Gretchen verbrachten eine Nacht in sehr unangenehmer Gesellschaft und wenn ich mich recht erinnere, fiel in späteren Jahren einmal das Wort „Vergewaltigung“. Beweise dafür gab es nie.
Katinka jedenfalls hatte den Glauben an das Rechtssystem verloren, schnappte sich Gretchen und kehrte ihrem Heimatland den Rücken. Sie wohnte bis zu ihrem Tod irgendwann in den 60ern in Zürich. Einzig die halbjährlichen Schokoladelieferungen an meine Großmutter riefen sie dann und wann in Erinnerung.
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