Bloglesung.

Überstanden. Und genossen. Dank für die Gastfreundschaft des "Lass uns Freunde bleiben", Dank an die perfekten Mitstreiter Modeste, Kathleen und Burnston, Don Dahlmann, Don Alphonso und an das wunderbare Auditorium, das die Lesung hoffentlich ebenso goutierte wie ich.

Wortschnittchens gelesene Texte (leicht veränderte Form):

Verkettet

Mord und Kotelett

Diabolus ex machina

Und ganz tolle Bilder der Lesung hat Frau Gaga gemacht.

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Verkettet.
Als wir das Kettenhemd unserer Ironie fallen lassen, und mit jedem Stoß unserer Körper dessen Glieder mehr auseinander reißen, bis zum Schluss nicht mehr übrig bleibt als ein fadenscheiniger Schutzwall aus Eisen, hinter dem wir uns versteckt halten, als alle Wut aus uns hinaus ejakuliert ist, stehen wir nackt voreinander. So nackt. Verletzlich wie kleine Kinder, die noch keine Doktorspiele kennen, dafür die Angst vor der Dunkelheit. Wir klammern uns aneinander, bedecken unsere Gesichter mit Küssen und haben für einige wenige Momente das gefunden, was wir suchten.

„Das zwischen uns kann nicht funktionieren“, flüsterst du und ich weiß, dass du Recht hast. Wir sind zwei Hälften eines Ganzen, die jede so gut alleine existieren kann, dass sie die Existenz der anderen schon vergessen hat. Nur ganz selten noch durchleidet sie diesen Höllenschmerz, wenn sie auf die andere Hälfte trifft.

Wir haben uns gut arrangiert. Mit dem Leben, dem Leiden und der Antwort auf jene Frage, ob denn da mehr sein könne. So gut, dass wir uns vor Angst in die Hose scheißen, wenn das Schicksal uns die andere Hälfte auf den Teller schiebt. Iss oder stirb, heißt es dann und wir sind schon satt, bevor wir auch nur gekostet haben. Denn wenn wir uns festlegen würden, müssten wir auch den kostbar geschmückten Kelch neben dem Teller bis zur Neige leeren. Auf ihm steht graviert: Beziehung.

Nein, da bleiben wir doch lieber hungrig und stopfen in gelegentlichen Fressattacken alles in uns hinein, was das Leben zu bieten hat. So lange bis wir kotzen.

Irgendwann, wenn wir längst zu Staub zerfallen sind, wird jemand die rostigen Überreste unserer Kettenhemden ausgraben und ironisch lächeln.

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Mord und Kotelett.
Ich esse gern.
Ein furchtbares Geschrei schallt über den Hof. Wir drücken uns ängstlich an die Wand des Schuppens. Nur nicht im Weg stehen, nicht auffallen.
Um die Ecke geschieht etwas, es poltert, ein Blecheimer fällt um. So hört es sich jedenfalls an.
Und da kommt das Schwein auch schon angaloppiert, die Gefahr, immer mitten durch den Schnee, den Knecht im Schlepptau, der wie eine Lum-penpuppe am Strick hin und her geschleudert wird. Es quiekt schrill, schlägt Haken, weiß genau, dass eine nicht definierte Bedrohung im Schuppen wartet. Wie oft hat es schon Geschwister verschwinden sehen, nachdem sie gemeinsam mit gutem Futter aufgezogen und langsam auf das richtige Schlachtgewicht gebracht wurden. Ein gutes halbes Jahr braucht so ein Ferkel, bis es ordentlich durchwachsenen Speck hat und reif ist. Reif für das Tötungsgerät.

Das liegt sauber und ordentlich aufgereiht neben diversen Gerätschaften im gekachelten Schuppen. Harmlos sieht so ein Bolzenschussgerät aus, wie eine solide, sehr große Spritze ganz aus Metall. Der Bauer hat uns al-les erklärt, seinen schmutzig-grauen Schnurrbart zwirbelnd und schon am frühen Vormittag ein Schnäpschen servierend.
„Jo, die Lütte kann doch einen, das schadet nich’. Guck dir den Jocke an, der is damit groß geworden“, sagt er zu mir gerichtet und weist auf den Knecht. Der grinst debil. Zu viel der Aufmerksamkeit für den Moment und vielleicht auch zu viele Schnäpschen während der Adoleszenz.

Jocke hat sich trotzdem verdient gemacht, denn er war es, der ‚unser’ Schwein gemästet hat, irgendwo im niedersächsischen Nirgendwo. Wir sind nur Besteller der Koteletts, Schnitzel und Würste. Dass wir auch Her-steller sind, hat uns das Familienoberhaupt erst heute Morgen gesagt: „Vor dem Essen müssen wir es tot machen. Und vor dem Essen kommt die Arbeit.“ Adieu, gemütlicher Samstags-Einkaufsbummel.

