Witwenglück #2.

Nun, die werte Großtante Mimi war nicht das einzige der Weibsbilder in meiner Familie, das den Gatten überlebte...

Da gab es unter den fünf Schwestern meine Großtante Josefine, genannt „Finny“. Sie war immer das Sorgenkind der Familie gewesen: Zu früh geboren, mit zarten Lungen und einer ebensolchen Seele gesegnet, kam sie nicht recht mit dem Leben zurande.
Ein Mann musste her, als die durchscheinende Brünette mit dem schüchternen Lächeln volljährig wurde und weder einen Beruf noch einen nennenswerten Anwärter auf die kleine Hand vorweisen konnte. Da sie ein wenig tüdelig war, und bisweilen vergessen konnte, dass da ein Topf auf dem Herd schmorte, suchte die Familie verzweifelt nach einem männlichen Abnehmer.

Der fand sich in einem Abenteurer erster Klasse: Joseph. Der Name war wohl in den Augen meines Urgroßvaters das Passendste an ihm, denn „Joe“ ging einem äußerst übel beleumundetem Btoterwerb nach: Er war Journalist. Und zwar nicht irgendeiner, sondern auch noch ein stets am Rande der Armut agierender Reisejournalist.
Wie sollte denn, bitte schön, die zarte, stets ein wenig kränkelnde Finny den Unbilden der Reisen in so exotische Länder wie Borneo oder Japan oder gar Argentinien (auch, wenn es dort gute, alte deutsche Freunde zu besuchen galt) gewachsen sein? Joe wischte alle Einwände beiseite und sagte auf gut hamburgisch: „Die Lütte s-teht das durch. Die ist s-tark.“

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Und die Lütte brachte von den gemeinsamen Reisen nicht nur eine fortschreitend gute Gesundheit sondern auch viele Geschenke für ihre Lieblingsnichte, meine Mutter, mit. Zarte Fächer aus Fernost, farbenprächtige Saris und – in meinen Besitz übergegangen – ein wunderbares Elfenbeinarmband.

Joe verwöhnte seine Finny im gleichen Maß wie er ihr Durchhaltevermögen mobilisierte und ich glaube, dies war das Geheimrezept ihrer Ehe. Endlich einmal hatte jemand Zutrauen zur unsicheren Finny gefasst. Sie blühte auf, trug die kecksten Kostüme und begann sogar mit einer Fortbildung zur Sekretärin. Dies befähigte sie, in späteren Jahren alle Manuskripte ihres Mannes zu tippen und in Windeseile seine Reden zu stenographieren, denn Joe, der sich mittlerweile einen soliden Redakteursposten in Kaiserslautern beschafft hatte, verlor von Tag zu Tag mehr das Augenlicht, Zeichen einer fortschreitenden Zuckerkrankheit.

Das letzte Mal, als ich ihn sah, tastete er mit seinen Pranken, die schon die Halteseile einer Bergexpedition in Nepal gespürt hatten, nach meinem Gesicht und sagte: „Deine Nase ist wie die deiner Mutter.“ Da wusste ich, dass er endgültig seine Sinne verlieren würde. Denn wenn meine Mutter und mich eines unterscheidet, ist es unser Riechorgan.

Joe ließ seine Finny bald darauf allein. Und sie, die unglückliche kleine Frau, wurde wieder zu der, die sie einst gewesen war. Rasch verlor sie alle Selbstständigkeit und zog sich mehr und mehr in ihre eigene Welt zurück. Alzheimer, so die Diagnose der Ärzte. Gebrochenes Herz, glaube ich. So wurde sie wohl die einzige unglückliche Witwe der Familie. Irgendwie aus der Art geschlagen.

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Das versüßt einem doch wieder den Morgen des Arbeitstages. Ihre Geschichten gehören gebunden und in die Buchhandlungen unseres Vertrauens.

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Familiäre Texte wären auch mal ein wunderbares Thema für eine Bloglesung mit teils bekanntem Personal.

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