Bombay. Ueber vermeintliche Muellhaufen
und den Instinkt fuer Gefahr

I. Muell und Menschen

Hin und wieder stoesst man in dieser 16.8 Millionen Einwohner zaehlenden Stadt auf Hindernisse, die klar machen, dass man es mit einem Staat zu tun hat, der zwar demokratische Zuege traegt, aber trotzdem einer breiten Bevoelkerungsschicht keinerlei Rechte und noch weniger Lebenschancen einraeumt.

Geht man durch die Strassen Bombays, so sollte man schon achten, wohin man seine Fuesse setzt. Es koennte nicht nur sein, dass man in ausgespuckte Bethelnuss (Rauschmittel Nummer eins fuer Arme, da es Hungergefuehle unterdrueckt) oder sonstigen Unrat tritt, sondern auch ueber einen vermeintlichen Muellhaufen besonderer Art faellt.
Besonders morgens vor 10 Uhr liegen viele parallele Stoffhaufen auf den Gehwegen, daneben Hunde und Unrat. Schaut man genauer hin, entpuppen sich die Buendel als Menschen. Ganze Familien mitsamt zwei, drei Kindern schlafen den Schlaf der Armen. Sie arbeiten als Lumpen- und Muellsammler oder betteln sich ein paar Rupies zusammen. Sie sind von der Gesellschaft ausgestossen, gehoeren der untersten Stufe im indieschen Kastensystem an - neben Leprakranken und sonstigen Versehrten.

Es ist schockierend zu sehen, wie arm Menschen sein koennen, und was noch schlimmer ist, selbst diesen Menschen nimmt eine Strassen-Mafia noch das Wenige ab, was sie sich verdient oder erbettelt haben. Die "Paten" leben nicht viel besser, aber sie haben anstatt eines Blicke abwehrenden Tuches immerhin ein Pappdach, das sie an eine Mauer lehnen. Dahinter leben sie mit ihren Familien und Tieren. Da fragt man sich schon: Wo bleibt der indische Staat mit seiner Unterstuetzung? Insbesondere, wenn man sich vergegenwaertigt, dass Bombay als indisches Finanzzentrum eine vergleichsweise wohlhabende Stadt ist.


II. Gefahr achtern

Wittern Hunde Gefahr, stellen sich bei ihnen die Nackenhaare auf. Aehnlich erging es mir, als ich das Leopolds Cafe verliess, um zu meinem Hotel zurueck zu kehren. Ich drehte mich um - vermeintlich unauffaellig -, und da war er: Ein duenner, sehr dunkelhaeutiger Mann in gruenem Hemd und Hose. Er folgte mir. Definitiv. Mal ging er ein paar Schritte neben mir, mal blieb er einige Meter zurueck. Aber er hielt immer den gleichen Abstand und wartete sogar hinter einer Saeule, als ich mir eine Flasche Wasser kaufte.

Langsam wurde mir mulmig. Ich hatte einiges von Belaestigungen seitens indischer Maenner gelesen, aber selbst ausser einigen intensiven Blicken und Schnalzlauten nichts davon bemerkt. Nun aber dieser Mann. Was sollte ich tun? In ansprechen, anschreien, klar machen, dass ich nicht wehrlos bin? Was wuerde es nuetzen? Ich wollte ausserdem nicht, dass er erfuhr, in welchem Hotel ich abgestiegen war. Also ging ich Richtung Taj Mahal Grand Hotel und sprach ein aelteres Ehepaar an, freundliche Schweden. Sie erklaerten sich bereit, mit mir um den Block zu laufen und den Mann notfalls abzuwehren.

So gingen wir einige hundert Meter, und der Mann folgte uns. Ich kam mir langsam paranoid vor, aber der Schwede erklaerte, dass er die Verfolgung auch bemerkte. Er drehte sich um und sah dem Mann direkt ins Gesicht. Langsam merkte der wohl, dass hier wenig auszurichten war und blieb zurueck.
Sie brachten mich noch bis zum Portier des Hotels, der mich besorgt entgegen nahm und mir eine Begleitung fuer den Abend anbot. Fuer einen Tag hatte ich genug an indischer Begleitung gehabt und verzichtetete dankend.

In der Fremde schaerfen sich die Sinne, und darum bin ich froh. Wer weiss, was der Mann im Schilde fuehrte? Wenn sich das naechste Mal meine Nackenhaare straeuben, halte ich gleich Ausschau nach moeglichen Ansprechpartnern.
Und heute geht es erstmal ab Richtung Goa. Goa ist Indien weichgespuelt - nach dieser Stadt und Erfahrung brauche ich das auch. Demnaechst mehr auf diesem Kanal.

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