S-Fehler

Der Besuch beim Friseur ist für mich ein wenig wie der halbjährliche Termin beim Zahnarzt: Unangenehm und stetig in der Angst, mit weniger herauszukommen als hinein gegangen zu sein. Außerdem sitzt man in beiden Fällen hilflos auf einem Stuhl und sieht mit offenem Mund genauso bescheuert aus wie mit nassen, platten Haaren im grellen Licht im Spiegel. Nur das Publikum der Schande ist beim Friseur zahlreicher.

Doch nach drei Monaten war der Leidensdruck zu groß, zumal der letzte Friseurbesuch nicht nur ein sattes Loch im Geldbeutel sondern auch einen ebenso satten Längenunterschied von einem halben Zentimeter rechts und links hinterlassen hatte. Ich beschloss also, den Salon zu wechseln. Und diesmal sollte es kein namhafter Salon sein, in dem überschminkte Gesellinnen ihre gescheiterten Hair Artists Träume längst begraben hatten und sich dafür an ihren Kunden rächten.

Der Laden, der mir seit seiner Eröffnung vor einer Woche auf dem Arbeitsweg ins Auge gefallen war, hatte denn auch den passenden Namen für meine Umorientierung: NO NAME Friseur. Von außen strikt schwarz gestrichene Fassade, dazu einfach der Preis für einen Cut - 10 Euro - drauf gepinselt. Und bei dem Preis darf dann auch ruhig was in die Hose gehen, dachte ich. Und ging in den Laden. In den wenigen Minuten Wartezeit erfuhr ich nicht nur sehr viel aus dem Leben des gerade Pause machenden Friseurs, der sich mit seiner Kundin unterhielt.

Er, natürlich schwul, sehr trendy, supersüß, war Engländer und der Liebe wegen nach Berlin gekommen. Seine Kundin, Australierin, Mitte Vierzig und mit raspelkurzem Blondschopf (wo wollte sie noch Haare lassen?) seit zwei Wochen in der Stadt, war ebenfalls aus Herzensgründen hier. Sie schwatzten über London, dies und das - und ich hörte fasziniert zu. Weniger wegen der ausgiebigen Beschreibung des offensichtlich ausgiebigen Sex- und Soziallebens von Michie als von seinem ausgeprägten S-Fehler. Eine Laune der Natur, der English zu Englis dezimierte ebenso wie Danish zu Danis und überhaupt alle sch-Laute. ich hatte die Katja Burkard der Friseurbranche getroffen. Zu meiner noch grenzenloseren Freude hatte der S-Fehler keinen Einfluss auf seine S-Neidebegabung. Meine Haare sind gleich lang und fallen wie von selbst. Ich spreche seitdem nur ein wenig komis.

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