Das wilde Gespann kommt immer näher, Bauer und Vater rennen hinter-her, mit roten Wangen von Schnaps und Kälte. Zielgenau bugsiert Jocke das laut quiekende Tier in Richtung Schuppen. Dunkel, warm - das Schwein reagiert und ist drin. Verdutzt hält es an. Sieht sich um, schnup-pert. Jocke wirft sich über seinen Rücken, der Bauer hält die Vorderpfoten fest. Wild wehrt es sich, schreit ohrenbetäubend.

Das Familienoberhaupt greift zum Bolzenschussgerät. „Komm her, wir machen das zusammen“, schreit er mir zu. Ich drücke mich durch den Eingang und am schlingernden Trio Schwein, Bauer und Jocke vorbei. Gemeinsam halten wir das schwere Kaliber auf die Stirnmitte, gemeinsam setzen wir an. Gemeinsam ziehen wir durch.
Schuss. Ein gewaltiger Rückschlag, das Schwein bricht auf der Stelle zu-sammen, nachzuckend, keuchend, bis auch der letzte Atemzug verklungen ist. Ich habe getötet. Mörderin. Ich fühle mich sehr kaltblütig, sehr verwe-gen, sehr erwachsen. Wenn der Tod kommt, ist er nahe, intensiv. Das Schwein musste sterben. Ein Mantra.

Wir brühen das tote Tier mit heißem Wasser, entborsten es mit scharfkan-tiger Metallglocke, teilen und filetieren und spülen Därme, auf dass nichts an das Wesen erinnert, welches noch vor zwanzig Minuten atmete und sich mit aller Kraft an das Leben klammerte.
Ich rühre Blut, damit es nicht gerinnt. So wird die Blutwurst zart, sagt der Bauer.
Später sind wir in dichten Dampf eingehüllt, aromatische Gewürze werden dem Fleischbrät zugefügt und alles entweder in Därme oder in Blechdosen gefüllt. Gekocht, sterilisert, ordentlich verpackt. So sehen Fleisch und Wurst aus, wenn wir sie vom Bio-Bauern kaufen. Meine Mutter arbeitet schweigend Hand in Hand mit der früh gealterten Bäuerin.

Das Schwein musste sterben, sagt sie, als ich später weinend in meinem Bett liege und den Mord beklage, und streichelt mir über das Haar. „Denk an die Koteletts, die du so gern ist.“
Ich frage mich, warum ich nie Vegetarierin wurde. Eigentlich bin das Schwein. Aber sie hat Recht. Ich esse einfach zu gern Kotelett.

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Diabolus ex machina.
Kurz vor Braunschweig fährt Martin rechts auf den Standstreifen. „Da ist was nicht in Ordnung“, sagt er und ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel, dass er diesmal Unrecht hat, denn die Karre hat mich mehr Nerven und Geld gekostet als jedes andere Auto in meinem Besitz bisher. „Mit dem Ford fort, mit dem Zug zurück“ – ich war gewarnt worden.

Es qualmt und dampft. Martin beugt sich über den offenen Motorraum und murmelt etwas Unverständliches. Ich versuche mein Bestes zur Unterstützung: Ich stehe dekorativ daneben und nicke dann und wann zustimmend. Es hilft nicht wirklich. „Scheiße. Ich geh dann mal zur Notrufsäule“, sagt Martin und stapft davon.
Frierend bleibe ich zurück. Der niedersächsische Wind pfeift mir um die Ohren und wer die Gegend mal bei Tageslicht gesehen hat, möchte sie nie bei Nacht sehen. Niemandsland, gottverlassenes. Norddeutsches Plattland. Kartoffelfresserland. Wer will hier schon wohnen?

„Ich nicht“, knurrt es neben mir.
„Wer?“, frage ich verdutzt und sehe mich um. Ein Mini-Teufel sitzt im Qualm des Motorblocks und wärmt sich die Hände.
„Äh“, sage ich.
„Tach auch“, antwortet er. „Wohl `n Kühlerschaden, was.“

Ich sehe mich ein wenig beunruhigt um. Wo bleibt Martin? Der sollte doch längst hier sein. Immer lässt er mich allein und fremde Männer – oder Teufel, wie man’s nimmt – sprechen mich an und nerven.
„Sag mal“, hebe ich an, „wenn du schon so genau weißt, woran’s liegt, kann es sein, dass du auch dran Schuld bist?“
„Klar. Das war ja so was von klar: Immer habe ich die Schuld, wenn irgendwas schief geht. Nur, weil du eine Schrottkarre von Auto gekauft hast. Beduppen hast du dich lassen. Wer ist so blöd, dass er einen vierzehn Jahre alten Ford kauft?“

„Ist ja schon gut. Was willst du eigentlich hier?“, will ich wissen.
„Ich weiß nicht, irgendwas muss mit dem Fahrstuhl nicht funktioniert haben. Ich habe den obersten Knopf gedrückt, weil ich eine Verabredung mit einer äußerst wichtigen Persönlichkeit in Berlin habe.“ Er wiegt bedeutungsvoll den Kopf. „Und wo bin ich gelandet? In der Nähe von Braunschweig. Schöner Mist.“

„Ist doch nicht so schlimm“, versuche ich zu trösten. „Wir fahren ja nach Berlin weiter. Kannst mitkommen, wenn du willst. Hinten ist noch Platz.“
„Das ist nett“, antwortet er erfreut. „Dann fahrt aber mal wie der Teufel, ich hab’s eilig.“ Er kichert über seinen lahmen Scherz.

Ich sehe ihn mir mal genauer an. So übel, wie der Teufel immer beschrieben wird, schaut er gar nicht aus. Ein bisschen runzlig, ein wenig kurz geraten und den Schwanz hatte ich mir auch irgendwie imposanter vorgestellt. Aber nett, diese Hörnchen, wie sie so aus dem dichten Haar ragen.

Plötzlich macht es Puff und der Teufel ist weg. Nur noch eine kleine Schwefelgelbe Dampfwolke verweht langsam. Schritte.
„Wir haben Glück“, sagt Martin, „der ADAC ist gleich da. Die waren noch bei einem anderen Pannenauto in der Nähe.“
Fünf Minuten später ist einer der „Gelben Engel“ vor Ort und schraubt ein bisschen im Motor herum. Grummelnd zieht der Mechaniker eine Mutter an. „Tja“, sagt er, „der Teufel steckt immer im Detail.“

Mir ist, als hörte ich ein Aufseufzen. Den Teufel habe ich nie wieder gesehen. Schade. Ich bin mir sicher, der gelbe Engel hat ihn vertrieben.

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*Applausimausi*
Watt macht der Kopp?

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Kompliment, Frau Wortschnittchen. Einwandfreie Performance. Wie ein alter Hase, Häsin, oder so.

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Schöne Geschichten, wunderbar präsentiert!
Sind weitere Auftritte geplant?

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Sehr schön war´s, Wortschnittchen. Es sollte mehr Texte geben, in denen Bolzenschussgeräte vorkommen.

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Vielen Dank (knickst)! Mir hat's auch sehr viel Spaß gemacht.
Und, Bee: Mehr Bolzenschussgeräte. Aber nur, wenn Sie Ihrem netten Begleiter ausrichten, dass ich ihn wirklich für Parka Lewis hielt. Ich wollte ihn keinesfalls angraben (wollte ich natürlich doch, aber wie immer ging das mächtig in die Hose, anyhow).

edit: Ich bin nicht klein! ;)

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Bei mir taucht das Wort Bolzenschußgerät dreimal auf. Aber immer nur in so jammrigen Zusammenhängen, das macht ja keinen Spaß.

Ms. Wortschnittchen, Sie haben natürlich Größe. ;-)

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@wortschnittchen
Organisiere Volume II und ich bringe Niels mit. Denn natürlich ist Dein (und das einer gewissen anderen Bloggerin) am lieben Niels mir nicht entgangen...
@kid
Wirklich? Ich lese doch sonst so gründlich aus Ihnen, das ist mir entgangen.

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@Bee: Volume II. Wird gemacht.
Aber ich hatte doch gar kein Interesse an Niels, sondern wollte nur Parka Lewis sprechen... Was die andere Bloggerin betrifft: Zeigen Sie sie mir, ich fordere sie sofort zum Blog-Duell!!

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Ich war ja so erleichtert als Sie ohne sichtbare Blessuren gestern auftauchten. Aber jetzt kurieren Sie sich ordentlich aus, ja?

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Frau Wortschnittchen, der Link zur Frau Kathleen funktioniert nichtl

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Yep:
Es sollte wohl antville statt blogger heißen.

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Danke! Korrigiert.

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Habe Ihrer Geschichte
mit dem Kettenhemd übrigens ganz verzückt am Rechner gelauscht. Hätte natürlich lieber live miterlebt, wie Sie die Sau durchs Bloggersdorf treiben. ;-)

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Kommt noch, kommt noch, wenn good ol' Don Fonsi Zeit hat. Warten Sie ab, beim Bolzenschussabenteuer kam ich richtig in Fahrt!
Ich stehe meiner eigenen Stimme ja recht zwiespältig gegenüber. Mausig, piepsig klingt sie in meinen Ohren. Mehr Whiskey, sage ich.
Zumal ich nun wirklich nicht weiß, woher ich einen (angeblich) bayerischen Zungenschlag haben sollte...

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Die eigene Stimme zu hören
vom Band oder sonstwie elektroakustisch ist schon allein deswegen ein Graus, weil die gewohnten Resonanzfrequenzen fehlen. Wenn man spricht, wird der Schall ja nicht nur über die Außenluft ins Ohr transportiert sondern auch über Körper, Knochen etc.

Bayerisch habe ich allenfalls beim Kollegen Burnster rausgehört...

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